Schulden- und Konsolidierungsprogramme

Stärkungspakt Stadtfinanzen - NRW

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In der Verteilung der am Stärkungspakt Stadtfinanzen teilnehmenden Gemeinden und Städte drückt sich die Krise in Folge des Strukturwandels vor allem im Ruhrgebiet aus: Hier finden sich die meisten Stärkungspakt-Städte. Des Weiteren sind noch eher ländlich geprägte Kommunen im Bergisches Land und in der Eifel im Süden v

Die Lage der Kommunen in NRW zeigt sich eindrücklich darin, dass sich das Volumen der Kassenkredite seit 2000 fast verzwölffacht und 2014 die Höhe von 26 Mrd. € erreicht hat. Zugleich reduzierten sich die öffentlichen Investitionen der Kommunen so stark, dass sie im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung nur noch ein Drittel des Wertes von 1992 erreichen (Eicker-Wolf et al. 2017, 6; vgl. auch: Eicker-Wolf/Truger 2010, 21ff.). Die Bauausgaben in NRW sind die niedrigsten noch hinter dem Saarland, wodurch sich einerseits die Folgen aufgelaufener Defizite zeigen und worunter andererseits auch die Zukunftsfähigkeit der Infrastrukturen leidet (Bertelsmann Stiftung 2013, 69). Im Jahr 2011 befinden sich 44,7% der Kommunen in NRW in Haushaltssicherungskonzepten, sodass von einer breiten Haushaltskrise gesprochen werden muss (Rappen 2017, 50). Aufgrund dieser enorm prekären Finanzlage wurde auf Grundlage eines von Junkernheinrich und Kollegen erstellten Gutachtens der Stärkungspakt Stadtfinanzen aufgelegt. Der Stärkungspakt hat eine Laufzeit von 2011 bis 2020 und ein Gesamtvolumen von 5,21 Mrd. €. Im Gegensatz zu den Schuldenhilfsprogrammen in den anderen Bundesländern gibt es in der ersten Stufe ab 2011 eine pflichtige und in der zweiten Stufe ab 2012 eine freiwillige Teilnahme. Kriterium für die Teilnahme der pflichtigen Kommunen ist eine erwartete Überschuldungssituation in den Jahren 2011 bis 2013 (auf Basis der Haushaltswerte von 2010), für die freiwillige Teilnahme ein erwarteter Eintritt in die Überschuldung in den Jahren 2014 bis 2016. Grundlage für die Teilnahme ist also eine negative Eigenkapitalentwicklung und damit die erwartete bilanzielle Überschuldung bis spätestens 2016 (Ministerium für Inneres und Kommunales Nordrhein-Westfalen 2016, 24). Die Kommunen erhalten jährliche Zuweisungen zum Haushaltsausgleich, die sich an einem Grundbetrag (25,89€/EW) und am strukturellen Defizit bemessen. Im Gegenzug müssen die teilnehmenden Kommunen eigene Konsolidierungsschritte unternehmen: Hierfür wird ein Haushaltssicherungsplan (HSP) mit konkret zu entwickelnden und quantifizierten Konsolidierungsschritten vom (kommunalen) Rat beschlossen und der Bezirksregierung als Aufsichtsbehörde vorgelegt, mit dem der Haushaltsausgleich innerhalb von fünf (in der zweiten  Stufe sieben) Jahren mit sinkenden Konsolidierungszuschüssen erzielt werden kann (Otte/Liedtke 2022, 161). Spätestens 2020 muss dann der Haushaltsausgleich aus eigener Kraft (d.h. ohne Konsolidierungshilfen) erreicht werden. Die Einhaltung des Haushaltssanierungsplans wird von der Bezirksregierung überwacht (Zabler 2021, 55), indem die Gemeinde den HSP jährlich fortschreibt und einen Bericht zum Stand der Umsetzung des HSP auf Basis des bestätigten Jahresabschlusses vorlegt (SPG). Somit findet für Stärkungspakt-Kommunen eine Hochzonung der Aufsicht statt. Als zweite Ebene der Kontrolle legt dann die zuständige Bezirksregierung dem Ministerium für Kommunales einen jährlichen Bericht über die Einhaltung des HSP vor. Die Einhaltung des HSP ist die Zahlungsvoraussetzung für die Konsolidierungshilfen, ansonsten droht der betroffenen Gemeinde die Entsendung eines Beauftragten des Kommunalministeriums („Sparkommissar“), der die Rechte des Rates enorm beschneidet und die Aufgaben von Rat und Bürgermeister*in übernimmt (Stolzenberg/Heinelt 2013, 472; Otte/Liedtke 2022, 161).

