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An Baumärkten, auf den Parkplätzen der Discounter und an vielen Straßenecken wird er jetzt wieder angeboten: der Weihnachtsbaum. Allein im letzten Jahr wurden rund 29 Millionen davon in Deutschland verkauft. Und wohl auch in diesem Jahr werden wieder 90 Prozent der Deutschen sich einen Weihnachtsbaum in die Wohnung stellen.
Bäume gelten in vielen Kulturen und Religionen als ein geheimnisvolles Symbol. Mit ihrer Wurzelkraft und den grünen Blättern weisen sie hin auf das Leben. In den Bäumen, die in den Himmel zu ragen scheinen, vermutet man den Sitz der Götter. Und die Dorflinde ist der Mittelpunkt für Versammlungen, um Beschlüsse zu fassen und Recht zu sprechen. Mit all dem hat der Weihnachtsbaum allerdings nichts zu tun. Sein Brauch ist originär christlichen Ursprungs. Der mancherorts noch gebräuchliche, ältere Name "Christbaum" erinnert daran.
Um 1600 haben wohl evangelische Christen im Elsass begonnen, einen Tannenbaum im Haus aufzustellen und ihn mit Äpfeln und Oblaten zu schmücken. Am Fuß des Baumes legten sie in einem Rechteck Moos aus und setzten ein kleines Gitter darum. So sollte eine Art Miniaturgarten entstehen. Gemeint war damit ein bestimmter Garten: der Paradiesgarten, von dem das erste Buch der Bibel erzählt. In seine Mitte hatte Gott den Baum des Lebens gesetzt (vgl. Gen 2,9). Aber nach dem Sündenfall war dem Menschen der Zugang zum Baum des Lebens versperrt (vgl. Gen 3,24). Die Konsequenz: ein Leben in Mühsal und Angst, in Gewalt und Tod. Auf den letzten Seiten der Bibel taucht dann das Bild vom Lebensbaum wieder auf. Da lässt die Offenbarung des Johannes Christus sprechen: "Wer siegt, dem werde ich zu essen geben vom Baum des Lebens, der im Paradies Gottes steht" (Offb 2,7). Zwischen dem Lebensbaum des Anfangs und dem Lebensbaum der Vollendung steht das Ereignis von Krippe, Kreuz und Auferstehung.
Der Weihnachtsbaum erinnerte also ursprünglich an den biblischen Lebensbaum. Darauf weisen auch Äpfel und Oblaten hin, der älteste Christbaumschmuck. Die Äpfel spielen, wie Sie schon ahnen, auf die Frucht vom Paradiesbaum und den Sündenfall an. Und die Oblaten, die ja wie die Hostien bei der Kommunion aussehen, sprechen vom Baum des Lebens, von dem Jesus den Menschen das Brot des Lebens reicht. Die Botschaft war klar: Die große Sehnsucht der Menschen nach gelungenem, unzerstörbarem Leben erfüllt sich in Jesus Christus, der sich selbst bezeichnet als "das lebendige Brot, das vom Himmel gekommen ist" (Joh 6,51) und der Mensch wurde in Betlehem, das übersetzt heißt: "Haus des Brotes". Der Weihnachtsbaum wollte seinen Betrachtern demnach die große Geschichte Gottes mit den Menschen vor Augen führen. Diese Geschichte hat mit der Geburt Jesu eine neue Wende genommen. Eine neue Zeitrechnung hat begonnen, denn dieses Kind in der Krippe wird die Dunkelheiten der Welt mit dem göttlichen Leben hell machen.
Es dauerte darum auch nicht lange und man ergänzte den Apfel- und Oblatenschmuck des Christbaums mit dem Symbol des Lichtes. Erstmals sollen 1621 fromme Stiftsherren aus Neustift bei Brixen auf die Idee gekommen sein, kleine Kerzen auf die immergrünen Zweige zu stecken und diesen Lichterbaum an den Altar der Stiftskirche zu stellen. So illustrierten sie das Weihnachtsgeschehen, bei dem das "wahre Licht" in diese Welt gekommen ist.
Später hängte man zusätzlich Nüsse, Spekulatius, Plätzchen und Zuckerzeug als Früchte des Paradiesbaumes an die Tanne; um sie als besondere Gaben herauszuheben, eingewickelt in Goldpapier. Christbaumkugeln und Lametta sollten später deren Nachfolger werden. Am Ende der Weihnachtszeit war es das Recht der Kinder, die "Früchte" des Baumes zu "pflücken", den Weihnachtsbaum zu plündern.
Lange Zeit blieb der Weihnachtsbaum ein Brauch vornehmer protestantischer Häuser, erst im 19. Jahrhundert eroberte er auch die Wohnzimmer katholischer Familien. Heute gehört er ganz selbstverständlich zum Fest wie der Christstollen und die Geschenkpakete. Das kann aber leicht vergessen lassen, dass in ihm eigentlich ein alter christlicher Weihnachtsbrauch fortlebt: die großer Erinnerung daran, dass mit der Menschwerdung des Gottessohnes der Weg der Erlösung beginnt. Wie heißt es im Weihnachtslied von Nikolaus Herman 1560: „Heut schließt er wieder auf die Tür / zum schönen Paradeis / der Kerub steht nicht mehr dafür. / Gott sei Lob, Ehr und Preis.“