Lernort Hauptstadt: Studierende sprechen mit Vertreter:innen aus Politik und der Bundeswehr

Deutsche Sicherheitspolitik im aktiven Austausch - Studierende sprechen mit Vertreter:innen aus Politik und der Bundeswehr

Die aktuelle Situation in der Ukraine macht bewusst, wie zentral und wichtig die Auseinandersetzung mit den Themen Frieden und Sicherheitspolitik ist. Alltäglich hören wir derzeit von Kriegserklärungen, Angriffen und entgegentretenden Friedensdemonstrationen. Was sich vergangenen Sommer noch in Afghanistan als hinziehender und brutaler Krieg entwickelte, ist nun auch Realität in der Ukraine geworden, in einem europäischen, unabhängigen Staat. Kaum jemand hat mit einer derartigen Entwicklung gerechnet und schon gar nicht war ein Krieg in Europa im vergangenen Oktober absehbar. Wir sind im Herbst letztens Jahres unmittelbar nach den dramatischen Veränderungen in Afghanistan in den Austausch getreten: Was verbirgt sich eigentlich hinter Begriffen wie Krieg, Frieden und Sicherheitspolitik? Beim gemeinsamen Abendessen mit Soldat:innen der Bundeswehr, in Diskussionen mit hochrangigen Vertreter:innen der politischen Szene, einordnenden Gesprächen und informellen Dialogen – mal ein ganz anderes Lernszenario.

Lernort Hauptstadt Seminar

Es ist ein kühler, grauer Herbstnachmittag, als wir nach einer langen Anreise aus Eichstätt in Berlin ankommen. Einige von uns sind zum ersten Mal hier, andere kennen die Stadt aus der Kindheit, waren schon zum Sightseeing mit der Familie zu Besuch - Berlin, Deutschlands Hauptstadt und politische Hochburg, das sollte man schließlich schon mal gesehen haben. Wir haben diesmal allerdings andere Absichten: Als interdisziplinäre Studierendengruppe der KU Eichstätt sind wir in Begleitung der Professoren Dr. Uto Meier und Dr. Martin Schneider für eine Woche in Berlin zum sicherheitspolitischen Seminar „Deutsche Sicherheitspolitik - Kultur, Kommunikation” vom Zentrum für Informationsarbeit der Bundeswehr (ZInfoABw) eingeladen. Nach intensiven Vorbereitungen haben wir nun die Chance direkt und kritisch nachzufragen, Themen anzusprechen, die uns besonders auf dem Herzen liegen und spannende Einblicke und Informationen aus erster Hand zu erhalten. Gerade im Kontext aktueller Entwicklungen in Afghanistan waren wir schon während unserer Vorbereitungen sehr gespannt auf diese einzigartige Möglichkeit.

Seit dem Sommer haben wir uns in mehreren, intensiven Seminaren auf unsere Woche in Berlin vorbereitet: auf die inhaltlichen Aspekte rund um eine Einführung zu Frieden und Sicherheit, aber auch auf den angemessenen Umgang mit Gesprächspartner:innen im unmittelbaren Austausch. In den vergangenen Monaten hatten wir aufgrund der anhaltenden Corona-Maßnahmen kaum die Möglichkeit unter andere Studierende zu kommen, saßen zumeist in Online-Vorlesungen vor unseren Laptops in unseren kleinen, gemütlichen WG-Zimmern. Für das Seminar standen plötzlich Präsenztermine an - rauskommen, was Neues lernen und die Möglichkeit neue Leute zu treffen. Besonders die interdisziplinäre Zusammensetzung aus vier verschiedenen Studiengängen - Religionspädagogik, Lateinamerikastudien, Politikwissenschaft und Journalistik - machte die Zusammenarbeit gerade so spannend. Die verschiedenen Blickwinkel waren nicht nur in der Vorbereitungsphase äußerst spannend, sondern lieferten auch für die Seminarwoche anregende Positionen und Ideen, die ohne die fachübergreifende Aufstellung wohl nicht zusammengekommen wären. 

