Eine Entfremdung zwischen Philosophie und Theologie, die das Gespräch über Immanuel Kant (1724-1804) erschwere, konstatierte in seinem Einführungsvortrag der Inhaber des Lehrstuhls für Philosophische Grundfragen an der Katholischen Universität Eichstätt, Professor Norbert Fischer. Wenn es um Grundfragen menschlichen Lebens gehe – und eine solche sei die Gottesfrage –, gelte es jedoch, sich auf einen Grundsatz des Kirchenlehrers Augustinus zu besinnen: nämlich dass es „um des menschlichen Heiles willen keine Trennung von Philosophie, d.h. Streben nach Weisheit, und Religion“ geben dürfe. In dieser Tradition stehe auch Immanuel Kant, so Fischer. Kant habe auf seine Weise einen Beitrag zur Verteidigung der Grundlagen dieses Glaubens geleistet, indem er sich der Aufgabe stellte, „das Wissen auf(zu)heben, um zum Glauben Platz zu bekommen“.
An dieses Diktum Kants konnte der Erste Vorsitzende der Kant-Gesellschaft, der Trierer Philosophieprofessor Bernd Dörflinger, in seinem Vortrag anknüpfen. Platz zum Glauben eröffne sich, insofern Gott für Kant zwar weder ein möglicher Gegenstand der Erfahrung sein könne noch durch schlussfolgerndes Denken zu beweisen sei, woraus aber keineswegs die Unmöglichkeit des Daseins Gottes gefolgert werden könne. Die theoretisch-spekulative Philosophie betreffe nur einen Teil des Selbstverständnisses des Menschen, nicht aber seine Existenz als freies moralisches Wesen. Ein adäquater Gottesbegriff sei nach Kant jedoch allein aus dem moralischen Bewusstsein zu gewinnen. Philosophische Theologie sei daher nur als „Ethikotheologie“ möglich.
Der Referent betonte, dass der kantische Autonomiegedanke ausdrücklich Gott als äußeren Ursprung sittlicher Verpflichtung ausschließe: „Als moralisch autonom verstanden, gibt der Mensch als freies Wesen sich selbst ein Gesetz, das Sittengesetz; als Ergebnis solcher Selbstgesetzgebung ist moralische Verpflichtung dezidiert Selbstverpflichtung, nicht Fremdverpflichtung.“ Ins Spiel kommt der Gottesgedanke für Kant allerdings an der Grenze menschlicher Selbstmacht. Der „Endzweck“ der praktischen Vernunft, d.h. die „mit der Befolgung moralischer Gesetze harmonisch zusammentreffende Glückseligkeit vernünftiger Wesen“, müsse einerseits für realisierbar gehalten werden, übersteige andererseits aber die Macht des Menschen. Davon überzeugt zu sein, dass es in der Welt aufs Ganze gesehen vernünftig zugeht, setze die Existenz eines höheren und mächtigeren Wesens voraus – so die Gedankenführung in Kants „moralischem Beweis des Daseins Gottes“.
Die Ausführungen Dörflingers warfen ein Schlaglicht auf die Bedeutung der Gottesfrage in der Philosophie Kants, die in der Forschung bisher vernachlässigt wurde. Die von Norbert Fischer und seinem Erlanger Kollegen Maximilian Forschner herausgegebene Neuerscheinung "Die Gottesfrage in der Philosophie Immanuel Kants", in der die Beiträge des gleichnamigen Weltenburger Philosophischen Seminars vom Jahr 2009 dokumentiert werden, stellt sich diesem Desiderat der Kant-Forschung. Der mit großzügiger Unterstützung des Weltenburger Abts Thomas M. Freihart OSB und der Eichstätter Universitätsgesellschaft gedruckte Band ist, wie der Dekan der Eichstätter Theologischen Fakultät, Professor Konstantin Maier, es in seinem Grußwort ausdrückte, "in Zeiten des fortschreitenden religiösen Pluralismus der Postmoderne im Lehr- und Forschungsdiskurs von fundamentaler Bedeutung" und gereicht auch der gesamten Katholischen Universität zur Ehre.
Norbert Fischer/Maximilian Forschner (Hrsg.): Die Gottesfrage in der Philosophie Immanuel Kants (Forschungen zur Europäischen Geistesgeschichte 10). Herder Verlag 2010, 224 Seiten. ISBN 978-3-451-30135-3. EUR 39,90