Das Gewissen der Destination: Die Kooperation von Kirche und Tourismus hat großes Potential

Fachtagung
© Harald Pechlaner

Achtsamkeit, Sinnstiftung, gutes Leben, Gastfreundschaft, Wertschätzung…lauter Schlüsselworte, welche sowohl in Kirchen als auch in der Tourismusdiskussion eine zentrale Rolle spielen. Die Technisierung und Digitalisierung der Welt, aber vor allem die stärker ins Bewusstsein geratende Unsicherheit und Ungewissheit sowie breites gesellschaftliches Unbehagen in Anbetracht der vielen Krisen in Umwelt, Gesellschaft, Politik, Kirche oder Wirtschaft rücken die genannten Schlüsselbegriffe wieder in den Vordergrund, erfordern ein Überdenken des kirchlichen Angebots und fordern eine Neuausrichtung der Rahmenbedingungen für touristische Entwicklung in Ländern und Regionen. Die Pandemie hat als globale Gesundheitskrise Spuren in der Gesellschaft hinterlassen, und verstärkt Hand in Hand mit politischen Krisen und digitalen Entwicklungen eine Polarisierung und destruktive Sensibilität im Umgang miteinander. Was bietet sich da mehr an, als die gesellschaftliche Bedeutung der Kirchen, aber auch des Tourismus näher in den Blick zu nehmen.

„Hier bin ich Mensch! – Von Wertschätzung und Wertschöpfung“ war der Titel einer Fachtagung zum Verhältnis von Tourismus und Kirche am 21. und 22. November im Kloster Seeon, ein Kooperationsprojekt von Erzdiözese München und Freising sowie Tourismusverband München Oberbayern mit aktiver Beteiligung der KU: Prof. Harald Pechlaner und Natalie Olbrich, beide an der KU-School of Transformation and Sustainability, forschen seit längerem an der Schnittstelle von Kirche und Tourismus, und so konnte bei zwei Vorträgen auf das Potential einer engeren Verzahnung von spezifischen Ausrichtungen der Kirchen und des Tourismus eingegangen werden. 

Im ersten Vortrag mit dem Titel „Tourismus und Kirche: Resilienz, Transformation und Nachhaltigkeit als gemeinsame Perspektive?" ging es um die Frage, warum und wie Tourismus und Kirche zusammenarbeiten können, um Resilienz in Zeiten des Wandels zu schaffen und einen nachhaltigen Weg in die Zukunft zu gestalten. Tourismus und Kirche spielen eine wichtige Rolle bei der Förderung gesellschaftlicher Nachhaltigkeit durch die Betonung von Achtsamkeit und die Vermittlung von grundlegenden Werten, um eine zukunftsorientierte Lebensführung als Gemeinsamkeit in den Blick zu nehmen. Die Reise des Lebens und das Reisen in und auf der Welt erfordern eine ständige Reflexion von Zielen und Konflikten auf dem Weg zu den Zielen sowie Bereitschaft zu Beteiligung und Gestaltung. Achtsamkeit, so Michael Seitlinger auf der Tagung, ist dabei die „Kultur des Innehaltens“, und verkörpert „die Grundkompetenz, da zu sein“.

Mit dem Vortrag „Das Gewissen der Destination: Ausblick auf Kooperationsfelder von Kirche und Tourismus" schloss Prof. Pechlaner die Fachtagung ab. Hier beleuchtete er die potenziellen Kooperationsmöglichkeiten zwischen Tourismus und Kirche vor dem Hintergrund aktueller Krisen. Die aktuelle Kirchenkrise erzwingt beispielsweise die Frage nach der zukünftigen Rolle von Pastoral und Seelsorge, gewissermaßen die Sorge um das Menschsein als zentraler Bestandteil einer gesellschaftlichen Verantwortung für nachhaltige Entwicklung. Der Tourismus wiederum, dessen wenig nachhaltige Personalpolitik und ebenso wenig verantwortlicher Umgang mit dem Wert von Dienstleistung viele Bereiche geradezu in Frage stellt und eine Personal- und Fachkräfte-Krise erkennen lässt, weil viele Menschen spätestens in der Pandemie die Vulnerabilität des touristischen Angebots erkannt haben und nicht mehr in den Tourismus zurückgekehrt sind, braucht wieder mehr Tiefgang und Möglichkeiten der Erfahrung anstelle des oberflächlichen Erlebnisses, und eine stärkere Anbindung an Fragen der Lebensqualität und Regionalität, worüber wiederum die Kirchen mit ihren Angeboten an besonderen „Orten des Glaubens“ im Spannungsfeld von Kunstgeschichte und Reflexion viel bieten können. Die Kirchen können zu einem glaubwürdig nachhaltigen Angebot in der Destination beitragen, und der Tourismus kann durch seine besondere Fähigkeit, Gastfreundschaft und Begegnung zu ermöglichen, den Kirchen durch einen erfahrungsorientierten Zugang zu Begegnung eventuell wieder Motivation für eine neue Pastoral mit auf den Weg geben und vor allem einer quasi erschöpften Gesellschaft mit körperlichen und spirituellen Erholungsdefiziten wieder resilient zu werden. Gewissen hat mit Reflexion zu tun und ermöglicht Gastfreundschaft, gewissermaßen eine Kernkompetenz von Kirche und Tourismus.

Die Fachtagung „Tourismus und Kirche" war ein bedeutender Schritt hin zu einem tieferen Verständnis für die Verbindungen zwischen beiden Welten, die so weit voneinander entfernt nicht sind.

Hier können Sie den Zeitungsartikel nachlesen.