Schulden- und Konsolidierungsprogramme

Stabilisierungshilfen - Bayern:

Karte_Bayern
In der geographischen Verteilung der Stabilisierungshilfen drücken sich die räumlichen Disparitäten in Bayern besonders deutlich aus: Die betroffenen Kommunen konzentrieren sich auf die nördlichen und östlichen Ränder Bayerns, Kommunen nahe der urbanen Zentren oder gar im Süden Bayerns bilden die Ausnahme

Die bayerischen Kommunen sind im Ländervergleich sehr niedrig verschuldet, insbesondere spielen Kassenkredite nur eine untergeordnete Rolle. Bayern kennt somit „kein flächendeckendes Problem defizitärer Kommunalhaushalte“ (Schwarting 2013, 11). Nichtsdestotrotz gibt es im Freistaat starke räumliche Disparitäten (Dudek/Kallert 2017), was sich auch in stark unterschiedlicher Finanzkraft resp. Verschuldung auf Gemeindeebene ausdrückt. Bereits 2006 und damit noch vor der Finanz- und Wirtschaftskrise startete Bayern ein Pilotprojekt zur kommunalen Haushaltskonsolidierung: In der Programmlaufzeit von 2006 bis 2011 erhielten 32 freiwillig teilnehmende strukturschwache Gemeinden vier Jahre Finanzhilfen im Gesamtvolumen von 56 Mio. € zur Reduzierung ihrer Schuldenlast. Als konditionale Finanzhilfe konzipiert mussten die Kommunen hierfür ein Haushaltssicherungskonzept mit eigenen Sparmaßnahmen aufstellen (Person/Geißler 2020, 199). Während Person und Geißler von einem „Programmerfolg“ sprechen, sieht Frischmuth das Pilotprojekt nur als „einen Tropfen auf den heißen Stein“, das das Ziel der Wiederherstellung kommunaler Handlungsfähigkeit nur in wenigen Fällen erreichte (Frischmuth 2013, 33). Letztendlich setzte Bayern das Projekt als sog. Stabilisierungshilfen als Sonderform der bestehenden Bedarfszuweisungen ab 2012 fort, mit dem strukturschwache, unverschuldet in eine finanzielle Schieflage geratende Kommunen unterstützt werden. Die Mittel hierfür stammen aus Landesmitteln und einem Vorwegabzug im allgemeinen Steuerverbund und somit von den Kommunen selbst. Die Mittel für Bedarfszuweisungen und Stabilisierungshilfen schwanken und liegen zwischen 25 Mio. € (2012) und 150 Mio. € –  seit 2020 liegt die Summe konstant bei 120 Mio. € (Bayerisches Staatsministerium der Finanzen und für Heimat 2022). Für Stabilisierungshilfen wurden 2012 6,7 Mio. € und rasch steigend 2013 bereits 70,77 Mio. € aufgewendet. 2016 erreichten sie ihr Maximum mit 120,92 Mio. € und sind seitdem – mittlerweile reformiert mit zwei Säulen (Säule 1 zum Zwecke des Schuldenabbaus, Säule 2 für Investitionen) – auf hohen Niveau von 90,285 Mio. € (2022) (eigene Berechnungen). Von 2012 bis 2022 wurden somit insgesamt 1,305 Mrd. € allgemein für Bedarfszuweisungen zur Verfügung gestellt, wovon 1,131 Mrd. €, darunter rund 122 Mio. € für 16 vor allem nord- und ostbayerische Landkreise, der Großteil (87%) für Stabilisierungshilfen und damit explizit für Haushaltskonsolidierung und Schuldenabbau verwendet wurden. Der Anteil der Landesmittel über den bisherigen Programmverlauf liegt bei 480 Mio. € (37%), die Kommunen tragen also mit 63% bzw. 826 Mio. € die Hauptlast bei der Konsolidierung finanzschwacher bayerischer Kommunen.

