Der Bescheidenheit die Ehre geben, oder: Wozu das Ringen um den Titel „Patriarch des Abendlandes“?

von Thomas Kremer

#Kirche #Ökumene #Meinung

Päpste schmücken sich mit einer Reihe von Ehrentiteln, fast eine ganze Seite füllen sie Jahr um Jahr im „Annuario Pontificio“, dem offiziellen Verzeichnis aller Bischöfe und Diözesen. Kaum einer nimmt es zur Kenntnis. Nur ein Titel darunter hat in letzter Zeit gleich zweimal Aufsehen erregt, und zwar 2006, als Papst Benedikt XVI. ihn ablegte, und jüngst, als Papst Franziskus ihn wieder zu führen begann: der Titel „Patriarch des Abendlandes“. Eines ist beiden Päpsten gemein: Sie haben keine hoheitliche Deutung für ihr Verhalten vorgelegt – von einer eher dürftigen Erklärung 2006 seitens des Rates zur Förderung der Einheit der Christen abgesehen –, und so kann über die dahinterstehenden Beweggründe nur spekuliert werden.

Was macht die Frage überhaupt so spannend?

Zunächst insinuiert „Abendland“ bzw. occidens einen Gegensatz zum „Morgenland“, dem oriens. Dies ruft Erinnerungen an alte Zeiten wach, in denen einer Reihe von Patriarchaten im Osten1 die eine abendländische Kirche gegenüberstand. Der Anspruch des päpstlichen Jurisdiktionsprimats, wie ihn das I. Vatikanum (1869/1870) ausformulierte, war – wenn überhaupt – erst in nuce vorhanden. Vielmehr anerkannte man auch im Westen die Zuständigkeit der östlichen Patriarchen auf ihrem „kanonischen Territorium“. So gesehen kann der Titel „Patriarch des Abendlandes“ als territoriale Eingrenzung der unmittelbaren Zuständigkeit des Bischofs von Rom interpretiert werden. Die Theorie einer Pentarchie, also der Untergliederung des Römischen Reiches in fünf Patriarchate, begründet bis heute die Ekklesiologie der byzantinischen Orthodoxie mit ihren autokephalen und autonomen Schwesterkirchen, wobei sich aus östlicher Sicht der Bischof von Rom im ersten Jahrtausend als Primus inter pares unter die Patriarchen einreihte.