Dem Boden auf den Grund gehen

Wer in seinem Garten mit dem Spaten ein Stück Boden freilegt, sieht mit bloßem Auge eine scheinbar unspektakuläre krümelige Struktur. „Doch der Boden befindet sich in einem ständigen Wandel – mit unmittelbaren Folgen für Fragen von Ernährungssicherheit oder Klimawandel“, erklärt Prof. Dr. Nadja Ray. Sie hat an der KU den Lehrstuhl für Geomatik und Geomathematik inne. Die Mathematikerin widmet sich in mehreren von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekten den bislang wenig untersuchten kleinsten Strukturen des Bodens.

Im Verbund mit Forschenden aus Bodenkunde, Biophysik, Geochemie, Mikrobiologie, Hydrogeologie hilft die Mathematik dabei wesentlich, um über Laborexperimente hinaus grundlegende Erkenntnisse zum Verständnis der Funktionsfähigkeit von Böden zu gewinnen.

Die sogenannten Mikroaggregate als Grundbausteine des Bodens bilden ein Netzwerk aus winzigen Poren. Sie weisen eine Größe von 250 Mikrometern und weniger auf, bestehen zum Beispiel aus Mineralien und organischer Substanz. Doch in Summe haben die kleinen Strukturen eine große Wirkung, die sich wiederum im größeren Maßstab entfaltet – sowohl als Speicher für Wasser als auch für Kohlenstoff. Generell werden Mikroaggregate in der Forschung als Medium angesehen, das Kohlenstoff über mehrere hundert Jahre speichern und so die organische Substanz in Böden kontinuierlich halten kann. Zudem bilden sich in der feinen Struktur auf kleinstem Raum mikrobielle Gemeinschaften, die unterschiedliche Eigenschaften des Bodens regulieren. Doch für das genaue Verständnis der Abläufe in Mikroaggregaten fehlten bislang noch viele Erkenntnisse. Der dreidimensionale Auf- und Umbau sowie Prozesse, die zur Stabilisierung der kleinsten Bodenstruktur beitragen, sind erst in den letzten zehn Jahren intensiv erforscht worden.

Ein klassischer Weg für den Einblick in Mikroaggregate besteht in der Untersuchung von Bodenproben – unter anderem durch Computertomografien. „Dies ist zum einen zeit- und kostenaufwändig, zum anderen entsteht so lediglich die Momentaufnahme eines sehr kleinen Ausschnitts, der aus seiner natürlichen Umgebung entnommen worden ist“, erklärt Professorin Nadja Ray. „Uns interessiert nicht nur das Foto, sondern gewissermaßen auch das Video.“ An dieser Stelle kann Mathematik den Blick weiten: Auf Grundlage der experimentell gewonnenen Erkenntnisse haben Ray und ihr Kollege Dr. Alexander Prechtel von der Universität Erlangen-Nürnberg zusammen mit Promovierenden als Teil des DFG-Projektes „MadSoil“ mathematische Modelle erstellt, mit denen sich die Abläufe im Boden zeitlich und räumlich dynamisch visualisieren lassen.

Ziel ist es dabei nicht, die Realität lediglich detailgetreu nachzubilden, sondern die Rechenleistung zu nutzen, um die grundlegenden Prozesse im Boden zu modellieren und zu begreifen. „Wir wollen nicht nur beschreiben und abbilden, sondern verstehen: Was passiert, wenn man einen bestimmten Einflussfaktor verändert, der sich in einem Experiment nur schwierig eliminieren ließe? Welche Teile im System sind wichtig, welche weniger“, sagt Ray. Auf diese Weise lasse sich zum Beispiel auch der Kreislauf aus Zerfall und Neubildung eines Mikroaggregates modellieren, der von vielen Faktoren wie elektrischen Ladungen oder der mineralischen Zusammensetzung abhänge. Auch die Abbauprodukte von Kohlenstoff haben Einfluss auf die Stabilität des Mikroaggregates. Hinzu kommt, dass die Substanzen nicht gleichmäßig im Mikroaggregat verteilt sind und dies in mathematischen Modellen ebenfalls berücksichtigt werden kann.

Reizvoll an der fachübergreifenden Arbeitsweise der DFG-Forschungsgruppe sei der laufende Austausch mit anderen wissenschaftlichen Disziplinen und das Ringen um das gegenseitige Verständnis der fachspezifischen Forschung, sagt Nadja Ray. Das gelte auch für ein DFG-Schwerpunktprogramm, bei dem Mais als weit verbreitete Nutzpflanze im Mittelpunkt steht. Dabei greifen verschiedene Perspektiven ineinander: Während sich einige Forschende etwa der gesamten Pflanze und deren Wachstum widmen, konzentriert sich die KU-Professorin auf die mathematische Modellierung von Prozessen, die im direkten Umfeld der Wurzeln stattfinden: „Die feinen Wurzeln drücken durch ihr Wachstum Bodenteilchen zusammen, die Pflanze selbst verändert also den Boden. Der dadurch entstehende Hohlraum kann später von anderen Wurzeln genutzt werden, wenn die Pflanze ihre Lebenszeit überschritten hat.“

Welche Rolle diese Bioporen spielen und wie Pflanze und Boden miteinander interagieren, ist eine Frage des Projekts. Untersucht wird auch der Effekt von sogenannter Mucilag – eine Art Gel, das die Wurzeln ausscheiden. Sie dient unter anderem als Puffer in trockenen Zeiten und wirkt zugleich wie ein Kleber in der Bodenstruktur. Diese Substanz lasse sich jedoch in Computertomographieaufnahmen nur schwierig von Wasser unterscheiden. Die mathematische Modellierung und Computersimulationen könnten daher experimentelle Erkenntnisse ergänzen. Neben dem Verständnis der feinen Architektur des Bodens will Ray Grundlagen für Erkenntnisse zum Transport von Nährstoffen und Wasser im Boden schaffen: „Perspektivisch geht es vor dem Hintergrund des Klimawandels auch darum, welche Faktoren das Wachstum von Nutzpflanzen beeinflussen und welche besonders robust für sich ändernde Bedingungen sind.“ Für das tiefere Verständnis solcher Prozesse bedürfe es eines Wechselspiels zwischen den wissenschaftlichen Disziplinen. Auf Grundlage von Experimenten und konzeptionellen Vorstellungen der Geowissenschaften entstünden mathematische Modelle, mit denen sich Hypothesen testen lassen und die zu weiteren praktischen Experimenten inspirieren könnten.