Als Rabbiner Goldberger während einer Reise nach Auschwitz von Besuchern hörte: »Wir waren in Auschwitz«, entgegnete er: »Sie und ich waren nicht in Auschwitz. Meine Mutter war in Auschwitz. Wir haben Auschwitz nur besucht.«
Vom 18. bis 22. Juni 2019 hat eine Gruppe von Student*innen aus dem sechsten Studiensemester des Bachelorstudiengangs an dem von Professor Dr. Bernhard Sill geleiteten Blockseminar »›Auschwitz‹ als verbindlicher ›Ortstermin‹ christlicher Ethik« teilgenommen, das buchstäblich »vor Ort« stattfand.
Zum Programm des externen Blockseminars gehörte im Detail:
- eine Stadtführung in Oświęcim (Auschwitz) mit Besuch der Synagoge;
- eine jeweils 4-stündige Führung durch die beiden Lager Auschwitz I (Stammlager) und Auschwitz-Birkenau (Auschwitz II);
- eine multimediale Präsentation zum Thema »Verbrecherische medizinische Experimente in Auschwitz-Birkenau);
- eine Präsentation zum Thema »Sinti und Roma in Auschwitz-Birkenau«;
- ein Besuch des Sinti- und Roma-Zentrums in Oświęcim mit sachkundiger Führung;
- ein Workshop mit Dr. Manfred Deselaers zum Thema »Die Biographie von Rudolf Höss, Kommandant von Auschwitz, und die Frage nach seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen«;
- eine Stadtführung in Krakau (Altstadt, Wawel Hügel, jüdisches Viertel, ehemaliges jüdisches Ghetto, die Fabrik Oskar Schindlers);
- eine Begegnung mit Prälat Peter C. Birkner, Dompropst emeritus, in Görlitz, der über das Verhältnis vom Juden und Christen in der Stadtgeschichte referierte.
Theodor W. Adorno hat die Bestimmung »seines« kategorischen Imperativs bekanntlich nicht ohne die »Ortsbestimmung« Auschwitz vorgenommen. Es war der 18. April 1966, als der Hessische Rundfunk einen Vortrag des renommierten Vertreters der Frankfurter Schule sendete, in dem dieser von der unbedingten Forderung sprach, »dass Auschwitz nicht noch einmal sei«.
Christliche Ethik kann keine Ethik mit »Ortsumgehung« Auschwitz sein. Was an diesem Ort geschehen ist, können wir nicht umgehen. Wir müssen damit umgehen, und das heißt auch: daran nicht vorbeidenken, dass Auschwitz eine schmerzliche »Wunde« darstellt, die noch lange nicht verheilt ist.
Wer sich den Fragen stellt, die sich »vor Ort« unweigerlich stellen, wird sich früher oder später selbst zur Frage. »Was hat das alles mit mir – meinem Denken, meinem Glauben, meinem Sprechen, meinem Fühlen – zu tun?« Ganz sicher beseelt die jungen Studierenden, die Auschwitz »besuchen«, ein Empfinden, wie es Verena Lenzen, Professorin für Judaistik und Theologie / Christlich-Jüdisches Gespräch an der Universität Luzern, einmal so zu beschreiben versucht hat: »Es gibt keine Gnade der späten Geburt. (...) Es gibt eine Bürde der späten Geburt, vielleicht aber auch eine Chance. Uns, die Nachgeborenen, trifft ein bitteres Erbe, das wir, so sehr es auch lastet und beschwert, nicht verweigern können. Der Schatten der Geschichte ist lang.«