Dialog und Diplomatie: Israels Generalkonsulin besucht die KU

In einer für den Staat Israel schwierigen innen- und außenpolitischen Lage hat die Generalkonsulin des Landes, Talya Lador-Fresher, in dieser Woche Gespräche an der KU mit Studierenden und der Hochschulleitung geführt. Der Besuch erfolgte auf eigene Initiative der Diplomatin, der es ein Anliegen ist, mit jungen Menschen in Austausch zu treten und um Verständnis für die komplizierte Lage ihres Landes zu werben. Jedoch waren nicht nur die politische Situation seit den Angriffen der Hamas auf Israel und der Krieg im Gazastreifen Themen der Gespräche. Der Besuch erfolgte unter hohen Sicherheitsvorkehrungen und war darum im Vorfeld nicht öffentlich angekündigt worden.

Im Austausch mit einer Gruppe von Studierenden aus verschiedenen Studiengängen und Fachbereichen sagte Lador-Fresher, die seit 2023 Generalkonsulin des Staates Israel in München ist und zuvor als Diplomatin an verschiedenen Orten wirkte, der Überfall von Hamas-Terroristen auf ihr Land am 7. Oktober 2023 sei „der schrecklichste Tag in unserem jüdischen Bewusstsein seit der Schoa“, also der Vernichtung der Juden durch die Nationalsozialisten. „Die Angriffe haben unsere Seele verletzt.“ Niemand sei auf ein Ereignis in einem solchen Ausmaß vorbereitet gewesen, es sei auch ein großes Versagen des israelischen Geheimdienstes und des Militärs gewesen, so Lador-Fresher. Seither versuche das Land Normalität herzustellen. Jedoch seien noch immer Geiseln in der Hand der Hamas und die Gesellschaft sei in Anbetracht des Krieges zunehmend gespalten. 

Von Studierenden auf die humanitäre Lage im Gazastreifen angesprochen gestand Lador-Fresher ein, diese sei nicht gut. Das Dilemma für Israel sei die Verteilung der Hilfsgüter, da man in Israel davon ausgehe, dass diese von Hamas-Angehörigen verkauft würden. „Wir füttern so dieselben Menschen, die unsere Geiseln in ihrer Gewalt haben.“ Die Verteilung von Hilfsgütern sei eine der „Schlüsselfragen“, sagte die Diplomatin, die mehrfach in den Gesprächen betonte, ihr sei es ein Anliegen, dass junge Menschen den Kontext des Konfliktes verstünden und sich informierten. „Kommen Sie nach Israel, studieren Sie die jüdische Kultur“, lud Lador-Fresher ihre Gesprächspartner ein.

Im Austausch an der KU wurden von den Studierenden neben dem Gaza-Krieg auch andere Themen angesprochen, etwa die Sicht des Staates Israel auf die politische Situation in Syrien oder den Krieg in der Ukraine, die Situation jüdischer Bürgerinnen und Bürger in Deutschland und wachsender Antisemitismus, die diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel. 

Prof. Conze
KU-Historikerin Vanessa Conze übereicht ein Buch zu einem Lehrforschungsprojekt zur Holocaust-Aufarbeitung

Im Austausch mit der Hochschulleitung der KU und dem Dekan der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät, Prof. Dr. André Habisch, wurden auch die Beziehungen der KU zu Israel thematisiert. Die Ben-Gurion Universität in der Negev-Wüste im Süden des Landes ist bislang die einzige Partneruniversität in Israel, seit 2018 besteht die Kooperation. Die Zusammenarbeit sei jedoch sehr lebendig, erklärte Vizepräsident Prof. Dr. Klaus Stüwe. Regelmäßig finde ein Austausch von Studierenden und Dozierenden statt – insbesondere im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften.

