Umweltprozesse und Naturgefahren im Blick: Tobias Heckmann übernimmt Lehrstuhl für Physische Geographie

Tobias Heckmann
© Emma Heckmann

Prof. Dr. Tobias Heckmann hat an der KU mit Beginn des Sommersemesters den Lehrstuhl für Physische Geographie übernommen. In seiner Forschung konzentriert sich der 49-Jährige zusammen mit seinem Team vor allem auf die dynamischen Prozesse, die die Erdoberfläche formen. Von einigen dieser Prozesse gehen Risiken für Menschen, Siedlungen und Infrastruktur aus, weshalb sie als Naturgefahren bezeichnet werden. Tobias Heckmann ist in seiner Fakultät und in der wissenschaftlichen Community kein Unbekannter. An dem Lehrstuhl, den er nun innehat, wirkte er 20 Jahre lang als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Assistent.

Die Geomorphologie, der wissenschaftliche Schwerpunkt von Tobias Heckmann, untersucht die Formen und formbildenden Prozesse auf der Erdoberfläche. Diese Prozesse werden vor allem durch Klimaelemente wie Niederschlag, Temperatur und Wind sowie durch Schwerkraft und Tektonik angetrieben. Auch Gestein, Böden und Vegetation üben einen wichtigen Einfluss auf die Prozessdynamik aus. Im System der Physischen Geographie mit Klima-, Hydro-, Boden- und Biogeographie kommt der Geomorphologie damit eine zentrale, verbindende Bedeutung zu. „Die geomorphologischen Prozesse werden teilweise von Menschen verursacht und beeinflusst – und sie stellen damit auch eine Gefahr für Siedlungen, die dort lebenden Menschen sowie für Infrastruktur und Wirtschaft dar“, erklärt Heckmann. Die noch nicht durchgehend verstandenen Auswirkungen des Klima- und Landschaftswandels machten diese Problematik zu einem wichtigen Forschungsfeld. „Die Geomorphologie ist damit auch die Wissenschaft von Naturgefahren, Mensch-Umwelt-Konflikten und Klimafolgen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“, so Heckmann. „Ihr kommt eine doppelte Brückenfunktion zu: Erstens verbindet sie die Teildisziplinen der Physischen Geographie und naturwissenschaftlicher Nachbarfächer. Zweitens können geomorphologische Systeme im Zeitalter des Menschen nicht mehr ohne Wirtschaft und Gesellschaft verstanden werden. Die Geomorphologie ist damit auch prädestiniert für eine Verbindung zur Humangeographie und trägt zum Charakter der Geographie als Mensch-Umwelt-Wissenschaft bei.“

Bereits unter Heckmanns Vorgänger Prof. Dr. Michael Becht hat die Physische Geographie der KU vielfach Forschungsprojekte durchgeführt und dabei Landschaftsformen und deren Veränderungen etwa mittels Drohnenaufnahmen und Laservermessung analysiert. Die dabei generierten digitalen Höhenmodelle dienen zudem als Grundlage zur Simulation geomorphologischer Prozesse im Computer. Heckmann möchte die Fähigkeiten der Arbeitsgruppe zukünftig um Methoden erweitern, mittels derer die Oberflächendaten mit Daten zum Aufbau und zur Mächtigkeit von Sedimentkörpern unter der Erdoberfläche verknüpft und gemeinsam analysiert werden können.

Forschung auf dem Gletscher
© Christian Klenk Regelmäßig fahren Eichstätter Geographen zur Datenaufnahme ins Gelände, dabei kommen auch Helikopter und ein KU-eigenes Forschungsboot zum Einsatz.

Forschung und Lehre am Lehrstuhl für Physische Geographie finden im Gelände, im Labor und am Computer statt. Regelmäßig fahren Eichstätter Geographen zur Datenaufnahme ins Gelände, dabei kommen auch Helikopter und neuerdings ein KU-eigenes Forschungsboot mit einem hochpräzisen Echolot zum Einsatz, mit dem digitale Oberflächenmodelle von Flussbetten oder Seeböden erstellt werden können.