Mit insgesamt 61 Teilnahmen (Stufe 1: 34, Stufe 2: 27) nehmen nur wenige Kommunen, die überwiegend im Ruhrgebiet liegen, Teil. Die Hilfen konzentrieren sich also recht stark (Bertelsmann Stiftung 2015, 129f.) und führen zu einem „interkommunalen Verteilungskampf“ (Junkernheinrich et al. 2016, 218; vgl. auch: Eicker-Wolf/Truger 2013, 32f.). So muss etwa die umstrittene, 2016 rechtlich jedoch bestätigte Solidaritätsumlage von abundanten Kommunen bezahlt werden (vgl. hierzu: Andrae/Kambeck 2014, 165). Der Verteilungskampf trifft in NRW auf fruchtbaren Boden, auf dem „besonders vielen Globalisierungsverliererkommunen wenige Gewinnerkommunen gegenüberstehen. Zudem sind sehr häufig Stärkungspaktkommunen gleichzeitig Globalisierungsverliererkommunen.“ (Truger 2018) Das Land und die Kommunen teilen sich die Kosten für den Stärkungspakt, wobei in der entsprechenden Forschungsliteratur Uneinigkeit über den exakten Umfang der Mittel besteht.

Laut dem Stärkungspaktgesetz bringt das Land für die gesamte Laufzeit (2011-2020) eine Summe von 3,79 Mrd. € für die Konsolidierungshilfen auf. Diese setzt sich zusammen aus 3,5 Mrd. € eigentlichen Landesmitteln und einem Beitrag zu den sog. Komplementärmitteln in Höhe von 286 Mio. €. Die Kommunen beteiligten sich mit 1,06 Mrd. € an den Komplementärmitteln. Hinzu kommt eine Solidaritätsumlage von 363 Mio. €, sodass die Kommunen insgesamt mit 1.42 Mrd. € am Stärkungspakt beteiligt sind. Am Gesamtumfang des Stärkungspakts von 5.21 Mrd. € ist das Land Nordrhein-Westfalen somit mit 73% und die kommunale Ebene mit 27% beteiligt. Junkernheinrich et al (2016, 218) weisen dabei darauf hin, dass die eigentlichen Landesmittel in Höhe von 3,5 Mrd. € ausschließlich für Kommunen der Stärkungspakt-Stufe 1 vorgesehen sind, also jene Kommunen, die zur Teilnahme verpflichtet sind, während die Mittel für die freiwillig teilnehmenden Kommunen der Stärkungspakt-Stufe 2 fast ausschließlich aus kommunalen Umverteilungsmaßnahmen finanziert werden.

Neben Rappen (2017,22) beziffern auch Andrae/Kambeck (2014, 164) den Gesamtumfang des Stärkungspakts mit 5,76 Mrd. € (statt 5,21 Mrd. €). Darüber hinaus benennen den Landesanteil mit ca. 4 Mrd. € (statt 3,5 Mrd. € bzw. 3,79 Mrd. €, wenn man die Beteiligung an den Komplementärmitteln mit einbezieht) und benennen den Anteil der kommunalen Mittel mit 30% (statt 27%). Zabler (2021, 171) beziffert die Komplementärmittel mit 2,35 Mrd. € (statt 1,7 Mrd. €).

Kritisiert wird am Stärkungspakt, dass er zum „besorgniserregenden Auseinanderklaffen innerhalb der kommunalen Familie“ beiträgt (Nees/Scholz 2020, 10), mit „gravierenden Kosten für die BürgerInnen, die Wirtschaft und die öffentlich Beschäftigten in den betroffenen Kommunen“ einhergeht und somit „automatisch zu Gewinnern und Verlierern“ führt (Eicker-Wolf/Truger 2015, 38). Der Evaluationsbericht des Ministeriums für Inneres und Kommunales sieht dagegen die Programmziele weitgehend erreicht und auch Rappen (2017, 5f.) schlussfolgert positiv, dass durch die Hebelwirkung jeder einzelne € an Konsolidierungshilfen 2,4 € an Konsolidierungsvolumen zu Folge hatte – allerdings müssen man festhalten, dass man bei zwei Drittel der Stärkungspaktgemeinden wegen fehlenden Eigenkapitals nicht von nachhaltigen Finanzen sprechen könne.

