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Prof. Dr. Isabelle Stauffer als Sprecherin des FF III im Interview

Zum Ende des SoSe 2020 ist Prof. Dr. Isabelle Stauffer zur weiteren Sprecherin des Forschungsfelds III gewählt worden. Zusammen mit Prof. Dr. Martin Kirschner wird sie im kommenden WS 2020/21 das interdisziplinäre Forschungsseminar "Transkulturalität der Religion in Literatur und Kultur der Gegenwart" organisieren und leiten. Im Interview stellt sie ihren Zugang zum Themenkomplex Religion, Religiosität und Gegenwartsliteratur sowie dessen Verortung im ZRKG vor.

ZRKG: Sie sind Inhaberin der Professur für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der KU mit einem Schwerpunkt „Literatur in intermedialen und medienhistorischen Kontexten“ und befassen sich außerdem mit dem Thema „Religion in der Gegenwartsliteratur“. Wie sind Sie zu diesem Thema gekommen?

Stauffer: 2014 nahm ich an einem Kolloquium an der Humboldt-Universität zu Berlin zum Thema „An der Grenze des Todes: Literarische und mediale Entwürfe der Gegenwart“ von Ulrike Vedder und Anna Katharina Neufeld teil. An diesem Kolloquium las der Autor Thomas Lehr aus seiner Novelle „Frühling“. Während der Lesung musste ich permanent an Dantes „Göttliche Komödie“ denken. Lehr bestätigte im nachfolgenden Gespräch, dass die „Göttliche Komödie“ eine wichtige Inspiration für ihn gewesen war. Die Grenze des Todes, die in Dantes Text – der eine Jenseitsreise beschreibt – überwunden wird, wurde jedoch in den wissenschaftlichen Vorträgen der Tagung nicht überschritten. Mich aber begann das Jenseits in literarischen Texten der Gegenwart massiv zu interessieren und damit die Frage nach religiösen Themen in der Gegenwartsliteratur.

ZRKG: Früher, d.h. wohl noch bis in die 1990er Jahre hinein, hatte das Thema ‚Religion‘ in der Neueren deutschen Literaturwissenschaft ja keinen besonders guten Ruf. Es war schwer vorstellbar, das anders als aus der Glaubensbindung heraus betreiben zu können. Wie stellt sich das heute für Sie dar? Ist es forscherlich eher ein Vorteil oder ein Nachteil, religiös sozialisiert zu sein? Oder hat weder das eine noch das andere für Ihre Forschungen eine Bedeutung?

Stauffer: Die wissenschaftliche Erforschung von Religion erfordert keine Glaubensbindung. Dasselbe gilt für alle identitätsbestimmenden Themen, sonst würde die absurde Situation eintreten, dass sich nur Österreicher mit österreichischer Literatur und nur Frauen mit Frauenbildern in der Literatur befassen dürften. Eine religiöse Sozialisation kann insofern hilfreich sein, als religiöses Spezial- und Erfahrungswissen nicht neu erarbeitet werden muss, sie kann aber auch den Blick auf das Gegenstandsfeld verstellen. Mein wissenschaftliches Interesse an Religion orientiert sich an den anthropologischen Grundfragen: Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin? Was ist der Sinn hinter dem Ganzen? Und ich bin sehr neugierig auf die unterschiedlichen Erzählungen rund um diese Fragen, die die verschiedenen Religionen anbieten. Eine der spannenden und prägenden Veranstaltungen in meiner Studienzeit an der Universität Zürich war ein Kurs in Religionsethnologie, der mich für diese Vielfalt sensibilisiert hat.

ZRKG: Gibt es besondere Impulse, die Sie aus Ihrer speziellen literatur- und medienwissenschaftlichen Kompetenz heraus in das Forschungsfeld III einbringen möchten?

Stauffer: Unsere Gegenwart ist von massiven und sehr dynamischen Transformationsprozessen betroffen. Was bedeutet das für die Religion als ein zentrales gesellschaftliches und kulturelles Element? Schwindet ihr Einfluss oder gewinnt sie wieder an Wichtigkeit? Kann sie sich an die veränderte und sich stets weiter verändernde Lage anpassen? Was geschieht durch den vermehrten Kontakt verschiedener Religionen? Von der Literatur als einer „ausgezeichneten Form der Selbstbeobachtung von Gesellschaften“ (Böhme 1998) müssen wir annehmen, dass sie diese Entwicklungen thematisiert. Dabei liegen meine Akzente auf der Darstellungsweise und den Grenzen des Sagbaren und des Abbildbaren, auf die religiöse Themen immer wieder treffen. Wie geht die Literatur und wie gehen Bilder und Filme damit um? Insofern sind es nicht nur inhaltliche Fragen, sondern auch solche, die die Ästhetik und Rhetorik von Sprache und Bildern betreffen, die ich in das Forschungsfeld einbringen möchte.

ZRKG: Wenn Sie von heute aus fünf, sechs Jahre weiterdenken: Wo würden Sie dann gerne als Sprecherin Ihr Forschungsfeld sehen – innerhalb des Zentrums, in der Verbindung mit anderen Disziplinen, im Austausch mit anderen Forscherinnen und Forschern an der KU und außerhalb der KU?

Stauffer: Ich würde es begrüßen, wenn das Forschungsfeld sich innerhalb des Zentrums noch stärker mit den anderen Forschungsfeldern verbinden würde und auch da Transformationsprozesse nicht nur als Forschungsgegenstand, sondern auch durch die Forschungstätigkeit wirksam werden würden. Dabei stellt die Interdisziplinarität eine wichtige Komponente dar, zumal sie eine große Inspirationskraft entfalten kann und zugleich aber von allen Beteiligten verlangt, sich zu öffnen und selbstverständlich Gewordenes zu hinterfragen. Über die KU hinaus ist mir die internationale und interdisziplinäre Vernetzung und Sichtbarkeit des Forschungsfeldes als ein wesentlicher Beitrag zur Gegenwartsanalyse wichtig. Zu diesen Entwicklungen können Workshops und Tagungen des Zentrums, wie die für nächsten Mai geplante Tagung „Dieselbe Welt – und doch alles anders? Transformationen in Zeiten religiöser und gesellschaftlicher Umbrüche“ Wesentliches beitragen.

ZRKG: Vielen Dank für das Interview!