Nicht nur aufgrund der verschiedenen fachlichen Backgrounds, die in dem Seminar zusammenkommen, sondern auch aufgrund unterschiedlicher persönlicher Ansichten, stellten sich bereits die einleitenden Veranstaltungen als diskussionsreiche Ausgangssituation dar. Frieden - darunter stellt sich jeder etwas anderes vor. Eine klare Definition zu geben, ist gar nicht so einfach. Unterschiedlichste Menschen auf der ganzen Welt wünschen sich Frieden, stellen sich Frieden als Idealzustand vor. Aber was ist darunter eigentlich zu verstehen? Bedeutet Frieden, einfach gesagt, dass es keinen Krieg gibt? Wo herrscht eigentlich Frieden? Wo fängt Frieden an und wo hört Frieden auf? Für die einen ist Gerechtigkeit die Grundvoraussetzung von Frieden, gesellschaftliche Situationen, in denen alle gleichberechtigt leben können. Im Umkehrschluss dieser Annahme entstehen Kriege auf Grundlage von Ungerechtigkeit. Andere assoziieren mit Friedensbewahrung Investitionen und Bereitstellung von Rüstungsgütern, um gar nicht erst zur Zielscheibe zu werden. Aufgrund vielschichtiger Wahrnehmungen von Frieden haben wir auf der ganzen Welt in den verschiedenen Ländern und Staatsformen teils stark variierende Ansätze für die Erreichung von Frieden. Auch in unserem Seminar hat sich gezeigt, dass sich die Wahrnehmungen - wenn auch nur schwach - unterscheiden und somit auch die Meinungen zu beispielsweise Institutionen wie der Bundeswehr auseinander gehen können.
Genauso gehen auch die Meinungen zum Begriff der Sicherheit und die Vorstellung, wie für Sicherheit gesorgt werden kann, weltweit auseinander. Kurz vor unserer Anreise nach Berlin haben wir uns auch mit diesem Thema intensiv auseinandergesetzt. In einem einführenden Seminar, gehalten von den Organisatoren Dr. Philip Jan Schäfer und Charalampos Karpuchtsis, die uns während der gesamten Zeit in Berlin begleitet haben, wurde kritisch beleuchtet, was man im Sinne von Sicherheit aus einer deutschen Perspektive erreichen will. Mit Sicherheit wird insbesondere die Gewährleistung des Schutzes von Staaten und ihren individuellen Bürgern vor äußeren Schädigungen verbunden. Aber mit Sicherheit - und das ist besonders im Kontext der vorangegangenen Auseinandersetzung mit dem Friedensbegriff sehr wichtig - werden im äußersten Fall auch Kriege gerechtfertigt, die sich wiederum mit vielen Aspekten von Frieden nicht vereinigen lassen. Hinzu kommt, dass die Umstände immer komplexer werden: nicht nur politische und gesellschaftliche Veränderungen beeinflussen die Prinzipien von Sicherheit. Auch zunehmend globale Umweltrisiken verändern die Sicherheitskonzepte und sorgen für stetige Veränderungen. Gleichzeitig modernisiert sich in anderen Teilen der Welt das Kriegsverständnis. Hier geht es um Drohneneinsätzen, hybrider Kriegsführung und Cyberangriffen, die alle für umfassende Ausweitung der Komplexität von Kriegen und Sicherheit sorgen. Aber wer ist in der deutschen Sicherheitspolitik für alle diese Punkte zuständig? Genau an dieser Stelle kommen die Gesprächspartner:innen der Seminarwoche zusammen, die jeweils mit einem unterschiedlichen Schwerpunkt und aus verschiedenen Perspektiven einen Anteil zur Sicherheitspolitik beitragen und weitere Einblicke in die ineinandergreifenden Strukturen gegeben haben. 

