Bildung, Bologna und Universität: Nur Fehlentwicklungen?

An der Tatsache, dass seit dem Beginn des Bologna-Prozess (1999), der eigentlich eine europaweite Harmonisierung der Studiengänge und –abschlüsse zur Folge haben sollte, Kritik an ihm geübt wird, hat sich bis zum heutigen Tage nicht geändert. Fundamentale Kritik übte auch der inzwischen emeritierte und international anerkannte Züricher Pädagogikprofessor Dr. Jüergen Oelkers, der im Rahmen der Interdisziplinären Ringvorlesung des „Forum K’Universale“ im großen Hörsaal der KU über Bildung, Bologna und die Universität referierte und dabei die Frage stellte, ob alles nur Fehlentwicklungen sind.

Oelkers durchstreifte zunächst die Bildungsgeschichte und merkte an, dass der Name Wilhelm von Humboldt immer wieder genannt wird, wenn  die deutschen Universitäten und speziell der Bolognaprozess und die Studienreform in die Kritik geraten. Dabei stehe Humboldts Name für das, was der deutsche Soziologe Helmut Schelsky 1963 Studieren in „Einsamkeit und Freiheit“ genannt hatte.  Die  Formel „Einsamkeit und Freiheit“ beschreibe aber vermutlich nicht das Verhalten sehr vieler Studenten, die die Freiheit der Universität nicht zwingend für das Studium nutzten und andererseits unter Druck standen, ihr Studium möglichst ohne Verzögerung abschließen zu müssen. So kam  Oelkers zu der Schlussfolgerung, dass es nicht möglich ist mit Bildungsidealen zu Beginn der modernen Universität deren Entwicklung im 21. Jahrhundert bewerten.

Schon war Oelkers in seinem Element und er hob mit seiner Kritik am Bologna-Prozess an.   Umstritten ist das Bologna-System, weil es Bildungserwartungen verletze. Das Studium ist in „Module“ unterteilt worden, wie man das aus der Industrie kennt,  die Lernzeit wurde standardisiert, jede Studienleistung ist mit einer Prüfung verbunden und so sei ein Verschulungsprozess in Gang gesetzt worden, der ein freies Studium nach eigenen Interessen nicht mehr zulasse.

Auf der anderen Seite wurden die großen Ziele nicht erreicht: Ein einheitlicher europäischer Hochschulraum ist nicht entstanden und auch kaum absehbar, weil die Bologna-Regeln in den nationalen Systemen sehr verschieden ausgelegt werden. Die Mobilität der Studierenden, ein zentrales Anliegen, hat sich nicht erhöht, von effizienteren Abläufen kann keine Rede sein, die Studienzeiten sind nicht kürzer geworden und der unproduktive Leistungsdruck hat zugenommen, aber das System ist etabliert und kann höchstens  verbessert, nicht jedoch wieder abgeschafft werden

Oelkers stellte dem deutschen, stark an der Administration aufgehängten System das kleinformatig-föderalistisch organisierte System der Schweiz gegenüber. Die Reaktionen auf die Bildungsdiskussion in der Schweiz fanden im Gegensatz zu Deutschland verhalten statt. Man hat gesehen, dass es bestimmte Schwachpunkte gibt, und man hat versucht, mittelfristig etwas zu unternehmen.

Wie soll jedoch die künftige Entwicklung der akademischen Lehre aussehen? Zunächst stellte Oelkers ernüchternd fest, dass die Frage, wie die Qualität der Lehre verbessert werden kann, ein internationales Thema ist, , das heute in zahlreichen Publikationen und Internetkommentaren weltweit  diskutiert wird. Offenbar ist die Unzufriedenheit nicht nur an angelsächsischen Universitäten groß, ohne dass so recht klar wäre, wie der Zustand verändert werden kann. Es gibt keine  wirklichen Anreize, die Reputation der Dozierenden hängt von den Forschungserfolgen und den Publikationen in Review-Zeitschriften, vermehrt auch von den eingeworbenen Drittmitteln, nicht von den Leistungen und Erfolgen in der Lehre, ab.

In einem dritten und letzten Komplex fragte Oelkers, wie sich Lehre entwickeln soll und welche Ideen helfen, die in Richtung Exzellenz gehen. Dabei nannte er protypisch die Universität Hamburg, die gerade die Entwicklung der Lehre als Gesamtaufgabe sieht und ein eigenes Leitbild Lehre entwickelt. Ein weiterer Schwerpunkt müsse auf einer evidenzbasierten Entwicklung liegen, wo es nicht nur darum gehe, die Zufriedenheit abzufragen, sondern Stärken und Schwächen der Lehre zu thematisieren und dann auch deutlich zu benennen. Ein zentrales Thema ist in diesem Zusammenhang auch die Verbesserung des E-Learnings. Bislang sei die Nutzung  der Angebote konservativ. 90% der Nutzung beziehen sich auf Folien oder Texte, die auf Plattformen zur Verfügung gestellt werden. Auch die Nachbereitung von  Vorlesungen in Blogs hat sich als sehr schleppend erwiesen. Hier ist eine Nachbesserung angesagt, wie auch in vielen anderen Bereichen, wie der Nutzung von Social Media oder der Einführung überfachlicher Module. „Wir werden Bologna nicht los“, schloss Oelkers seine Ausführungen, doch sei die Frage, wie man die Reform in Deutschland Stück für Stück verbessern kann.    

Edgar Mayer