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"Wie oft müssen wir noch schlafen bis zum Heiligen Abend?" Familien mit Kindern kennen die leicht quengelnde Frage. So fragen Kinder aber schon seit über hundert Jahren. Denn in der Mitte des 19. Jahrhunderts hatte sich in den Wohnstuben des aufstrebenden Bürgertums die häusliche Weihnachtsfeier am Heiligen Abend durchgesetzt. Damit war der heilige Nikolaus als Gabenbringer abgelöst vom Christkind. Das wiederum hatte Martin Luther erfunden. Weil ihm die spätmittelalterliche Verehrung der Heiligen ein Dorn im Auge war, verlegte er kurzerhand den Kinderbeschenktag vom Nikolausfest auf Weihnachten, das Geburtsfest Christi. Für die Kinder war nun die Bescherung unter dem Weihnachtsbaum der Höhepunkt. Darauf fieberten sie hin, und dafür sollte ihnen ein Zählinstrument die Zeit des Wartens vor Augen führen. Die Idee des Adventskalenders war geboren.
Zunächst handelte es sich um einfache Strichkalender, bei denen man Tag für Tag jeweils einen der 24 an eine Tür gezeichneten Kreidestriche wegwischte. Aber dabei blieb es nicht, der Ideenreichtum der Eltern erwies sich als enorm: Es gab Weihnachtsuhren aus Pappe oder auch Kerzen mit Tagesmarkierungen, die man Abend für Abend abbrannte. Thomas Mann hat in seinen "Buddenbrooks" dem Adventskalender gar ein Denkmal in der Weltliteratur gesetzt: Er erzählt von der Kinderfrau Ida Jungmann, die ihrem Schützling Hanno einen Abreißkalender gebastelt hatte, mit dessen Hilfe der kleine Junge Weihnachten herbeisehnte.
Um 1900 setzte dann die Massenproduktion von gedruckten Adventskalendern ein: zunächst Ausschneidebögen, dann Advents- und Weihnachtshäuschen zum Aufstellen und die bis heute bekannten Kalender mit Türchen zum Öffnen, hinter denen sich ein Bild oder auch kleine Süßigkeiten verbargen. Heute erscheinen jedes Jahr rund 1000 verschiedene Adventskalender. Die finden sich inzwischen auch im Internet oder auf dem Smartphone.
In manchen Pfarrgemeinden gibt es den "lebenden" Adventskalender. An jedem Abend treffen sich Familien vor einer anderen Haustür in der Pfarrei. Wenn zur festgesetzten Zeit die Tür oder ein geschmücktes Fenster geöffnet wird, lässt sich ein Bild bestaunen, wird eine Geschichte erzählt oder gemeinsam gesungen. So sehr sich die Formen des Adventskalenders verändert haben, so unterschiedlich niveauvoll ihre Aussagen sein mögen, eines ist er geblieben: eine Zählhilfe, um bewusst dem Weihnachtsfest entgegen zu gehen.
Eine Zählhilfe ist auch der Adventskranz. Auf diese Idee kam der evangelische Pfarrer Johann Hinrich Wichern (1808-1881). Er hatte 1833 in Hamburg das "Rauhe Haus" gegründet, ein Heim für gefährdete Kinder und Jugendliche. Mit ihnen feierte er jeden Tag eine Adventsandacht. Dazu hängte er einen großen Tannenkranz auf, auf dem 24 Kerzen standen. Vom 1. Adventssonntag an wurde an jedem Tag eine weitere Kerze entzündet. Das Licht wuchs immer mehr, bis schließlich am Heiligen Abend alle 24 Kerzen brannten. Die Kinder konnten so erleben, was das Johannesevangelium von Christus sagt: "Das Licht leuchtet in der Finsternis" (Joh 1,5); und ihnen stand vor Augen, was Weihnachten bedeutet: Das "wahre Licht" (Joh 1,9) kam in die Welt, Gott wurde ein Mensch.
Die Idee des Adventskranzes zog Kreise. Weil der große Kranz mit 24 Kerzen für die heimischen Wohnungen zu sperrig war, gab es ihn in einer kleineren, handlicheren Version. Die 24 Kerzen reduzierte man einfach auf vier, für jeden Adventssonntag eine. Und in dieser Form breitete sich der Brauch des Adventskranzes zuerst in den evangelischen Gemeinden, nach dem Zweiten Weltkrieg auch in katholischen Familien und Gruppen aus.
Inzwischen hat der Adventskranz längst die Kirchenräume erobert und bildet hier ein sichtbares Signal für die Zeit des Advents. In der katholischen Kirche wird er meist eigens gesegnet, ein ausdrückliches Zeichen, dass das Licht der vier Kerzen den stufenweisen Aufstieg zum vollen Licht der Weihnacht anzeigt. Für die Christen ist das Licht ein Zeichen für Jesus Christus, das Licht der Welt. So erinnert sie der Adventskranz mit seinem wachsenden Licht an die große Hoffnung, dass nicht Dunkel und Tod, sondern Licht und Leben siegen werden.