Für unseren ersten Termin in Berlin sind wir mit der gesamten Gruppe zur Redaktion der Bundeswehr gefahren, die im Zentrum der Stadt sitzt. Die letzten Meter haben wir zu Fuß zurückgelegt und sind entlang der Spree durch das Regierungsviertel gelaufen. Vorbei am eindrucksvollen Marie-Elisabeth-Lüders-Haus und dem Reichstagsgebäude hinter uns, haben wir hier erste Eindrücke der Stadt mitnehmen können. Angekommen in der Redaktion treffen wir auf zwei Jugendoffizier:innen der Bundeswehr, die uns über die ganze Woche verteilt immer wieder begleiten werden. Als Bindeglied zwischen Bundeswehr und der Gesellschaft tragen sie in ihrer Position das Thema in die Öffentlichkeit, erzählen, was die Arbeit von Soldat:innen eigentlich ausmacht. Und so bekommen auch wir eine erste Vorstellung, wie umfangreich diese Aufgabe sein kann. Im Hintergrund laufen während des Vortrags immer wieder Soldat:innen durchs Bild. Keine zwei Minuten später laufen sie als Zivilist:innen zurück - raus aus ihrer professionellen, teilweise vorurteilsbehafteten Rolle, verschwinden sie unauffällig in der Mitte der Gesellschaft, im Tumult Berlins. Später berichtet eine junge Jugendoffizierin im beiläufigen Gespräch, dass sie sich zunächst an die fragenden, teils kritischen Blicke gewöhnen musste, wenn sie draußen in Uniform unterwegs ist. Ungewohnt ist es für uns am Anfang allerdings auch, wiederholt Soldat:innen und Jugendoffizier:innen in voller Montur zu sehen. Im Vortrag heben die beide Referent:innen stark hervor, dass sie mit ihrer Arbeit keine Meinung vorschreiben wollen, dies explizit sogar nach dem sogenannten Beutelsbacher Konsens gar nicht dürfen. Ein Jugendoffizier zeigt auf ein Plakat hinter uns: “Wir kämpfen auch dafür, dass du gegen uns sein kannst”, steht in fetter Schrift geschrieben. Gerade für die Studierenden unter aus, die bislang mit einem kritischen Blick auf die Arbeit der Bundeswehr geblickt haben, ist dies ein interessanter Hinweis: Alle, auch die größten Kritiker:innen, dürfen sich angesprochen fühlen, sind dazu aufgerufen gerne auch kritisch zu Hinterfragen - der Raum für Austausch war hier gleich zu Beginn geschaffen. Aber was fragt man dann eigentlich, wenn jede Frage erlaubt ist?

Genau für solche Situationen, in der jegliche Nachfrage erlaubt ist, wurden wir nicht nur fachlich auf unsere Gespräche und Diskussionen in Berlin vorbereitet, sondern haben im Rahmen der Transaktionsanalyse zudem in der Vorbereitung gelernt, Kommunikation besser zu verstehen - eine Neuheit in diesem Jahr. Der lehrende Transaktionsanalytiker Christoph Seidenfus, der uns auch während der Seminarwoche in Berlin mit Tipps und Hinweisen zur Seite stehen sollte, hat gemeinsam mit uns erarbeitet, in welchen verschiedenen Zuständen sich Menschen befinden und wie diese das Verhalten in der Kommunikation beeinflussen können. Übungen zu unserer eigenen Persönlichkeit, Grundlagen zur menschlichen Interaktion und Gesprächssettings haben uns auf eine erfolgreiche Kommunikation vorbereitet. Christoph Seidenfus erläutert zu der Veränderung: „Bis einschließlich 2021 lagen Organisation und Durchführung des Berlin-Seminars ausschließlich in den Händen der Veranstalter auf Seiten der KU und des ZInfoABw – die Studierenden waren mehr oder weniger in einer passiven Rolle. Dies wollten Uto Meier und ich 2022 ändern und den Kommiliton*innen die Chance eröffnen, sich aktiv am Geschehen zu beteiligen.” Auf dieser Basis wurden anschließend auch die Termine mit den Gäst:innen in Berlin geplant: allen Studierenden wurde mindestens eine aktive Rolle im Austausch mit Expert:innen zugeordnet, sei es in Interviewsituationen, als Gastgeber:innen beim gemeinsamen Essen oder als Gesprächspartner:innen in Diskussionen. Die Transaktionsanalyse sollte dabei auch helfen, sich selbst in Kommunikationssituationen besser reflektieren zu können, um auch in herausfordernden, kritischen Interaktionen nicht aus der Rolle zu fallen. Für die Erarbeitung dieser Ausgangsposition stellt Herr Seidenfus seine Rolle als Entwicklungshelfer dar: „Ich trage mit meiner Arbeit dazu bei, andere dabei zu unterstützen, sich zu entwickeln, so zu mehr Kompetenz und persönlicher Autonomie zu finden. Und das geht nun mal besonders gut, wenn man aktiv etwas tut.” Und auch bei uns Studierenden kam die Position einer aktiven Rolle sehr gut an, auch wenn viele am Anfang noch Respekt vor dieser Aufgabe hatten: „Schlussendlich in Berlin und auch durch die Transaktionsanalyse hat man sich dann mehr getraut, weil man wusste, man hat das Recht Fragen zu stellen und die Diskussion zu leiten”, berichtet eine Studentin später.

Die ersten Einblicke in das Leben der Jugendoffizier:in sind noch frisch als wir uns darüber austauschen, wie überrascht man selbst von diesem ersten Eindruck ist. Charalambos Karpouchtsis gibt anschließend einen Einblick in seine Forschung – es geht um das wichtige und langwierige Thema Versöhnung. Am Beispiel der Versöhnungspolitik zwischen Griechenland und Deutschland – politische Seiten, die teilweise jahrelang medial stark thematisiert wurden – erklärt er der Seminargruppe, wie viel Aufwand, wie viel Aufeinander Zugehen und politisches Feingefühl sich hinter diesem Prozess der Versöhnung verbirgt.