In mehreren Projekten befasste sich der Lehrstuhl bislang im Bereich der geomorphologischen Grundlagenforschung mit dem Sedimenttransport durch Prozesse wie Grundlawinen, Steinschlag, Muren oder durch die Aktivität von Wildbächen. Während diese Forschungen fortgeführt werden sollen, will Heckmann künftig verstärkt Georisiken in den Blick nehmen. Er will die Prozesse dort erforschen, wo von ihnen tatsächlich Gefahren für Siedlungen und die Infrastruktur ausgehen. Dies schließt auch Gebiete in den Mittelgebirgen ein, wo solche Risiken im Zusammenhang mit Starkregen und Sturzfluten größer werden.

„Viele Gefahren entstehen oder verstärken sich durch das räumliche und zeitliche Zusammenwirken mehrerer Prozesse“, sagt Heckmann und nennt als Beispiel die Unwetterkatastrophen im Juli 2021 in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz oder 2016 in Simbach und Braunsbach. Forschungsergebnisse zeigten, dass es sich dabei um weit mehr als extremes Hochwasser handelte. „Durch die Intensität des Niederschlags werden Prozesse wie Massenbewegungen auf den Hängen ausgelöst, die ihrerseits mit dem Transport von Sedimenten oder Baumstämmen in den Bächen und Flüssen zu katastrophalen Verstärkungen der Überflutungen und ihrer Folgen führen können.“ Heckmann plant künftig unmittelbar nach solchen Extremwetterereignissen die betroffenen Gebiete zu befliegen und so möglichst alle Prozesse im Raum flächendeckend zu detektieren, durch Kartierung zu verorten und mithilfe von Laserscanning zu vermessen, um die verschiedenen Prozesse und ihr Zusammenwirken besser zu verstehen. Auch Fotos und Videos, die Bürgerinnen und Bürger während der Ereignisse aufgenommen haben, könnten zur Rekonstruktion des Ablaufs solcher komplexen Naturgefahren herangezogen werden.

Für die Umsetzung solcher Forschungsideen sieht Tobias Heckmann interdisziplinäre Zusammenarbeit als unerlässlich an. Er strebt an, die bestehenden sehr guten Kooperationen des Lehrstuhls mit der Klimatologie, Glaziologie, Biologie, Hydrologie und Geodäsie zu erweitern, beispielsweise um die Fernerkundung, die Humangeographie oder die Mathematik mit den Bereichen Künstliche Intelligenz und Data Science. Mit der der Psychologie sind schon jetzt an der KU erste gemeinsame Projekte zur Wahrnehmung der Landschaft im Klimawandel angelaufen. Heckmann freut sich auch auf die Kooperation mit internationalen Kolleginnen und Kollegen und das wachsende Netzwerk seines Teams, von dem gerade auch Nachwuchsforschende profitieren sollen.

„Mir ist die Positionierung der Geographie als Mensch-Umwelt-Wissenschaft ein zentrales Anliegen“, sagt Heckmann. Dies spiegelt sich auch in der Lehre wider, wo er und sein Team nicht nur im Bachelorstudiengang Geographie involviert sind, sondern auch maßgeblich die Inhalte im Masterprogramm Umweltprozesse und Naturgefahren mitgestalten. Zum interdisziplinären Angebot von Studium.Pro steuert der Lehrstuhl gemeinsam mit den anderen Arbeitsgruppen der Physischen Geographie ein Modul zum Klimawandel und den naturwissenschaftlichen Grundlagen bei.

Tobias Heckmann kommt aus dem baden-württembergischen Weinheim an der Bergstraße. Er studierte Geographie, Geologie und Biologie in Heidelberg und war anschließend zunächst wissenschaftlicher Mitarbeiter in München und Göttingen, ehe er im Sommersemester 2004 als Assistent an den Lehrstuhl für Physische Geographie der KU wechselte. Ein Jahr später folgte die Promotion zu „Untersuchungen zum Sedimenttransport durch Grundlawinen in zwei Einzugsgebieten der Nördlichen Kalkalpen“. 2014 habilitierte sich Heckmann im Fach Geographie mit einer Arbeit über Räumliche Modellierung für die Analyse von geomorphologischen Systemen und Sedimentkaskaden ("From rasters to networks – Spatial modelling for the analysis of geomorphic systems and sediment cascades"). Als Gastwissenschaftler war Heckmann am Wageningen Institute of Environment and Climate Research in den Niederlanden tätig, eine Vertretungsprofessur hatte er im Fachbereich Geographie der Ludwig-Maximilians-Universität München inne.