Philosophischer Meisterkurs

Gabe und Gemeinwohl

 09. - 14. September 2013

Zur Eröffnung des interdisziplinären Forschungsprojekts „Gerechtigkeit und Gesellschaft. Neuer Blick auf das Gemeinwohl (2013-2016)“ haben sich das Institut Catholique de Paris und die Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt zusammengetan, um für fortgeschrittene Studierende, Doktoranden und Nachwuchswissenschaftler an deutschen Universitäten ein einwöchiges Forschungsseminar zum Thema „Gabe und Gemeinwohl“ anzubieten. Es wird vom 09.-14. September 2013 in Eichstätt stattfinden.

Das Thema

In seiner Enzyklika Caritas in veritate (2009) unterstrich Benedikt XVI. nachdrücklich, dass eine ökonomische, soziale und politische Entwicklung, die auf das Gemeinwohl ausgerichtet ist, sich nicht einfach am Geschäftsdenken orientieren kann; sie muss auch „das Prinzip der Unentgeltlichkeit und die Logik des Geschenks“ (§ 36) integrieren. Und er fügte hinzu, dass dieses Erfordernis nicht von außen an die Wirtschaft herangetragen wird, sondern „ein Erfordernis des wirtschaftlichen Denkens selbst“ sei.

Dank der Gabe und ihrer Erweiterung zum Tausch verbinden sich intrinsisch wirtschaftliche Effektivität, soziale Gerechtigkeit und politische Stabilität. Eine Wirtschaftsordnung hingegen, die die absolute Priorität der Gabe verleugnet, wäre nicht nur eine Quelle von sozialer Ungerechtigkeit und politischer Instabilität, sondern würde sich schließlich auch selbst zerstören.

Diese absolute Priorität der Gabe und der Gegebenheit aus einer vor allem phänomenologischen Perspektive zu denken, ist seit den 80er Jahren das Anliegen des französischen Philosophen Jean-Luc Marion. Sein diesbezügliches Hauptwerk ist Étant donné. Essai d’une phénoménologie de la donation (1997); und darin vor allem das zweite Buch, in dem er zeigt, dass die Gabe weder auf den Tausch reduzierbar ist noch selbst auf die Unentgeltlichkeit, mit der man sie häufig definiert.

Vielmehr schlägt er eine radikale Definition der Gabe allein aus ihrer unbedingten Gegebenheit vor.

Diese Darlegung führt er vielfach weiter und verstärkt sie, vor allem in einem Artikel mit dem Titel „La raison du don“ (2003), der das Phänomen der Vaterschaft untersucht, und in seinem Werk Certitudes négatives (2010), das an den Phänomenen des Opfers und der Verzeihung ansetzt. Die entsprechenden Texte werden in dem Meisterkurs in deutscher Übersetzung behandelt.

Absolute Priorität der Gabe vor dem Tausch und der Gegebenheit vor aller Bedingung: Mit dieser These aus Étant donné haben wir zugleich eine der philosophischen Prämissen der Enzyklika Caritas in veritate vor uns. Aus dieser Blickrichtung besteht das Vorhaben des Forschungsseminars darin, die philosophische Argumentation, die dieser These zu Grunde liegt, zu rekonstruieren, und diese These dann mit drei Typen von Entwicklungen zu konfrontieren: ökonomischen, rechtspolitischen und theologischen. Dazu werden außer Jean-Luc Marion beitragen:

- Thomas Alferi, Philosoph und Theologe (Übersetzer von Étant donné)

- Olivier Artus, Theologe (Autor von Les lois du Pentateuque. Points de repère pour une lecture exégétique et théologique, Paris, Cerf, 2005)

- Elena Lasida, Ökonomin (Autorin von Le goût de l’autre. La crise, une chance pour réinventer le lien, Paris) Albin Michel, 2011

- Émilie Tardivel-Schick, Philosophin (Autorin von La liberté au principe. Essai sur la philosophie de Patočka, Paris, Vrin, 2011)

 

Der Meister: Prof. Dr. Jean-Luc Marion

Jean-Luc Marion, geb. 1946, ist Professor em. für Philosophie an der Sorbonne (Paris IV), Professor am Institut Catholique de Paris und Professor für Religionsphilosophie und Theologie an der University of Chicago. 2008 wurde er mit dem Karl-Jaspers-Preis ausgezeichnet und als Mitglied in die Académie française gewählt. Marion gehört zu den bedeutendsten zeitgenössischen Philosophen Frankreichs.

Für den Kurs relevante Werke (in Auswahl):

In deutscher Übersetzung:

Die Öffnung des Sichtbaren (2005), Das Erotische ein Phänomen (2012), Gegeben sei (im Erscheinen, hier zum ersten Mal in deutscher Sprache zugänglich).

In englischer Übersetzung:

God without Being (1991), Reduction and Givenness (1998), Being Given (2002), In Excess (2002), Prolegomena to Charity (2002), In the Self’s Place (2012)

Nur auf Französisch:

Certitudes négatives (2010), Figures de phénoménologie (2012)

Während des Kurses wird die deutsche Übersetzung des Hauptwerks von Jean-Luc Marion: Étant donné, vorgestellt. Der Übersetzer, Prof. Dr. Thomas Alferi, wird präsent sein und zusammen mit dem Verfasser den Zugang zum Werk ermöglichen.

Zur Einführung empfohlen Thomas Alferi: Worüber hinaus Größeres nicht „gegeben“ werden kann. Phänomenologie und Offenbarung nach Jean-Luc Marion (2007).

 

Organisatorische Leitung und Moderation

Prof. Dr. Walter Schweidler, Katholische Universität Eichstätt

Dr. Émilie Tardivel-Schick, Institut Catholique de Paris

 

Vortragende

Prof. Dr. Thomas Alferi, Université Catholique de l’Ouest

Prof. Dr. Olivier Artus, Institut Catholique de Paris

Dr. Elena Lasida, Institut Catholique de Paris

 

Programm

Montag, 09. September 2013

Eröffnung

18 – 20 Uhr: Walter Schweidler, Thomas Alferi: Allgemeine Einführung

 

Dienstag, 10. September 2013

Philosophie

10 – 13 Uhr: Thomas Alferi: Einführung in die Philosophie Jean-Luc Marions

15 – 18 Uhr: Thomas Alferi: Einführung in Étant donné.

19 – 21 Uhr: Jean-Luc Marion, Thomas Alferi: Vorstellung der deutschen Übersetzung von Étant donné.
Lukas Trabert, Walter Schweidler: Vorstellung der neuen Reihe „Eichstätter Philosophische Studien“ beim Verlag Karl Alber (mit kleinem Empfang)

 

Mittwoch, 11. September 2013

Philosophie und Ökonomie

10 – 13 Uhr: Jean-Luc Marion: Gabe und Tausch.

15 – 18 Uhr: Elena Lasida: Ökonomie und Solidarität.

 

Donnerstag, 12. September 2013

Philosophie, Recht und Politikwissenschaft

10 – 13 Uhr: Jean-Luc Marion: Gabe und Vaterschaft.

15 – 18 Uhr: Émilie Tardivel-Schick: Christliche Politeia und Gemeinwohl.

 

Freitag, 13. September 2013

Philosophie und Theologie

10 – 13 Uhr: Jean-Luc Marion: Gabe, Opfer und Verzeihung.

15 – 18 Uhr: Olivier Artus: Das Sabbatjahr im Buch Levitikus.

 

Samstag, 14. September 2013

Schlusssitzung

10 – 12 Uhr: Jean-Luc Marion, Walter Schweidler, Thomas Alferi, Émilie Tardivel-Schick.