Nach dem ersten inhaltlichen Input der Seminarwoche müssen die neu gesammelten Eindrücke erstmal sacken. Bei einem eher informellen Abendessen geht es an fünf Tischen in kleinen Gesprächsrunden zwischen Jugendoffizier:innen und Studierenden um die Thematik der Woche: Frieden und Sicherheit. Gleich zu Beginn wird klar, dass man sich auf Augenhöhe unterhalten kann. Die Jugendoffizier:innen sind offen für Fragen jedweder Art. Die Neugier seitens der Studierenden zum Thema Afghanistan ist besonders groß. So wird der jahrelange Bundeswehreinsatz in dem Land schnell zum Gesprächsthema Nummer 1: Eindrücke, Berührungspunkte und persönliche Meinungen – die Jugendoffizier:innen teilen viele Gedanken mit uns.

Das Abendessen wird zum Kickoff-Event einer ereignisreichen Woche, die uns noch bevorstehen sollte. Ein Programm vollgepackt mit spannenden Themen: von interkulturellem Dialog über hybride Kriegsszenarien bis hin zur Militärseelsorge und der Bundestagswahl – in der deutschen Hauptstadt wird für uns diese Woche einiges an Themen abgedeckt.

Nach unserer ersten Nacht in einem für uns doch sehr ungewohnten Umfeld der Julius-Leber-Kaserne – benannt nach dem SPD-Politiker und Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus Julius Leber – im Norden Berlins, wo unter anderem das Feldjägerregiment 1 der Bundeswehr stationiert ist und das Kommando Territoriale Aufgaben der Bundeswehr für reale Notlagen üben kann, geht es am Morgen schon früh mit dem Programm los. Auf dem Weg zum Frühstück sehen wir Soldat:innen bei morgendlichen Laufrunden und frühstücken am Nachbartisch von Kommandeuren in Uniform.

Auf dem Weg zur ersten Location der Woche – ein Tagungsraum eines großen Hotels in Berlin Mitte – tauschen wir uns untereinander gespannt bereits in der vollen U-Bahn über die erste Gesprächspartnerin aus: eine Vertretung aus dem Auswärtigen Amt. Bei dem ersten Gesprächssetting der Woche soll es um Kultur und interkulturellen Dialog in der deutschen Außenpolitik gehen. Die Stimme aus dem Auswärtigen Amt betont, dass es bei der Arbeit des Außenministeriums um weitaus mehr geht als nur um offizielle Treffen mit Staatsoberhäuptern, Krisenmanagement im Ausland oder humanitäre Hilfe in Notlagen. Es geht darum, ein Verständnis für Länder und Kulturen aufzubringen. Extrem wichtig ist hier, dass Land nicht gleich Kultur bedeutet. Ein konkretes Ziel des Auswärtigen Amts ist beispielsweise der Kulturerhalt: Alles, was prägend für das Wesen von Menschen dieser Länder oder Kulturen ist, soll erhalten bleiben und unterstützt werden – der Auftrag Deutschlands ist es hier, nicht-kommerziell der Welt etwas zurückzugeben. Die Idee, dass Deutschland im Ausland die eigene Kultur präsentiert, wird kategorisch verneint. Vielmehr geht es darum, Brücken zu bauen. Die Diplomatie hat ein klares Ziel: Bindung aufbauen. In unserem Gespräch mit der Vertreterin des Auswärtigen Amtes geht es vor allem um Kulturerbe aus kolonialen Zeiten – ein sensibles Thema. Mit dem Kulturerhaltprogramm unterstützt das Auswärtige Amt etwa die Bewahrung kulturellen Erbes im Ausland. Es geht darum, das Bewusstsein für die eigene nationale Identität zu stärken und einen interkulturellen Dialog zu fördern. Wir sprechen darüber, wie Kulturgüter einer Kultur in einem anderen Staat landen, also den Verkauf von Gütern oder auch um das zum Teil verschleierte Thema von geplünderten Kulturgütern. Im Gespräch erfahren wir einen ehrlichen Austausch zu Themen, mit denen nicht jeder tagtäglich konfrontiert wird.

