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In meiner Heimatkirche in Oberhausen gibt es eine Krippe mit zahlreichen, lebensgroßen Gliederpuppen, die beweglich aufgestellt und stets mit neuen Kostümen ausstaffiert werden. Schon als Kind hat mich diese Krippe fasziniert. Als ob in einem Augenblick ein Film angehalten worden sei, so lebendig wirkten die Figuren der Menschen und Tiere auf mich. Aber nicht nur Kinder, auch viele Erwachsene fühlen sich von Krippendarstellungen angezogen. Mancherorts gibt es Fahrten zu historisch bedeutenden, zeitgenössisch interessanten oder einfach originellen Krippen. Die Krippe gehört einfach zu Weihnachten, oft auch da, wo der christliche Sinn des Festes längst in den Hintergrund getreten ist.
Die Idee der Weihnachtskrippe hat die Jesus-Frömmigkeit des hohen Mittelalters hervorgebracht. In dieser Zeit waren die Gläubigen vor allem am Menschen Jesus und seinen irdischen Lebensstationen interessiert. In frommer Andacht wollten sie die Erbärmlichkeit seiner Geburt im Stall und seines Verbrechertodes am Kreuz nachempfinden. Sie wollten betrachten, was Jesus alles auf sich genommen hat, um die Menschen zu erlösen. Der Theologe Bernhard von Clairvaux († 1153) bringt diese Frömmigkeit auf den Punkt: „Je armseliger er für mich geworden ist, desto lieber ist er mir" (PL 183,141f), predigt er. Darin zeigt sich nach ihm am deutlichsten, was der Mensch Gott wert ist.
Es war dann Franz von Assisi († 1226), der möglichst lebendig nacherleben wollte, wie es war, als Jesus in der Grotte von Betlehem geboren wurde. Für die Mitternachtsmesse am Weihnachtsfest des Jahres 1223 zieht er zu einer Grotte in einem kleinen Wald bei Greccio. Die Tiere sind da und die Hirten aus der Umgebung. Neben dem Altar steht ein Krippentrog. Aber ein "Jesuskind" liegt noch nicht darin. Denn Franziskus weiß, dass der menschgewordene Gottessohn ja in der Messfeier selbst real gegenwärtig ist; da braucht es keine Figur. Später stellten auch fromme Ordensschwestern eine Krippe in ihre Kirchen, in der sie auf Heu und Stroh nun aber ein "Jesuskind" betteten, es wiegten und betrachteten. Sie wollten sich hineinversetzen in die Situation der armseligen Geburt im Stall und es Maria gleich tun. Bei diesen spätmittelalterlichen Krippenandachten entstanden auch die ältesten deutschsprachigen Weihnachtslieder; so das noch mit Latein gemischte "In dulci jubilo".
Nach und nach vervollständigte man die Krippe mit dem Jesusknaben um das weitere Krippenpersonal: Maria und Joseph, die Hirten und die Könige, Ochs und Esel. Eine Weihnachtskrippe in dieser "Vollgestalt" scheint auf deutschem Boden erstmals 1601 in Altötting aufgebaut worden zu sein.
In der Barockzeit werden die Darstellungen immer aufwändiger und prächtiger. Vor allem möchte man die Krippenszenerie nun in die eigene, heimische Landschaft versetzen. So lässt man die Geburt Jesu in einem Bergdorf in Tirol, in einem westfälischen Bauernhof oder auf der Straße eines kölschen "Veedels" stattfinden. Denn es stimmt ja: Die Geburt Jesu ist nicht nur ein begrenztes Ereignis, das vor 2000 Jahren in Betlehem stattgefunden hat. Weihnachten ist nicht einfach eine vergangene Episode, die sich in einem unbedeutenden Flecken des römischen Weltreichs abgespielt hat. Gott bleibt in diesem Kind den Menschen aller Zeiten und aller Orten verbunden. Gott kommt auch in unser Leben und unseren Alltag. Da kann dann Jesus auch mitten in die Welt von heute hineingeboren werden, zwischen Kindern mit Baseballcaps und Skateboards und Fußballfans mit Jeansjacke und Fan-Schal.
Gott kommt in unsere Welt, er begegnet uns als Mensch unter Menschen. Darin liegt auch heute noch die Bedeutung der Krippe, mag sie klein oder groß sein, mit vielen Details liebevoll ausgestaltet wie auf einer Modelleisenbahn oder einfach beschränkt auf Maria und Joseph mit dem Jesusknaben – sie kündet davon, dass Gott in diese Geschichte, in diese Welt eingetreten ist und unser menschliches Leben geteilt hat. Die Weihnachtskrippe erinnert daran, warum es Weihnachten gibt, und sie weist auf das Ereignis hin, dass die Christen Jahr um Jahr als Anfang ihrer Erlösung feiern. Sie zeigt aber auch unmissverständlich, dass der Glaube der Christen sich nicht auf einen nebulösen Weltsinn, eine transzendente Kraft richtet, sondern einem Gott vertraut, der nicht für sich im Himmel geblieben ist, sondern einer von uns wurde, um uns seine rettende Liebe zu erweisen.