„Eine globale Mindeststeuer ist auch im Interesse von vielen Unternehmen“

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Derzeit diskutieren die Mitgliedsstaaten der OECD über eine internationale Mindeststeuer für Unternehmen, um für global agierende Konzerne Schlupflöcher zur Vermeidung von Steuern zu schließen. Konzerne wie Amazon oder Google stehen seit langem in der Kritik für Taktiken der Steuervermeidung. Ein Vorstoß der US-Regierung hat die Debatte nun neu belebt. Prof. Dr. Dominika Langenmayr hat an der KU den Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre (insbesondere Finanzwissenschaft) inne und beschäftigt sich unter anderem mit internationaler Steuerpolitik sowie Strategien der Steuervermeidung multinationaler Unternehmen. Im Interview erläutert sie Hintergründe, Perspektiven und noch offene Fragen zur Mindeststeuer.

In welcher Spannweite bewegen sich derzeit die Unternehmenssteuern im internationalen Vergleich?
Es gibt klassische Steueroasen, z.B. in der Karibik, die null Prozent erheben. Niedrigsteuerländer wie etwa Irland ziehen derzeit lediglich 12.5 Prozent ein, um damit Firmen anzuziehen. Am oberen Ende der Skala rangieren dann Japan oder Brasilien mit einer Unternehmenssteuer von über 30 Prozent.

Wie geschieht aktuell die Besteuerung von Unternehmen, die in mehreren Ländern tätig sind?
Derzeit hängt es davon ab, wo die Wertschöpfung eines Unternehmens stattfindet, was in der Regel eine physische Produktionsstätte voraussetzt. Doch etwa im digitalen Bereich ist diese Wertschöpfung schwierig zu greifen. Das hat es solchen Unternehmen recht leichtgemacht, etwa eine Tochterfirma auf den Cayman Islands anzusiedeln, deren technisches Know-How dort dann nur marginal versteuert werden muss. Doch auch klassische Industrieunternehmen können profitieren, indem etwa Ablegerfirmen aus Steueroasen Kredite an andere Unternehmensteile geben. Diese zahlen Zinsen, die den Gewinn, der beispielsweise in Deutschland versteuert werden muss, verringern.

Welches alternative Modell steckt hinter der Mindeststeuer?
Die Mindeststeuer wirkt in zwei Richtungen. Zum einen sollen die ausländischen Tochterfirmen eines inländischen Unternehmens angemessen besteuert werden. Gleichzeitig will man verhindern, dass Unternehmen ihren Hauptsitz in eine Steueroase verlegen. Sie sieht also auch Regeln vor, mit denen Steuern auf Zahlungen, die in Steueroasen abfließen, erhoben werden können. Ergänzend zur Mindeststeuer will die OECD außerdem Teile von Gewinne in den Ländern besteuern, wo der Konsum von Produkten und Dienstleistungen stattfindet, also die Besteuerung nicht nur am Ort der Wertschöpfung ausrichten.

Welche Verhandlungsmacht haben Steuer-Oasen, um sich gegen die Idee einer Mindeststeuer zu wehren?
Im Prinzip haben die entsprechenden Länder wenig Einfluss und Macht dagegen vorzugehen. Lange war eher das Problem, dass die USA es als Vorteil für die heimischen Konzerne gesehen haben, wenn diese ihre ausländischen Einnahmen über Steueroasen abwickeln. Deshalb haben sie bislang nicht so stark mitgezogen in den Gesprächen über internationale Mindeststeuern.

Was treibt die USA nun dazu an, sich für eine Mindeststeuer stark zu machen?
Die Vereinigten Staaten planen Staatsausgaben im großen Stil bzw. tätigen diese bereits – etwa für Corona-Hilfsmaßnahmen. Das wird in den USA Steuererhöhungen notwendig machen, gerade auch im Bereich der Unternehmenssteuern. Insofern ist das Engagement für die Mindeststeuer auch als flankierende Maßnahme zu sehen, um sicherzustellen, dass tatsächlich auch höhere Einnahmen für den Fiskus entstehen.