Ein Thema bleibt auch heute von den Studierenden nicht unangesprochen: Afghanistan. Mit dem 20 Jahre langen Bundeswehreinsatz hat Deutschland zunehmend versucht, dem Land am Hindukusch seine identitätsstiftende Kultur wiederzugeben, die die Taliban jahrelang vor 2001 unterdrückt und weitgehend zerstört hatten – die nationale Identität des Landes sollte nachhaltig gestärkt werden, so zumindest der Plan. In den vergangenen Wochen hatte man viel zu der Forderung nach diplomatischen Beziehungen mit den Taliban gehört. Diplomatie, das klingt auch in diesem Kontext erstmal gut. Aus den Reihen der Studierenden wird eine wichtige Frage gestellt: Wie geht man im Auswärtigen Amt mit solchen Forderungen nach diplomatischen Beziehungen mit einer so radikalen Miliz wie den Taliban um? Unser Gegenüber aus dem Außenministerium wird deutlich: Auch in Kriegszuständen brauche es einen Kommunikationskanal. Die wirtschaftlichen Unterstützungen von Organisationen würden auch über die Regierung laufen und das oberste Ziel sei letztlich die Vermeidung von Anarchie. Daher heißt es bildhaft aus dem Auswärtigen Amt: manchmal müsse man auch einem Diktator die Hand schütteln.

Im Anschluss an dieses intensive Gespräch mit dem Auswärtigen Amt tauschen sich die Studierenden untereinander aus – was sind die ersten Eindrücke des interaktiven Gesprächssettings? Christoph Seidenfus spricht mit einigen Student:innen über den Verlauf der letzten Stunde, bevor direkt der nächste Gesprächspartner in der Location eintrifft: Zu Gast ist ein Vertreter des Bundesministeriums für Verteidigung. Heutiges Thema sind neue Konfliktbilder, hybride Szenarien stehen im Mittelpunkt des nächsten Gesprächs. Dem Begriff der hybriden Konflikte begegnet man nicht alltäglich, was ist das eigentlich? Es sind moderne Konfliktszenarien, in denen klassische Militäreinsätze mit weiteren destabilisierenden Methoden kombiniert werden und somit unter dem Begriff „hybride Konflikte“ zusammengefasst werden. Ein beliebter Ort solcher Szenarien ist etwa der Cyberraum. Hybride Kriegsführung passiert im Anonymen, oft werden Angriffe verschleiert oder vehement abgestritten. Wenn nicht mal klar ist, wann ein eindeutiger Angriff stattfindet, ist es auch schwer zu definieren, ob man sich noch im Friedens- oder bereits im Kriegszustand befindet. Die Schwelle zu einem offiziellen Krieg wird zumeist nicht überschritten. Das Ziel des BMVg ist es, diese Angriffe frühzeitig zu erkennen. Aber was wollen hybride Angreifer?

Warum werden westliche Demokratien vermehrt hybrid angegriffen? Wie kann auf solche Angriffe reagiert werden? Und wie werden sich diese hybriden Szenarien in Zukunft weiterentwickeln? Für die Studierenden ist der Austausch mit der Vertretung des Verteidigungsministeriums viel wert. Es ist für alle Anwesenden spannend, das Ausmaß einer solchen Kriegsführung zu sehen und Einblicke in die Arbeit eines so wichtigen Ministeriums zu bekommen. Gerade im Kontext unserer intensiven Auseinandersetzung mit Frieden und Sicherheitspolitik haben sich vermehrt neue Aspekte aufgetan, die das Verständnis und die Vertiefung mit diesem essenziellen Thema nochmal aus einer ganz anderen Sichtweise beleuchten. Auch nach den Gesprächen mit den ersten beiden Stimmen aus der Berliner Politik beschäftigen uns die angesprochenen Themen noch immer stark. Der Austausch über die Referent:innen und die Inhalte zieht sich durch die Mittagspause: Wir Student:innen diskutieren angeregt miteinander, sprechen über Gesagtes und bilden uns eine Meinung.