Voraussetzung für die Teilnahmen waren 2012 mehrere Indikatoren, die in einem Brief des Finanzministeriums an die Regierungen expliziert werden: Vorliegen einer akuten finanziellen Notlage oder ein negatives Saldo der freien Finanzspannen der letzten fünf Jahre, unterdurchschnittliche Steuerkraft (mindestens 20% unter dem Größenklassendurchschnitt der letzten 5 Jahre), überdurchschnittlicher Einwohner*innen-Rückgang (innerhalb von zehn Jahren mindestens 5%) und/oder dünne Besiedelung (Einwohnerzahl im Verhältnis zur Fläche der Kommune unter 25% des entsprechenden Bayern-Durchschnitts) (Bayerisches Staatsministerium der Finanzen 25.05.2012). Grundsätzliche Bedingung für den Erhalt der Hilfen ist ein Haushaltssicherungskonzept für den gesamten Finanzplanungszeitraum, in dem die avisierten Mehreinahmen bzw. Minderausgaben aller beschlossenen Konsolidierungsmaßnahmen darzustellen sind (Stand 2012). In einem Zehn-Punkte-Plan werden hierfür geeignete Maßnahmen genannt, die u.a. den Erlass einer Wiederbesetzungs- und Beförderungssperre, die Prüfung auf „Maßnahmen“ aller disponibler Ausgabenpositionen, defizitärer kommunaler Einrichtungen (z.B. kulturelle Einrichtungen, Hallen- und Freizeitschwimmbäder), die Reduzierung aller freiwilligen Leistungen auf ein „in vertretbarer Weise […] unabdingbar notwendige Maß“ vor Ort, konsequent kostenrechnende Einrichtungen (insb. (Ab)Wasser), Privatisierung von Vermögen oder die Anhebung der Hebesätze der Realsteuern auf mindestens den Landesdurchschnitt der jeweiligen Gemeindegrößenklasse (siehe Anlage, Bayerisches Staatsministerium der Finanzen 25.05.2012). Die Empfänger von Stabilisierungshilfen müssen grundsätzlich die Hilfen für die (vorzeitige) Schuldentilgung verwenden, um so mittels „nachhaltiger Verringerung der Zins- und Tilgungsleistungen“ (BayStMFLH 2014:1) mehr finanzielle Handlungsspielräume zu erlangen. Problematisch ist hierbei allerdings, dass eine finanzschwache Kommune die Möglichkeit zur (vorzeitigen) Tilgung von Schulden haben muss: Nur dann kann sie Stabilisierungshilfen erhalten. Seit 2014 kann bei einer entsprechenden Bedarfslage ein „individuell festzusetzender begrenzter Anteil einer Stabilisierungshilfe auch für investive Bedarfe“ (ebd., 2) im Rahmen der kommunalen Grundausstattung bewilligt werden. Seit 2019 gibt es zudem eine zweite Säule, die – nach zuvor mindestens dreimaligem Erhalt von Stabilisierungshilfen – als Investitionshilfe auch zur „Vermeidung eines ansteigenden bzw. zum Abbau eines Investitionsstaus“ bewilligt werden kann (BayStMFH 2019: 8).

Die Kommunen müssen jedes Jahr Anträge für die Stabilisierungshilfen (wie auch für die Bedarfszuweisungen, die für außergewöhnliche Lagen und/oder besondere Bedarfe (Hochwasser, hohe Gewerbesteuerausfälle etc.) konzipiert sind) stellen, die anschließend formal von einem Verteilerausschuss entschieden werden, in dem Vertreter*innen des Finanz- und Innenministeriums sowie die kommunalen Spitzenverbände sitzen. Die Vorlagen für einzelnen Finanzhilfen, der Höhe samt eventueller Auflagen kommen jedoch aus den Ministerien, sodass die kommunalen Spitzenverbände auf die Mittelverteilung „nur eine äußerst geringe Einwirkungsmöglichkeit“ haben (Frischmuth 2013, 33). Das heißt, dass den kommunalen Spitzenverbänden lediglich sog. Strukturblätter der Kommunen zugehen und sie sich erst in der Verteilerausschusssitzung äußern können – eine selbst nur für die formal beteiligten Verbände nachvollziehbare und transparente Berechnung der (jährlichen) Finanzhilfen gibt es also nicht. Obwohl rund zwei Drittel der Finanzhilfen von den Kommunen selbst stammen, bleibt die Entscheidung über die (Nicht-)Gewährung von Stabilisierungshilfen also de facto bei der Landesregierung, die in einem „alljährlichen Ritual […] im Heimatministerium“ „Geldsummen an verarmte Gemeinden“ überreicht (Henzler 02.01.2019). In der Verteilung der Mittel nimmt Bayern damit eine Ausnahmestellung unter den Konsolidierungsprogrammen ein, indem die Finanzmittel sowie die Auflagen (und damit die Bewertung des Konsolidierungswillens) in der Landesregierung beschlossen werden, ohne dass es eine öffentlich nachvollziehbare Berechnungs- und Entscheidungsgrundlage hierfür gibt.

Höhe der Stabilisierungshilfen in Bayern nach Jahren (ohne Landkreise).
Stabilisierungshilfen

Für Stabilisierungshilfen an Städte und Gemeinden (ohne Landkreise) wurden 2012 6,7 Mio. € und rasch steigend 2013 bereits 70,77 Mio. € aufgewendet. 2016 erreichten sie ihr Maximum mit 120,92 Mio. € und sind seitdem auf hohem Niveau (2022: 90,285 Mio. €)

Mittelherkunft für Bedarfszuweisungen (Haushaltsansatz)
Mittelherkunft
Mittelherkunft für Bedarfszuweisungen (Haushaltsansatz)

Von 2012 bis 2022 wurden insgesamt 1,305 Mrd. € allgemein für Bedarfszuweisungen zur Verfügung gestellt, wovon mit 1,131 Mrd. € der Großteil (87%) für Stabilisierungshilfen und damit explizit für Schuldenabbau und ab 2019 vermehrt auch für den Abbau des konsolidierungsbedingten Investitionsstaus in Gemeinden, Städten und Landkreisen verwendet wurde. Der Charakter des Programms hat sich damit vom reinen Entschuldungsprogramm hin zu einer Mischform aus Entschuldung, Konsolidierung und Investitionsförderung gewandelt. Der Anteil der Landesmittel über den bisherigen Programmverlauf liegt bei 480 Mio. € (37%), die Kommunen tragen also über Umverteilung im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs mit 63% bzw. 826 Mio. € die Hauptlast der Konsolidierung.

