Soziologie: Aktuelles und Veranstaltungshinweise

Rückblick zur Vortragsreihe "In Gesellschaft": Grenzen der Demokratie im Wintersemester 2023/24

Mit der Reihe "In Gesellschaft" bietet das ZFM Gelegenheit zum Austausch mit namhaften Persönlichkeiten, diskutiert mit ihnen in Gesellschaft einer interessierten Öffentlichkeit und bringt nicht zuletzt das wissenschaftliche Interesse des ZFM zum Ausdruck: einen an Flucht und Migration orientierten, analytischen Blick in die Gesellschaft zu werfen.

Im Wintersemester 2023/24 veranstaltet das ZFM im Rahmen dieser Reihe Vorträge unter der Überschrift "Grenzen der Demokratie".

Eine funktionierende Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit. Demokratische Prinzipien wie Pluralität und Partizipation werden in gesellschaftlichen Diskursen permanent verhandelt. Insbesondere im Kontext des Themenfeldes Flucht und Migration werden die unterschiedlichen Vorstellungen von Zugehörigkeit und Zusammenhalt offenbar. Im Rahmen von drei Veranstaltungen wurden nicht nur aktuelle Entwicklungen der Migrations- und Fluchtpolitik aufgegriffen, sondern auch Formen der Teilhabe und Solidarität diskutiert.

Am 17. Oktober eröffneten wir unsere Gesprächsreihe mit der Podiumsrunde „Umstrittene Migrationsgesellschaften: Erinnerung, Teilhabe, Abwehr“, die in Kooperation mit Mensch in Bewegung stattfand. Dr. Floris Biskamp, Dr. Tanja Evers und Lea Gelardi (ZFM) diskutierten ihre Perspektiven auf verschiedene migrationspolitische Spannungsfelder und zeigten auf, wie Themen wie FluchtMigration und Integration auf unterschiedliche gesellschaftliche Reaktionen stoßen. Dr. Floris Biskamp sprach unter anderem über den Erfolg von Rechtsaußenparteien und verdeutlichte dazu u.a.  die Fülle und die Unterschiedlichkeit rechtsgerichteter Parteien im europäischen Vergleich und ging schließlich auf die Spezifika der AfD und fortschreitende Radikalisierung ein.  Dr. Tanja Evers richtete ihren Blick aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht auf rechtspopulistische Strategien in sozialen Netzwerken. Dort verfügen Parteien wie die AfD über eine deutliche Mobilisierungskraft, was sich auch darauf zurückführen ließe, dass Populist:innen simple Antworten auf komplexe Fragen geben, was mit der Aufmerksamkeitslogik der sozialen Medien gut harmonieren würde. Abschließend gewährte Lea Gelardi spannende Einblicke in ihre soziologische Forschung zur Praxis des Kirchenasyls. Diese sei eine besondere und umkämpfte Form zivilgesellschaftlichen Engagements, die irritieren, kritisieren und damit ggf. auch politische Veränderungen herbeiführen könne. Die in diesem Bereich Engagierten trügen mittels widerständiger Praktiken dazu bei, Aufmerksamkeit für das Thema Flucht und die rechtspolitische Lage zu schaffen.
Das Podium betonte zum Ende, ein solcher Austausch mit dem Publikum entspreche der Rolle, die Wissenschaft hinsichtlich der Demokratieförderung erfüllen sollte – nämlich Sachverhalte, Entwicklungen und Missstände sichtbar zu machen und dazu beizutragen, Ideen für ein gelingendes Miteinander in herausfordernden Zeiten zu entwickeln.

Als nächsten Gast konnten wir am 05. Dezember den Journalisten und Autor Christian Jakob begrüßen. In seinem Vortrag „Hart an der Grenze – Endspurt für ein neues europäisches Asylsystem?“ gab er einen umfassenden Einblick in Genese und Konfliktlinien der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems – kurz GEAS. Bisher waren die Unterschiede in den Positionen der Mitgliedstaaten zu groß, um den Reformpakt einvernehmlich auf den Weg zu bringen. Von einem angepassten Verteilungs- und Aufnahmesystem wäre auch die bisherige Dublin-Verordnung von den neuen GEAS-Gesetzentwürfen betroffen. Eine zentrale Strategie des neuen GEAS ist es, Zentren an den Außengrenzen der EU zu schaffen, in denen Asylanträge im Schnellverfahren geprüft werden können. Damit sollen insbesondere Personen mit sog. geringer Bleibeperspektive und aus vermeintlich sicheren Drittstaaten leichter abgeschoben werden. Die wenigen Anerkannten aus diesen Schnellverfahren könnten gemäß eines freiwilligen Solidaritätsmechanismus von den einzelnen EU-Ländern aufgenommen oder Ausgleichszahlungen vorgenommen werden – so die Überlegung. Legitimiert werden die geplanten Neuerungen, die einen deutlichen Eingriff in bestehendes Asylrecht bedeuten würden, unter anderem mit dem Ziel, die Zahl der Geflüchteten in der EU zu senken und gleichzeitig weitere Gewinne rechter Parteien bei den Wahlen 2024 zu verhindern. Ende Dezember einigten sich die am Trilog beteiligten Parteien – die EU Kommission, der EU Rat und das EU Parlament – auf einen gemeinsamen Gesetzesvorschlag, ein formaler Beschluss steht allerdings noch aus (weitere Infos dazu finden Sie z.B. hier). Der politische Druck sei groß, die Folgen für die Menschenrechtssituation an den EU-Außengrenzen dürften es ebenfalls sein.

Am 16. Januar endete die Vortragsreihe mit einem Beitrag von Natascha Strobl zum Thema "Radikalisierter Konservatismus. Wie die 'Mitte' nach rechts rückt". Strobl ging zunächst auf die Umstände ein, die den Radikalisierten Konservatismus in den vergangenen zwei Jahrzehnten begünstigt und befördert hätten und dies auch heute noch tun: sie verwies auf herrschende Krisenzeiten u.a. die Finanzkrise, die Klimakrise, Kriege und Konflikte und deren Folgen. Im Fokus standen Entwicklungen in Deutschland, Österreich und den USA. Als weitere Ursache nannte Strobl eine Krise der Repräsentation, da zum einen in pluralen Gesellschaften ein Teil der Bevölkerung nicht wahlberechtigt ist. In Deutschland etwa können knapp zehn Millionen nicht politisch mitbestimmen. Zum anderen könne man ein schwindendes Vertrauen in staatliche Institutionen beobachten. Insgesamt habe das konservative Milieu einen Hegemonieverlust erlebt, was u.a. daran liegt, dass das lange gültige Wohlstandsversprechen zunehmend in Frage steht. Der Aufschwung der extremen Rechten sei auch in diesem Kontext zu sehen. Konservative Nachkriegsparteien verlieren an Zuspruch, weshalb sich traditionelle Mitte-Rechts-Parteien teilweise zu einem Radikalisierten Konservatismus hin entwickeln. Als Beispiele dafür nennt Strobl Politiker wie Donald Trump oder Sebastian Kurz aus Österreich. Letztlich sei Radikalisierter Konservatismus überall da möglich, wo „das System bröckelt“. Gleichzeitig aber sei dies kein Determinismus. Es könne auch wieder schnell besser werden – man dürfe das Vertrauen nicht verlieren.

Wir danken allen Vortragenden für Ihre bereichernden Beiträge und hoffen auf ein baldiges Wiedersehen. Über Termine und Referent:innen kommender Vortragsreihen informieren wir wieder auf unserer Homepage.