Im weiteren Verlauf des Tages haben wir die Möglichkeit, mit einem Vertreter aus dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu sprechen. Unter dem Seminarpunkt „Entwicklungszusammenarbeit und deutsche Sicherheitspolitik“ wird uns Studierenden erklärt, was es damit überhaupt auf sich hat. Das BMZ und das Auswärtige Amt arbeiten im Kontext der Humanitären Hilfe sehr eng zusammen. Es ist spannend, zu erfahren, wie die Vernetzung so vieler Bestandteile funktioniert und wie so gemeinsame Ziele schnell und gleichzeitig nachhaltig erreicht werden können. Der Ansatz der deutschen Entwicklungszusammenarbeit ist gleichzeitig simpel wie auch kompliziert: Entwicklungsprozesse sollten im besten Fall aus der Gesellschaft kommen, nur so kann eine nachhaltige Entwicklung bestehen. Gleichzeitig scheitern Entwicklungsprojekte nicht selten am politischen Willen der staatlichen Akteure und nicht in jeder Region ist eine Entwicklungsarbeit möglich. Mit einer Frage nach der starken Kritik, der die Bundesregierung in den vorherigen Wochen und Monaten wegen der Ausreise afghanischer Ortskräfte ausgesetzt war, wird das aktuelle Thema Afghanistan zum wiederholten Mal an diesem Tag aufgegriffen. Die uns direkt gegenübersitzende Vertretung des BMZ erklärt, wie die Ausreise der Ortskräfte etwa durch ein gemeinsames Verfahren der EU und der USA hätte besser laufen können. Einheitliche Regelungen, gleiche Bedingungen, die fair für alle Ortskräfte gelten und nicht nach Nation unterschieden werden, wären in dieser Krisensituation von Vorteil gewesen, so die Stimme aus dem BMZ. Während des Gesprächs wird deutlich: Unser Gesprächspartner hat selbst einen persönlichen Bezug zu dem Thema, etwa wurde er selbst von früheren Kontakten in Afghanistan angeschrieben und um Hilfe gebeten. Es geht ihm sichtlich nah, er spricht über eigene Erfahrungen und ist offen für unsere Fragen – auch die Studierenden lässt das nicht kalt. Der persönliche Bezug und die Begegnung auf Augenhöhe ist es, was dieses Gesprächssetting so besonders macht. Nach der Seminarwoche wird genau dieser Termin von einigen Student:innen als ein Highlight der Woche ausgemacht: „Man hat gemerkt: Er hatte keine Angst vor einer Diskussion mit uns. Er hat uns als Studierende wahrgenommen, die auf derselben Höhe sind.“

Der dritte Tag der Hauptstadt-Exkursion beginnt in einer neuen Location, die an einen modernen, hippen Coworking-Space erinnert, in dem an diesem Tag noch tiefgehende und hochinteressante Gespräche geführt werden sollen - den Studierenden gefällt das Ambiente. Auch die Organisatoren und Professoren fühlen sich sichtlich wohl – hier kommt man leicht ins Plaudern. Auch das Gesprächssetting ist ein großer Unterschied zum Vortag: In einem großen mit altem Parkettboden ausgelegten Raum, mit Vintage-Stühlen vollgestellt, nehmen alle Teilnehmer:innen in einem großen Stuhlkreis Platz. Jetzt soll es um zivile Kräfte in Friedenseinsätzen gehen. Eine Gesprächspartnerin aus dem Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZiF) gibt einen detaillierten Einblick in die Arbeit im Ausland. Friedenseinsätze – sind das nicht die Blauhelme, von denen so oft in Bezug auf internationale Krisen gesprochen wird? Schnell wird allen Teilnehmer:innen des Seminars klar, dass es bei der Arbeit des ZiFs vor allem darum geht, einzuschreiten, wenn Bürger:innen durch die landeseigene Regierung bedroht werden. Vor allem zivile Kapazitäten sollen gestärkt werden. Die Studierenden haben eine ganze Reihe an Fragen an die Gesprächspartnerin: Wie arbeitet das ZiF? Welche grundlegenden Fragen müssen vor einem Einsatz geklärt werden? Wie wird reagiert, wenn Einsatzkräfte vor Ort von den Bürger:innen abgelehnt werden? Aus dem Gespräch mit dem Zentrum für internationale Friedenseinsätze ergeben sich tiefe Einblicke und interessante Sichtweisen, die auch nach Ende des offiziellen Gesprächssettings angeregt weiterdiskutiert werden.

