Zum Ende des Wintersemesters machten sich 16 Eichstätter Studenten und Dozenten auf den Weg nach Augsburg, um dort die Synagoge und das jüdische Kulturmuseum zu besuchen. Außerdem hatten die Gruppe die Gelegenheit mit Rabbiner Henry G. Brandt und Prof. Dr. Hanspeter Heinz über den jüdisch-christlichen Dialog zu diskutieren. Dr. René Dausner (Fundamentaltheologie) organisierte die Exkursion bereits zum zweiten mal. Mit dabei waren Studentinnen und Studenten des Hauptseminars „Jüdisch-Christlicher Dialog“ von Prof. Dr. Christoph Böttigheimer (Fundamentaltheologie) und des Hauptseminars „Gebet - Einführung in Geschichte, Theologie und Spiritualität“ von Pia Sommer (Dogmatik) und Dr. Florian Kluger (Liturgiewissenschaft).
Kult und Alltag in der schwäbischen Heimat
Durch das Museum führte Direktorin Dr. Benigna Schönhagen. Zum einen erläuterte sie die Konzeption der Ausstellung und zum anderen ermöglichte sie der Gruppe Einblicke in die Lebenswelt und religiöse Praxis von Juden in Augsburg und Schwaben vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Bei ihrem geschichtlichen Streifzug hob sie die enge Verbindung von Juden mit ihrer schwäbischen Heimat hervor. Juden waren fester Bestandteil des örtlichen Lebens. Sie wurden geschätzt, aber auch diskriminiert. Die imposante Augsburger Synagoge gibt Zeugnis vom Selbstbewusstsein der Juden in der Stadt, die sich in vielfältigen Bereichen engagierten und in der Öffentlichkeit präsent waren. Beeindruckt zeigten sich die Studenten von der größe des Gebäudes sowie von der reichhaltigen und für die Erbauungszeit (1914-1917) moderne Ausstattung des Raumes. Auf anschauliche Weise konnten Parallelen und Unterschiede von christlichen und jüdischen Sakralräumen entdeckt werden.
In der Ausstellung konnte Schönhagen die Besonderheiten jüdischen Lebens anhand museumspädagogisch aufbereiteter Materialien deutlich machen. Einen Schwerpunkt bildeten – wie dies im Konzept des Museums angelegt ist – vor allem Ritual- und Kultgegenstände für Synagoge und häusliche Feiern aus dem 17. bis 20. Jahrhundert. Auch bei den Tora-Schildern wurde die kulturelle Wechselwirkung sichtbar, wenn Augsburger Goldschmiedekunst und die barocke Formensprache mit jüdischer Kultpraxis korrespondieren.
Begegnung, nicht nur Argumente
Nach der Führung konnte ein intensiver Austausch mit Prof. Dr. Hanspeter Heinz und Rabbiner Dr. Henry G. Brandt geführt werden. Beide sind seit vielen Jahren Mitglieder im Gesprächskreis „Juden und Christen“ beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Heinz, katholischer Priester und emeritierter Pastoraltheologe der Augsburger Katholisch-Theologischen Fakultät, erläuterte einige Hintergründe und Positionen zum jüdisch-christlichen Dialog. Er hob aus katholischer Perspektive die Besonderheit des jüdisch-christlichen Dialogs im Konzert des interreligiösen Dialogs heraus, womit er auch auf die Schwierigkeiten in der Praxis der abrahamitischen Ökumene mit Muslimen zu sprechen kam.
Ein vieldiskutierter Punkt im Gespräch mit den Studierenden war die Ablehnung der Judenmission, bei der einige Teilnehmer gewisse Spannungen mit der Christologie sahen. Im Gespräch ging Heinz auf die Bundestreue Gottes ein: „Für uns ist uns Gott in Jesus in unüberbietbarer Weise nahe gekommen, aber ich kann nicht ausschließen, dass Gott den Juden auf andere Weise ebenso nahe kommt“, zeigte sich Heinz überzeugt. Für Brandt wäre nur jene Art der Mission akzeptabel, die vom Lebenszeugnis des einzelnen ausgeht: „Wenn einer so lebt, dass ich ihn frage, woraus er seine Kraft und seinen Glauben schöpft, dann kann man argumentieren. Wir Juden missionieren nicht und sind überzeugt, dass alle Völker einen Anteil an der kommenden Welt haben“, erklärte Brandt.
Es wurde auch das neue Apostolische Schreiben „Gaudium Evangelii“ von Papst Franziskus besprochen. Laut Dausner geht in der Konzeption des Dokumentes der jüdisch-christliche Dialog dem intererreligiösen Dialog voraus und es wird deutlich, dass das Gespräch mit Juden besonders wertgeschätzt wird. Heinz bekräftigte diese Beobachtungen und stellte heraus, dass zum Dialog wesentlich Begegnung gehört und nicht allein Argumente zählen. Dass im Kontext universitäter Lehre eine Begegnung mit Rabbi Brandt möglich war, wurde von den Studierenden als große Bereicherung wahrgenommen. Dieser schilderte seinen Werdegang vom Ökonom zum Rabbiner und erzählte von seinen Erfahrungen in der jüdischen Gemeinde. Zusammen mit Heinz erläuterte er die aktuellen Herausforderungen des jüdisch-christlichen Dialogs. Vor allem praktische Fragen bestimmten mittlerweile die Gespräche. Zu aktuellen Ereignissen nimmt der Kreis Stellung und schaltet sich in die Diskussion ein: z.B. zur neuen Karfreitagsfürbitte für den außerordentlichen römischen Ritus, in Fragen der Bioethik oder der Sterbehilfe.
Die Eichstätter Gruppe konnte in Augsburg jüdisch-christlichen Dialog erleben. Durch die fachkundige Einführung in das Museum wurden historische und kulturelle Konturen herausgearbeitet. In der Begegnung wurden Argumente lebendig und der weitere Austausch angeregt. Rabbi Brandt ermutigte: „Setzen Sie sich dafür ein, dass unsere gemeinsamen religiösen Wurzeln weitergetragen werden. Wer soll es sonst tun?“
Florian Kluger