Bilinguales Lernen in der Grundschule – ein Konzept, das nur Gewinner kennt
Es ist ein Erfolgsmodell mit großem Problemlösungspotenzial: Das Konzept „Lernen in zwei Sprachen“ ist fünf Jahre nach Ende des Modellversuchs in Bayern an rund 40 Schulen institutionalisiert. Prof. Dr. Dr. Heiner Böttger und Dr. Tanja Müller von der KU, die das Konzept entwickelt haben und wissenschaftlich begleiten, sehen darin zudem eine perfekte Antwort auf die Herausforderung mehrsprachiger Klassen.
In fast jeder Grundschulklasse gibt es heute Kinder, die zuhause nicht oder nicht nur Deutsch sprechen. Fünf, sechs verschiedene Muttersprachen in einer Klasse sind längst keine Ausnahme mehr. Heiner Böttger, Professor für Didaktik der englischen Sprache und Literatur an der KU, sieht das Konzept der Bilingualen Grundschule in diesem Kontext als erfolgsversprechende und integrative Zukunftsstrategie: „Englisch kann als Mittlerin zwischen Deutsch und anderen Muttersprachen fungieren. Alle Kinder beginnen im Englischen auf etwa dem gleichen Level – das ist eine echte Chance für alle.“
Die vielfältigen Vorteile des bilingualen Lernens zeigten sich im Modellversuch „Lernen in zwei Sprachen – Bilinguale Grundschule Englisch“ deutlich. Initiiert von der Stiftung Bildungspakt Bayern und dem Kultusministerium beteiligten sich daran von 2015 bis 2020 bayernweit 21 Grundschulen. Rund 1000 Kinder wurden in den Modellklassen in den Fächern Mathematik, Heimat- und Sachunterricht, Kunst, Musik und Sport nicht nur in deutscher, sondern auch in englischer Sprache unterrichtet.
Dr. Tanja Müller und Prof. Dr. Dr. Heiner Böttger
Das Konzept basiert auf einer klaren Rollenverteilung der beiden Sprachen: Zentrale Sachverhalte werden auf Deutsch vermittelt, die Vertiefungs- und Verarbeitungsphase findet auf Englisch statt. So wird sichergestellt, dass die bilingual lernenden Kinder wichtige Fachbegriffe und Zusammenhänge auf Deutsch parat haben. Gleichzeitig erschließen sie sich diese auch auf Englisch, indem sie experimentieren, malen, bauen, zeichnen, rechnen und ausprobieren. „Auf Englisch findet aber keine Erklärung mehr statt“, erklärt Didaktik-Professor Böttger. „Der Wortschatz ergibt sich von selbst, denn der Kontext ist breit genug.“ Bis zu elf Stunden pro Woche wurden im Modellprojekt bilingual unterrichtet, flankiert von Weiterbildungen für die Lehrkräfte.
Bilingual unterrichtete Kinder sind besser in Englisch - und Mathematik
Böttger und Müller begleiteten und evaluierten den Versuch wissenschaftlich und können nun eindeutig belegen: Die Leistungen von Grundschülerinnen und Grundschülern, die bilingual lernen, liegen in Englisch – sowohl im Hör- und Leseverstehen als auch im Schreiben – sehr deutlich über dem Schnitt Gleichaltriger. Bis zu zwei Jahre sind sie ihren Altersgenossen hier voraus. In den standardisierten Tests im Fach Deutsch zeigten die Kinder das gleiche Level wie ihre Altersgenossen, die nur auf Deutsch unterrichtet wurden. „Mehr Englisch führte zum gleichen Deutsch-Niveau, aber zu sehr deutlichen Vorteilen in Englisch und auch in Mathematik“, berichtet Tanja Müller. Die bilingual unterrichteten Kinder schnitten im standardisierten Vergleichstest DEMAT in Mathematik signifikant besser ab als der Bundesdurchschnitt. „Ursprung dieser überaus positiven Ergebnisse ist, dass man durch das bilinguale Lernen das kognitive Potenzial der Kinder früher und stärker fördert“, sagt Heiner Böttger, der auch in Psychologie promoviert hat. Das Verarbeiten zweier Sprachen wirke sich positiv auf den Aufbau und die Verstärkung bestimmter neuronaler Strukturen aus und beschleunige damit die kognitive Entwicklung.
Insbesondere die Klassen mit hohem Migrationsanteil zeigten sehr gute Ergebnisse in Mathematik. „Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund scheinen durch die Verarbeitung von drei und mehr Sprachen ihre kognitiven Potenziale vorteilhaft zu entwickeln“, erläutert Tanja Müller. Ein weiterer Grund, warum gerade für mehrsprachige Grundschulklassen das bilinguale Lernen ein Erfolgskonzept sein könnte.
Große Nachfrage, aber noch zu wenige Lehrkräfte
Die eindeutig positiven Ergebnisse führten in Bayern bereits zu einer Aufwertung von Englisch in der Grundschule: Zum Schuljahr 2020/21 legte das Kultusministerium fest, dass die Bilinguale Grundschule Englisch als reguläres Angebot fortgeführt wird. Gut 40 Schulen nutzen dies laut Böttger aktuell, wobei das Interesse deutlich größer sei: „In unseren Befragungen gab es nie Beschwerden von Eltern über das Bilinguale Konzept – sondern nur von Eltern, deren Kinder nicht in die Bili-Klasse kamen“, berichtet Böttger.
Das Nadelöhr zur breiteren Umsetzung seien die entsprechend geschulten Lehrkräfte, von denen es aktuell noch zu wenige gebe. Dabei biete das Bilinguale Lernen auch für Lehrkräfte Vorteile. Denn das Modell setze nicht auf starre Vorgaben, sondern auf die Kompetenz der Lehrkräfte: „Es gibt lediglich ein paar Grundsätze, zum Beispiel, dass weder Grammatik noch Wortschatz explizit erklärt wird, solange es keine konkreten Nachfragen gibt. Bei der weitergehenden Gestaltung sind die Lehrerinnen die Meisterinnen der Methodik – und das haben wir ihnen in den Schulungen auch vermittelt“, berichtet Böttger. Mit der Zeit habe sich so ein hohes Selbstbewusstsein in der Lehrerschaft entwickelt.
Aus seiner Sicht ist die Bilinguale Grundschule Englisch damit eine „Win-Win-Win-Situation für alle Beteiligten“. Dieses Potenzial wurde nun auch anderweitig erkannt: In Schleswig-Holstein bereitet das Kultusministerium derzeit eine flächendeckende Institutionalisierung der Bilingualen Grundschule Englisch vor und in Bayern starten, begleitet von Tanja Müller, ab November erste Planungen für ein „Bili“-Pilotprojekt an aktuell fünf Mittelschulen in Mittelfranken.