Die von Prof Dr. Isabelle Stauffer (FF III) und Prof. Dr. Stephan Kraft (Julius-Maximilians-Universität Würzburg) organisierte und von Veronika Born (FF III) unterstützte internationale und interdisziplinäre Tagung, finanziert von der Fritz Thyssen Stiftung, der SLF und dem ZRKG, fand vom 30. Mai bis 2. Juni 2024 in der Menantes-Literaturgedenkstätte in Wandersleben bei Erfurt statt. Die Menantes-Literaturgedenkstätte, dem galanten Dichter und späteren Pietisten Christian Friedrich Hunold (1680–1721) alias Menantes gewidmet, wird getragen von der dortigen evangelischen Kirchgemeinde. Pfarrer Bernd Kramer und Dr. Cornelia Hobohm haben das Rahmenprogramm zur Tagung, ein Eröffnungskonzert auf der dreihundertjährigen Schröter-Orgel der St.-Petri-Kirche Wandersleben, eine öffentliche Podiumsdiskussion zum Thema „Vom Umgang mit dem kolonialen Erbe“ und ein Festgottesdienst „Alle leben unter einem Himmel“ gestaltet.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer untersuchten die enge Verbindung der Galanterie mit dem Kolonialismus- und dem Orientdiskurs in Literatur, Musik und bildender Kunst um 1700. Dabei spielte die Wahrnehmung ‚des Anderen‘ – und mithin der anderen Religionen – eine wesentliche Rolle. Insbesondere an galanten Romanen, Zeitschriften und Opern wurde die kolonialistische Gewaltausübung und damit einhergehende koloniale Rechtfertigungsstrategien deutlich, indem ‚einheimische‘ Verhaltensweisen und religiöse Praktiken rhetorisch abgewertet wurden.
Neuere historische Untersuchungen haben die Präsenz von sogenannten ‚Beutetürken‘ – im Kontext der Türkenkriege verschleppte Bewohner des Osmanischen Reiches – und sogenannten ‚Hofmohren‘ – im Kontext von (Sklaven-)Handel und Kolonisation verschleppten dunkelhäutigen Menschen – an europäischen Höfen gezeigt. Dunkelhäutige Menschen an europäischen Höfen wurden meist schon im Kindesalter aus ihren Herkunftsländern verschleppt und in europäischen Hafenstädten gehandelt. An der Tagung wurde deutlich, dass nach ihrer Ankunft an den jeweiligen Höfen deren Fürsten dafür sorgten, dass sie getauft, frei gelassen und somit „von oben integriert“ wurden. Das bedeutete zugleich ihre Eingliederung in die adlige Gesellschaft und eine Stärkung der dynastischen Netzwerke. Die ‚Hofmohren‘ dienten der höfischen Repräsentation, und durch ihre Nähe zu den Herrschenden vollzog sich eine allerdings stets prekäre Privilegierung und wechselseitige Aufwertung. So war ihre Funktion als Pagen auf galanten Porträtbildnissen, wie Adriaen Hannemans Postuum portret van Maria I Stuart (1631–1660) met een bediende (1664), die Schönheit und den Reichtum der Porträtierten zu unterstreichen. Die Bildhintergründe mit europäischen Parkanlagen sollten nochmals die kulturelle Dominanz Europas herausstreichen. Um eine angestrebte, aber nicht wirklich erreichte Dominanz Europas ging es auch beim Meissener Porzellan, das chinesisches Porzellan imitierte und übertreffen sollte. Entsprechend wurden asiatische Figurinen für den europäischen Markt adaptiert, wie die buddhistische Figur der Guanyin, die an Maria-Figuren angepasst wurde. Zugleich versuchte der Gründer der Meissener Porzellan-Fabrik, August der Starke (1670-1733), darüber eine europäische Vormachtstellung zu behaupten. Insofern gibt dieses Porzellan Aufschluss über das europäische Selbstbild sowie innereuropäische Konflikte. Die Tagung zeigte auch, dass am Hof Augusts des Starken eine veritable ‚Turkomania‘ herrschte. Anlässlich der Hochzeit von Augusts Sohn mit der Kaisertochter Maria Josepha fand eine mehrwöchige Feier statt, die den Ruhm des Kurfürsten verbreiten und die türkische Kultur nachahmen sollte. Sie zeigte die Bewunderung für die militärische Stärke der Osmanen sowie die Faszination für die Pracht des türkischen Hofes. August wollte darin als „Türkenbezwinger“ seine eigene Überlegenheit demonstrieren.
An vielen europäischen Höfen gab es galante Kunstkammern, die Sammelns- und Bestaunenswürdiges aus aller Welt von Handels- und Forschungsreisen ausstellten. In diesen Kunstkammern ist zwischen zwei Wunderbegriffen zu differenzieren: „Miracula“ verweist auf religiöse Wunder, „mirabilia“ auf Naturwunder. Indem diese Objekte in den Kunstkammern ausgestellt, besehen und vor allem Gegenstand der Konversation wurden, wurden sie dem
galanten Diskurs anverwandelt.
Der neue Fokus darauf, wie stark der galante Diskurs von Kolonialismen und Orientalismen geprägt ist, dürfte die Forschung weiterführen und dessen materielle Basis sichtbar machen, da der koloniale Handel Wesentliches zur galanten Hofkultur beitrug. Dabei wird eine genauere Differenzierung zwischen Kolonialismus und Orientalismus sowie eine kritische Reflexion und Modifikation postkolonialer Analysekategorien für prämoderne Kontexte ebenso wie eine verstärkte Berücksichtigung innereuropäischer Differenzierungen zentral sein. Eine Veröffentlichung eines Tagungsberichts in einer renommierten Zeitschrift sowie der Beiträge in einem Tagungsband ist geplant.