Die KU-Historikerin Prof. Dr. Vanessa Conze berichtete der Generalkonsulin von einem Lehrforschungsprojekt zur Aufarbeitung der Judenverfolgung während der Zeit des Nationalsozialismus. Studierende hatten die Geschichte der Allersberger Familie Geiershoefer aufgearbeitet, die während der Reichspogromnacht im November 1938 festgenommen worden waren und ihren Besitz verkaufen und verschenken musste. Teilen der Familie gelang die Flucht ins Exil, ein Familienmitglied wurde deportiert und im Ghetto Lodz ermordet.  In Kooperation mit dem Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte der KU veröffentlichte der Bayerische Rundfunk eine Podcast-Folge über die Familie Geiershoefer in der Reihe „Tatort Geschichte“.  Ab Anfang Juni wird eine Ausstellung zum Thema in der Zentralbibliothek zu sehen sein. Außerdem entstand ein Buch, welches Vanessa Conze der Generalkonsulin überreichte.

Handschriftenabteilung
Talya Lador-Fresher lässt sich von Dr. Heike Riedel, Leiterin der Abteilung Historische Bestände, eine alte Torarolle zeigen

Ein weiteres Projekt zur Aufarbeitung der jüdischen Vergangenheit wurde Talya Lador-Fresher in der Universitätsbibliothek vorgestellt. Die Abteilung Historische Bestände verwahrt ein Konvolut hebräischer Handschriften und Bücher, die aus der Gemeinde Sulzbürg in der Oberpfalz stammen. Dort gelangten sie zu einem unbekannten Zeitpunkt in die Hände eines katholischen Ortsgeistlichen, der sich für alles interessierte, was alt war, vor allem für Kunst und Bücher. Später übergab der Pfarrer die Sammlung dem Eichstätter Priesterseminar – auf diesem Weg kamen die Bücher und Handschriften, darunter auch das Fragment einer Torarolle, an die von der KU verwaltete Seminarbibliothek. Bekannt ist, dass auch in Sulzbürg Juden deportiert und von den Nationalsozialisten ermordet wurden. Der Verdacht liegt daher nahe, dass es sich bei den Büchern der Seminarbibliothek zumindest teilweise um NS-Raubgut handelt, wie Dr. Heike Riedel, die Leiterin der Abteilung Historische Bestände, der Generalkonsulin bei ihrem Besuch erklärte.

Alte Bücher

Lador-Fresher zeigte großes Interesse an den Büchern und Handschriften, die eigens aus dem Magazin geholt worden waren. Tief bewegt war sie von dem Projekt, die Geschichte und Herkunft dieser Sammlung aufzuarbeiten mit dem Ziel, Nachfahren der einstigen Besitzer ausfindig zu machen. Von entscheidender Bedeutung waren hierbei die Recherchen einer am Projekt beteiligten Forscherin, die sich bereits seit Jahrzehnten sehr engagiert mit der Geschichte der Sulzbürger Juden befasst und die Kontakte zu noch lebenden Nachfahren hergestellt hat. Bereits drei Bücher konnten – ausgehend von handschriftlichen Eintragungen der früheren Besitzer* – restituiert, also zurückgegeben, werden. Darunter ist das Gebetbuch des Juden Wolf Grünebaum, der vermutlich 1942 in einem Vernichtungslager ermordet wurde. „Wir konnten das Gebetbuch von Wolf Grünebaum an seine Enkelin Sylvia Gruen Salomon zurückgeben, die heute in Nashville in Tennessee lebt“, berichtete Heike Riedel. Das Buch sei unmittelbar zur Bat Mitzwa-Feier ihrer Enkelinnen dort angekommen – ein sehr bewegendes Ereignis für die Familie – und auch für die Generalkonsulin, als sie diese Geschichte erzählt bekam. Ihre Familie stamme ursprünglich aus Leipzig, erzählte Lador-Fresher. Jedoch habe sie von ihren Vorfahren kein Erinnerungsstück. „Wenn ich nur einen Löffel hätte oder ein Buch, das wäre das größte Geschenk."