Anzahl der Kommunen (ohne Landkreise) mit Stabilisierungshilfen.
Anzahl_Stabilisierungshilfen_Kommunen
Anzahl der Kommunen (ohne Landkreise) mit Stabilisierungshilfen.

Mit Programmstart 2012 erhielten lediglich 20 Kommunen Stabilisierungshilfen. Bereits 2013 nahmen 110 Kommunen teil mit einem stetigen Anstieg auf das Maximum 2016, als 143 und damit 7% der 2056 bayerischen Kommunen die Finanzhilfen gewährt wurden. Seitdem ist die Anzahl der Städte und Gemeinden, denen Stabilisierungshilfen zugesprochen werden, auf 101 gesunken. Mit der Modifikation 2019 und der Aufteilung in zwei Säulen (Säule: Schuldenabbau; Säule 2: Investitionen) nimmt der Anteil der Kommunen, die die Stabilisierungshilfen auch oder nur für Investitionen benutzen, zu.

Bezug der Stabilisierungshilfen nach Gemeindegröße (gemittelte Einwohnerzahl 2012-2022).
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Bezug der Stabilisierungshilfen nach Gemeindegröße (gemittelte Einwohnerzahl 2012-2022).

Die Empfänger von Stabilisierungshilfen sind in aller Regel kleine Orte, 122 der 193 Teilnehmer (63% und damit 10 Prozentpunkte mehr als im bayerischen Durchschnitt) haben weniger als 3.000 Einwohner*innen, weitere 51 Städte und Gemeinden haben zwischen 3.000 und 10.000 Einwohner*innen. Mit Fürth ist lediglich eine Großstadt mit über 100.000 Einwohner*innen im Programm und nur drei weitere Städte (Hof, Weiden i.d. Opf, und Bad Kissingen) haben mehr als 20.000 Einwohner*innen.

Bezug von Stabilisierungshilfen nach Regierungsbezirk
Bezug_nach_Regierungsbezir
Bezug von Stabilisierungshilfen nach Regierungsbezirk

Die Regierungsbezirke Oberfranken (Nordostbayern), Unterfranken (Nordbayern) und Oberpfalz (Ostbayern) stellen in dieser Reihenfolge – Oberfranken teils mit 50% aller Programmteilnahmen – in fast allen Programmjahren rund 80 bis 90% der Stabilisierungshilfen-Kommunen. Während der Anteil von Oberfranken und der Oberpfalz tendenziell abnimmt, steigt dagegen der Bezug von Konsolidierungshilfen unterfränkischer Kommunen nahezu kontinuierlich an.

Literatur:

  • Bayerisches Staatsministerium der Finanzen (2012): Gewährung von Bedarfszuweisungen gem. Art. 11 FAG an Gemeinden
  • Bayerisches Staatsministerium der Finanzen, für Landesentwicklung und Heimat (2014): Gewährung von Bedarfszuweisungen gem. Art. 11 FAG an Gemeinden.
  • Bayerisches Staatsministerium der Finanzen und für Heimat (2019): Gewährung von Bedarfszuweisungen und Stabilisierungshilfen nach Art. 11 BayFAG an Städte und Gemeinden; Richtlinien für das Antragsjahr 2019 einschließlich Neuausrichtung der Stabilisierungshilfen
  • Bayerisches Staatsministerium der Finanzen und für Heimat (2022): Der kommunale Finanzausgleich in Bayern. München.
  • Dudek, S. und Kallert, A. (2017): Gleichwertige Lebensverhältnisse in Bayern. Berlin: Rosa-Luxemburg-Stiftung. – Studien 2.
  • Frischmuth, B. (2013): Bestehende Entschuldungs- und Konsolidierungsprogramme: Gemeindefinanzbericht 2013. Mindestfinanzausstattung statt Nothaushalt. Berlin, 32–36.
  • Henzler, C. (2019): Unterstützung für arme Gemeinden: Fürackers milde Gaben. In: Süddeutsche Zeitung.
  • Person, C. und Geißler, R. (2020): Ein Fass ohne Boden? Vier Jahrzehnte kommunaler Schuldenhilfen in Deutschland. In: dms - der moderne staat - Zeitschrift für Public Policy, Recht und Management 13(1), 191-216.
  • Schwarting, G. (2013): Kommunale Entschuldungshilfen „Notwendige Hilfe“ oder „Bail-Out“? Mainz.