Literatur

  • Andrae, K. und Kambeck, R. (2014): Kommunale Konsolidierungshilfen der Länder – Fass ohne Boden oder alternativlose Maßnahmen zur Standortrettung? In: Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 63(2), 162–172.
  • Bertelsmann Stiftung (2013): Kommunaler Finanzreport 2013. Einnahmen, Ausgaben und Verschuldung im Ländervergleich. Gütersloh.
  • Bertelsmann Stiftung (2015): Kommunaler Finanzreport 2015. Einnahmen, Ausgaben und Verschuldung im Ländervergleich. Gütersloh.
  • Eicker-Wolf, K. und Truger, A. (2010): Entwicklung und Perspektiven der Kommunalfinanzen in Nordrhein-Westfalen. Düsseldorf.
  • Eicker-Wolf, K. und Truger, A. (2013): Kommunalfinanzbericht 2013. Perspektiven der Kommunalfinanzen in Nordrhein-Westfalen: Anforderungen an die Bundes- und Landespolitik. Düsseldorf.
  • Eicker-Wolf, K. und Truger, A. (2015): Kommunalfinanzbericht 2015. Perspektiven der Kommunalfinanzen in Nordrhein-Westfalen: Anforderungen an die Bundes- und Landespolitik. Düsseldorf.
  • Eicker-Wolf, K., Nees, M. und Truger, A. (2017): Kommunalfinanzbericht 2017. Perspektiven der Kommunalfinanzen in Nordrhein-Westfalen: Anforderungen an die Bundes- und Landespolitik. Düsseldorf.
  • Junkernheinrich, M., Markert, H. und Müller, C. (2016): Stärkungspakt Stadtfinanzen in Nordrhein-Westfalen: Eine finanzwissenschaftliche Bewertung des Zwischenstandes auf Basis von Ist-Daten der Jahre 2010 bis 2014. In: Zeitschrift für Kommunalfinanzen (10), 217–222.
  • Ministerium für Inneres und Kommunales Nordrhein-Westfalen (2016): Evaluation des Stärkungspaktes gemäß § 13 Stärkungspaktgesetz. Düsseldorf.
  • Nees, M. und Scholz, B. (2020): Kommunalfinanzbericht 2020. Kommunalfinanzen in Zeiten der Corona. Düsseldorf.
  • Otte, F. und Liedtke, A. (2022): 10 Jahre Stärkungspakt Stadtfinanzen – Ein Erfolg im Regierungsbezirk Münster? Wo stehen wir heute? In: Junkernheinrich, M. et al. (Hrsg.): Jahrbuch für öffentliche Finanzen 2-2022. Neue Knappheitsbedingungen, makroökonomische Unwägbarkeiten und wachsende Transformationsanforderungen. – Schriften zur öffentlichen Verwaltung und öffentlichen Wirtschaft 255. Stuttgart: Berliner Wissenschafts-Verlag, 157–172.
  • Rappen, H. (2017): Stärkungspakt Stadtfinanzen. Weg aus der Schuldenfalle oder gekaufte Zeit? Essen, Germany: RWI - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung e.V. – RWI Materialien Heft 120.
  • Stolzenberg, P. und Heinelt, H. (2013): "Die Griechen von NRW.". Kommunale Rettungsschirme der Bundesländer. In: dms - der moderne staat - Zeitschrift für Public Policy, Recht und Management 6(2), 463–484.
  • Truger, A. (2018): Anhaltende Krise der Kommunalfinanzen in NRW – lokale Verantwortung für negative Globalisierungsfolgen? In: Junkernheinrich, M. et al. (Hrsg.): Jahrbuch für öffentliche Finanzen 1-2018. – Schriften zur öffentlichen Verwaltung und öffentlichen Wirtschaft Band 240. Berlin: BWV, Berliner Wiss.-Verl., 451–468.
  • Zabler, S. (2021): Kommunale Schulden in Deutschland. Instrumente zur Bekämpfung auf dem Prüfstand einer synthetischen Analyse. Baden-Baden: Nomos.