Nach einer kurzen Pause mit Kaffee, Essen und kurzen Spaziergängen an der frischen Luft geht es direkt weiter mit dem nächsten Thema: Militärseelsorge. Seelsorge – worum geht es hier nochmal? Seelsorge ist eine geistliche Beratung, Beistand eines Menschen, der eine schwere Zeit durchläuft. Laut dem Paragraph 36 des Soldatengesetzes hat jede:r Soldat:in einen Anspruch auf Seelsorge, sowie den Anspruch auf eine ungestörte Religionsausübung. Genau darüber sprechen wir an diesem Tag mit einem Pfarrer, der bereits seit Jahren zahlreiche Erfahrungen auf diesem Gebiet gesammelt hat. Ein sensibles Thema, an dem alle Studierenden stark interessiert zu sein scheinen. Nicht nur christliche Ansätze der Seelsorge werden in dieser Konversation aufgegriffen, auch humanistische Sichtweisen werden diskutiert. Im Militär wird das Thema der Seelsorge immer stärker angenommen. Die Militärseelsorge stellt innerhalb der Bundeswehr sogar einen eigenständigen Bereich dar, der sich mit der mentalen Verfassung von Soldat:innen und deren Angehörigen beschäftigt. In Zusammenarbeit mit den Familienbetreuungszentren, Sozialdiensten, dem Sanitätsdienst und auch mit dem Psychologischen Dienst der Bundeswehr, stellt die Militärseelsorge für Soldat:innen in schwierigen Situationen, in denen sie unter hoher mentaler Belastung stehen (oft etwa nach Auslandseinsätzen), ein offenes Ohr dar. Auch unser Gesprächspartner ist offen für Fragen, tritt mit allen Studierenden in einen offenen und ehrlichen Austausch – begegnet uns auf Augenhöhe. Der Bedarf nach Austausch ist auch nach dem Gesprächssetting mit dem Pfarrer hoch. Studierende tauschen sich mit den Professoren und besonders mit den Jugendoffizieren im Anschluss über das Gesagte aus. Die Jugendoffizier:innen sprechen offen über eigene Erfahrungen mit mentaler Belastung, nehmen kein Blatt vor den Mund bei einem Thema, über das so oft geschwiegen wird.

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Am folgenden Tag wird es nochmal richtig spannend: Eingeladen sind Annika Klose, Bundestagsabgeordnete für Berlin-Mitte sowie für ein Gespräch am Nachmittag der Journalist Thomas Sparrow. So direkt nach einer Bundestagswahl eine Gesprächspartnerin aus dem neu gewählten Bundestag vor sich sitzen zu haben, ist für Studierende doch eher eine Seltenheit. Annika Klose (Jahrgang 1992), sitzt vor fragenden Blicken der fast-Gleichaltrigen. Die Themen des Gesprächs sind vielseitig: Bundestagswahl, NATO und das weitere politische Vorgehen in Afghanistan. Es wird über Deutschlands Beitrag zur internationalen Sicherheitspolitik gesprochen, die Fragen rund um das Thema zum deutschen Verteidigungshaushalt häufen sich, es wird spannend und die Fragen gehen im Verlauf des Vormittags immer tiefer. Die Interdisziplinarität unter den Studierenden zahlt sich aus – jede:r Student:in kann hier Fragen stellen. Wir als Studierende wurden während der Vorbereitung für diese Exkursion durchaus dazu angehalten, auch mal bei den Gesprächspartner:innen nachzuhaken, sogar bei kritischen Themen. So auch bei diesem Gesprächssetting: Die Studierenden fragen nach, als es um einen Antrag der SPD geht, der im Frühjahr 2019 gestellt wurde. Ein Werbeverbot für militärische Organisationen an Berliner Schulen – ein Thema, was auch die beiden Jugendoffizier:innen betrifft, die an diesem Tag mit im Raum sitzen. Klose wurde unter anderem vom Deutschlandfunk zu diesem Antrag interviewt – ein Interview, auf das auch die Studierenden in Vorbereitung auf diesen Termin gestoßen sind.

Der Antrag wird vorsichtig angesprochen, die Bundestagsabgeordnete reagiert kompetent, bleibt professionell als sich auch ein Jugendoffizier dazu äußert. Die Studierenden schaffen in diesem Setting einen Dialog zwischen zwei Seiten, die sonst vielleicht eher weniger in den direkten Austausch getreten wären. Genau darum geht es in dieser Woche: Wissenstransfer schaffen, sachlich Kritik äußern, ohne dass es in eine persönliche Richtung abdriftet, an den richtigen Stellen bereit für eine offene Diskussion sein. Gerade in Situationen einer kritischen Nachfrage oder eines heiklen Themas kommen die Kompetenzen der Transaktionsanalyse zum Tragen. Diese Kompetenzen haben viele Studierende während des Seminars weiter ausgebaut: Ein Student reflektiert im Anschluss an die Exkursion, wie die Recherche, das Fragenstellen und das Moderieren vor dem Kurs ihm auch in seiner persönlichen Entwicklung sehr weitergeholfen haben.

