Mit Geflüchteten über Geld reden: Neue Einblicke in alltägliche Bedarfe und Bedürfnisse

Uncertainty
© Liyou Kebede

Seit zwei Jahren untersucht ein internationales Forschungsteam der KU und der US-amerikanischen Tufts-University, wie Geflüchtete in Jordanien und Kenia ihre alltäglichen Geld- und Finanzangelegenheiten regeln und wie sich ihr Zugang zu entsprechenden Dienstleistungen gestaltet. Die bislang vorliegenden Ergebnisse sollen dazu beitragen, den Betroffenen eine stärkere wirtschaftliche Teilhabe zu ermöglichen und Instrumente der Entwicklungsarbeit noch besser auf die tatsächlichen Bedürfnisse auszurichten.

„Wer Maßnahmen entwickelt, mit denen Geflüchtete ihre alltäglichen Finanzangelegenheiten managen, stochert aktuell weitgehend im Dunkeln. Evidenzbasierte Forschung fehlte bislang. Diese Lücke wollen wir jetzt ein Stück weit schließen“, erklärt Prof. Dr. Hans-Martin Zademach. Er hat an der KU die Professur für Wirtschaftsgeographie inne und zusammen mit seiner Mitarbeiterin Swati Mehta Dhawan ethnographische Daten zur finanziellen Entwicklung von Geflüchteten in Jordanien gesammelt, die etwa aus Syrien, dem Jemen oder dem Irak stammen. Die Forschenden der Tufts-University haben sich wiederum auf die Lage von Geflüchteten in Kenia konzentriert, die aus Ländern wie Somalia, Äthiopien oder dem Kongo kommen. Gefördert wird das Projekt „Finance in Displacement: Exploring and Strengthening Financial Lives of Forcibly Displaced Persons“ (FIND) durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).

In diesem Frühjahr jährt sich der Beginn des Bürgerkrieges in Syrien zum zehnten Mal. Etwa 750.000 Menschen sind seitdem nach Jordanien geflohen. So auch die 45-jährige Syrerin Iman, die mit ihrer siebenköpfigen Familie als Geflüchtete in einer Kleinstadt untergekommen ist. Leben bedeutet für sie Überleben – jeden Tag, und das seit fast neun Jahren. 2012 kam die Familie nach Jordanien, schloss Freundschaften. Doch um im neuen Leben anzukommen, fehlen finanzielle Unabhängigkeit und Stabilität. Iman gehört zu den rund 100 Geflüchteten, deren finanzielle Entwicklung derzeit im Rahmen des FIND-Projektes untersucht wird. Sie wurden dazu in Leitfadeninterviews befragt, jeder Betroffene – soweit möglich – mehrmals zwischen September 2019 und Dezember 2020. Allein in Jordanien führte das Team der KU so 234 Gespräche, die im Schnitt gut zwei Stunden dauerten.

„Uns interessierte die gesamte wirtschaftliche Situation der Menschen. Wie managen sie ihren Alltag? Was passiert, wenn ein Familienmitglied krank wird? Wie wird die Miete gezahlt?“, schildert Professor Zademach. Neben finanziellen Stressfaktoren und Bewältigungsstrategien wurde insbesondere die Nutzung von Finanzdienstleistungen thematisiert. „Wir wollten die Bedürfnisse identifizieren und prüfen, welche Maßnahmen und Instrumente von den Betroffenen wirklich genutzt werden und ihnen helfen.“ Auch die Rolle von sozialen Netzwerken und Hilfsorganisationen wurde untersucht. Da finanzielle Themen für viele Betroffene sensibel sind, arbeitete das Forschungsteam intensiv mit „Local Researchers“ zusammen. Personen also, die vor Ort leben, mit Kultur und Sprache vertraut sind, und zugleich einen akademischen Hintergrund sowie Erfahrung mit qualitativer Forschung haben.

Auch wenn das Projekt noch bis Ende 2021 läuft, liegt bereits ein Großteil der Ergebnisse vor. Es zeigt sich über Ländergrenzen und persönliche Schicksale hinweg vor allem eine Gemeinsamkeit: große Unsicherheit. Die Mehrheit der Geflüchteten verharrt in der sogenannten „survivelihood phase“ – sie kämpft ums finanzielle Überleben. Ihr Einkommen stammt aus einfachen Hilfsarbeiten und reicht kaum, um die Grundbedürfnisse zu decken. Spenden und die Unterstützung von Hilfsorganisationen sind essenziell, die finanzielle Abhängigkeit hoch. 85 Prozent der syrischen Geflüchteten leben noch nach mehreren Jahren in Jordanien unter der Armutsgrenze.

Die von den Interviewten skizzierten finanziellen Lebenswege machen für das FIND-Team deutlich: Die Situation syrischer Geflüchteter wird maßgeblich beeinträchtigt durch den fehlenden Zugang zu wichtigen Dokumenten, die Schwierigkeit, eine Arbeitserlaubnis oder Geschäftszulassung zu bekommen, sowie den eingeschränkten Zugang zu bestimmten Berufen. Gleichzeitig stellten die Forschenden fest, dass sich die finanzielle Situation sehr stark danach unterscheidet, woher die Geflüchteten stammen. Nicht-syrische Geflüchtete aus dem Jemen, Irak, Somalia oder Sudan haben in Jordanien generell keinen Zugang zum legalen Arbeitsmarkt und werden auch von Hilfsorganisationen kaum unterstützt.

Um die Lebenswelt der Geflüchteten zu verstehen, brauche es empirische Daten, wie sie das FIND-Projekt erstmals liefert. Viele NGOs, humanitäre Organisationen und Politiker setzen darauf, die Situation der Geflüchteten mit zusätzlichen, digitalen Tools zu verbessern. Diese werden auch genutzt. „Aber das weitergehende Thema besteht darin, Unsicherheit zu beseitigen, indem man den Geflüchteten zunächst Zugang zu grundlegenden Rechten und Dienstleistungen sichert“, so Zademach. Dies zeigen auch die Zukunftswünsche der Geflüchteten, von denen sie in den Interviews berichten: „Am wichtigsten ist ihnen die Möglichkeit, legal zu arbeiten und sich selbstständig eine Existenz aufzubauen. Und solange das in Jordanien in weiter Ferne liegt, bleibt für viele der Westen das eigentliche Ziel.“

Am 20. und 21. April veranstaltet das FIND-Projektteam virtuell ein internationales Symposium, das die vorliegenden Ergebnisse aus Jordanien und Kenia zusammenfasst und diskutiert – ergänzt um Erkenntnisse aus weiteren Studien in Mexiko und Uganda. Weitere Informationen und Programm und Anmeldung finden sich unter http://sites.tufts.edu/journeysproject/find-symposium/