Hinnerk Onken gewinnt den e-on Kulturpreis 2011

In seiner an der KU Eichstätt-Ingolstadt im Fach Geschichte Lateinamerikas eingereichten Dissertation untersucht Hinnerk Onken politische und soziale Konflikte in Arequipa, Peru, zur Zeit der so genannten "Aristokratischen Republik" von 1895 bis 1919. Die sozialgeschichtliche Ar­beit verbindet die Perspektive der Hobsbawm'schen und Thompson'schen "Geschichte von unten" mit den Ansätzen postkolonialer Theorie und besonders der (zuletzt stark in die Kritik geratenen - nichtsdestotrotz kritisch-emanzipatorisches Potenzial bergenden) Subaltern Studies. Es wird aufgezeigt, wie Subalterne mehr politische Partizipation und größere gesellschaftliche Gestaltungsmöglichkeiten in Arequipa und der Hafenstadt Mollendo errangen.

Im ersten Teil der dreigegliederten Untersuchung wird dazu zunächst das setting aufbereitet: Region, Epoche, Forschung, zentrale Begriffe wie Konflikt und Subalternität sowie Methoden werden vorgestellt, die Fragestellung dargelegt und die Quellenkritik vorgenommen. Darauf folgt mit der Untersuchung der die Epoche begründenden Piérola-Revolution 1894/95 in lokaler Perspektive die Analyse eines wichtigen Momentes subalternen Engagements, das in der Folge weitere und weiterreichende Forderungen nach sich zog, da das Selbst- und Machtbewusstsein der urbanen Mittel- und Unterschicht gewachsen war. In einem nächsten Schritt werden die verschiedenen gesellschaftlichen Akteure vorgestellt.

Der zweite Teil widmet sich mit den Liberal-Independientes einer politischen Partei und Bewegung, deren Anführer mit dem Ansatz der sozialen Netzwerkanalyse erfasst wer­den. Sie boten sich als broker für subalterne Interessen an und wurden von vielen als solche akzeptiert und in verschiedenen Formen unterstützt. Hier knüpft die Studie an die hervorragende Arbeit From Subjects to Citizens von Sarah Chambers und an zahlreiche weitere Untersuchungen der historischen Parteienforschung sowie zu Wahlen und weiteren Aspekten der politischen Kultur, insbesondere auch zur Frage des Einsatzes von Gewalt, an. Mithilfe der soziologischen Methoden der Bewegungsforschung - hier sind die Arbeiten Charles Tillys hervorzuheben - wird der Schwerpunkt auf die Bedeutung der Bewegung für ihre Unterstützer gelegt. Dabei geht es ideengeschichtlich auch um die lokale und regionale Adaption von sozialistischer Ideologie. Außerdem wird das Verhältnis der Liberal-Independientes zu weiteren wichtigen Akteuren: Kirche, Staat und Indianer, beleuchtet.

Im dritten Teil wird die Implementierung sozialistischen Gedankengutes in der bislang kaum untersuchten arequipeñischen Arbeiterbewegung und deren Streben nach gesellschaftlicher Partizipation untersucht. Das wichtigste Mittel dabei waren Streiks. Sie wurden Anfang des 20. Jahrhunderts zunächst von den Eisenbahnern und von den Hafenarbeitern in Mollendo relativ erfolgreich eingesetzt. In der Folge etablierten sie sich als Teil der politi­schen Kultur der Arbeiter und weitere Gruppen griffen darauf zu. Da Streiks aber immer auch repressiv begegnet wurde, nutzten Subalterne weitere Protestformen, insbesondere Demonstrationen und andere Großveranstaltungen, bei denen sie teilweise mit Angehörigen der lokalen Eliten zusammenarbeiteten. Die großen Streiks in Mollendo 1918 und general in Are­quipa 1919 stellen den Höhepunkt direkter subalterner Einmischung in die politischen Prozesse und die gesellschaftliche Entwicklung im Untersuchungszeitraum dar.

Erkenntnisse der bisherigen sozialgeschichtlichen Forschung zu Peru, betreffend etwa die Modalitäten der Partizipation oder die sozioökonomischen Parameter, können bestä­tigt und vertieft werden; andererseits führt die bislang nicht berücksichtigte arequipeñischen-regionale Perspektive mitunter aber auch zu einer differenzierten Neubewertung, etwa in der Frage der Piérola-Revolution, der Genese des peruanischen Sozialismus, der Arbeiterbewegung und ihrer politischen Kultur.