Die intensive Seminarwoche findet ihren Abschluss in einem Gespräch mit dem Journalisten Thomas Sparrow. Er arbeitet für die Deutsche Welle, spricht also für das Ausland über aktuelle Themen in Deutschland. Jede:r Teilnehmer:in hat schon mal etwas von der Deutschen Welle gehört, daher ist die aktive Teilnahme am Gesprächssetting hoch. Die Auslandsberichterstattung nimmt ein großes Feld innerhalb der Konversation ein. Thomas Sparrow spricht mit uns über die Relevanz von Neutralität und Transparenz – was ist im Zweifelsfall wichtiger, wenn eine Quelle Informationen liefert, die gar nicht neutral sein können? Die Offenlegung der genutzten Quellen sei äußerst wichtig, so Sparrow. Wie ist man an die Informationen gekommen, könnten diese einer politischen Bias unterliegen? Auch die persönliche Betroffenheit durch ein Thema ist bei der politischen Auslandsberichterstattung nicht zu vergessen und sollte offengelegt werden. Da das Thema Journalismus so breit aufgestellt ist, reißen die Fragen der Studierenden und der Professoren nicht ab bis wir das Gespräch aus zeitlichen Gründen letztendlich beenden.

Am letzten Tag geht es für die gesamte Exkursionsgruppe noch einmal quer durch Berlin, an den östlichsten Außenrand. Ziel ist ein historischer Ort mit bedrückender Geschichte, auch im Kontext unserer Exkursion: die Gedenkstätte Hohenschönhausen. Als ehemaliges sowjetisches Kellergefängnis wurde die Anlage 1951 vom Ministerium für Staatssicherheit der DDR übernommen und als zentrale Untersuchungshaftanstalt genutzt. Eine Untersuchungshaftanstalt, die bis 1989 über 11.000 Menschen, die dem Plan der kommunistischen Diktatur im Weg standen und sich dem System widersetzten, auf übelste Weise einschüchterte und folterte. In kleinere Gruppen unterteilt laufen wird unter Begleitung ehemaliger Inhaftierter, die als Zeitzeug:innen einen persönlichen, tiefgreifenden Einblick in die physische und psychische Folterung der Haftanstalt geben, durch die verschiedenen Gebäude, Gänge und Zellen. Mit einem nachhaltigen Eindruck wird hier bewusst mit welcher politischen Überzeugung in antidemokratischen Systemen durchgegriffen werden kann - Situationen, die wir zwar in Deutschland nicht mehr erleben, allerdings in verschiedenen Teilen der Welt weiterhin vorfinden. Die Demokratie, politischer Austausch und der Sinn für Frieden und Gerechtigkeit – all das erhält nochmal einen ganz besonderen Stellenwert.

Eine Woche voller interessanter, neuer und spannender Einblicke in die Friedens- und Sicherheitspolitik geht dem Ende entgegen. Die Seite der Studierenden zieht eine positive Bilanz: Sowohl inhaltlich als auch persönlich. Im Nachgang haben sich alle noch intensiv mit den Ereignissen der Seminarwoche beschäftigt, einer Woche mit laufendem Input, die durchweg als sehr lehrreich empfunden wurde: „Besonders durch den Aspekt, dass man unter normalen Umständen nicht mit solchen Gesprächspartnern in Kontakt gekommen wäre und erst recht nicht solche Diskussionen mit diesen Gesprächspartnern gehabt hätte. Dementsprechend war das sehr bereichernd für unser Thema ‚Sicherheitspolitik‘. So konnten wir mit Menschen darüber reden, die auch in diesem Bereich tätig sind und Erfahrung in diesem Bereich haben, anstatt nur in einer Universität zu sitzen.“ Insbesondere in der derzeitigen Situation, unter ständiger Beobachtung der Entwicklungen in der Ukraine, einem Krieg, der sich auf so vielerlei Wege entwickelt und über die Grenzen vorheriger Kriege in Europa hinausgeht, die Gespräche in Berlin ihre Nachhaltigkeit zeigen. Viele Aspekte und Themen der Woche werden plötzlich während des mittlerweile seit mehreren Wochen andauernden Krieges zur Wirklichkeit – Cyberkrieg, die Bereitschaft auch in Kriegszuständen Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Staatsoberhäuptern aufrecht zu erhalten und der vorsichtige Umgang mit Informationen aus Kriegsgebieten. Mit dem während der Exkursion erlernten Wissen über friedens- und sicherheitspolitische Fragen, fällt es nun vielleicht ein Stück weit leichter, weltpolitische Thematiken zu erfassen, zu verstehen und Lösungsansätze der internationalen Politik nachzuvollziehen.

Autorinnen: Leonie Bednorz und Amelie Ries

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