Das eine ist der Steuersatz, das andere die Bemessungsgrundlage. Sprich: Was können Unternehmen vor Steuern an Aufwendungen abziehen? Müsste diese nicht auch angeglichen werden, um nicht Gelegenheit für andere Schlupflöcher zu bieten?
Hier ist eine Regelung tatsächlich noch nicht ganz klar. Ich gehe davon aus, dass die Bemessungsgrundlage für Gewinnsteuern weiterhin national festgelegt wird, was auch wichtig ist, um zum Beispiel Anreize für Forschungs- und Entwicklungsaufgaben durch Sonderabschreibungen zu schaffen. Gleichzeitig soll die Mindeststeuer aber nicht nur auf dem Papier gut aussehen, sondern auch effektiv greifen. Sie braucht daher eine einheitliche Berechnungsgrundlage. Wahrscheinlich wird man sich dabei auf eine Grundlage einigen, die für die Unternehmen relativ leicht umsetzbar ist, da sie auf bestehenden Regeln aufbaut, zum Beispiel auf internationalen Rechnungslegungsstandards.

Welche Mehreinnahmen erhofft man sich insgesamt von einer Mindeststeuer?
Derzeit ist es schwer, hierzu konkrete Zahlen zu nennen, weil aktuell noch nicht einmal der Steuersatz feststeht, auf den man sich einigen möchte. Die OECD schätzt, dass das weltweite Körperschaftsteueraufkommen um 4% steigen würde, wobei Hochsteuerländer wie Deutschland stärker profitieren. Generell spielt jenseits von konkreten Summen in der Diskussion tatsächlich der Begriff von Gerechtigkeit eine Rolle, weil sich auch viele Unternehmen, die keine Gewinne verlagern, im Vergleich zu Wettbewerbern ungerecht behandelt fühlen – beispielsweise der Einzelhandel relativ zu Amazon. Einige Länder, wie Frankreich, haben daher bereits in Eigenregie Regelungen zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft erlassen, die wiederum zu einem Flickenteppich und Doppelbesteuerung führen. Auch die Unternehmen selbst haben also kein Interesse an einer Vielfalt von Einzelregelungen.

Welche Nachteile kann eine Mindeststeuer mit sich bringen?
Ich sehe Risiken in der konkreten Ausgestaltung der Mindeststeuer. Ideal wäre es, wenn sie eine einfache Erhebungsgrundlage hat und umfassend die Tätigkeiten von Unternehmen abdeckt. Der Begriff „Gewinn“ muss klar definiert werden. Die Gefahr besteht darin, dass starke Lobby-Arbeit zu  vielen Ausnahmereglungen führt. Grundsätzlich kann man aber mit diesem Instrument Gewinnverlagerung wirksam bekämpfen.

Werden Steueroasen durch eine Mindeststeuer austrocknen?
Wir werden zumindest kein Ende des Steuerwettbewerbs sehen. Die Mindeststeuer wird eine Untergrenze darstellen. Generell ist es ja auch legitim, dass Länder wie Tschechien oder Irland mit relativ niedrigen Steuersätzen Standortnachteile ausgleichen, um Unternehmen anzuziehen.

Wie realistisch ist es, dass die Mindeststeuer tatsächlich kommt?
Ich halte es derzeit für deutlich realistischer als noch vor kurzem, dass das Konzept umgesetzt wird. Die Tatsache, dass die USA jetzt mitziehen, hilft. Aber es bleibt spannend, wie die Regeln konkret ausgestaltet werden – hier werden Detailfragen darüber entscheiden, ob die Mindeststeuer tatsächlich greift oder von vielen Unternehmen umgangen werden kann.  
 

Interview: Constantin Schulte Strathaus

 

Langenmayr
Prof. Dr. Dominika Langenmayr