Geographen untersuchen die Wirkung von Schuldenprogrammen in Kommunen

Die Finanzlage der Kommunen verschlechtert sich laut jüngsten Prognosen der kommunalen Spitzenverbände weiter. Der Deutsche Städtetag, der Landkreistag und der Städte- und Gemeindebund rechnen laut jüngsten Mitteilungen für das laufende Jahr mit einem Defizit von 5,8 Milliarden Euro. Die leeren Kassen der Kommunen sind kein neues Problem. Zurückgehende Steuereinnahmen und steigende Kosten haben seit Jahrzehnten die Schulden vieler Kommunen steigen lassen. Die Gewährung von Schuldenhilfen, wie sie im Anschluss zur globalen Finanz- und Wirtschaftskrise durch die Landesregierungen eingeführt wurden, ist allerdings an Auflagen und eine strikte Sparpolitik geknüpft – etwa durch die Schließung oder Einschränkung von Angeboten im Sport-, Kultur- oder Freizeitbereich. Welche Folgen hat diese Form der Unterstützung auf die Finanzen und die Lebensqualität vor Ort? Dies wollen Forschende der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU) untersuchen. Eine Studie nimmt die Situation in Kommunen in Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und im Saarland vergleichend für den Zeitraum von 2011 bis 2018 in den Blick. Gefördert wird das Projekt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).

Die Wissenschaftler wollen damit eine Forschungslücke schließen: „Der aktuelle Wissensstand zu sogenannten konditionalen Schuldenhilfen beschränkt sich fast ausschließlich auf Städte mit mehr als 50.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Die überwiegende Mehrheit der Kommunen mit Konsolidierungsbedarf zählt jedoch weniger Bürgerinnen und Bürger“, erklärt Dr. Andreas Kallert, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Wirtschaftsgeographie. Er wird das Projekt gemeinsam mit seinem Kollegen Dr. Simon Dudek, ebenfalls wissenschaftlicher Mitarbeiter der Professur, durchführen. Hinzu komme, so Kallert, dass bisherige Studien insbesondere Indikatoren für Finanzkraft und Wachstum analysiert, jedoch die qualitative Dimension der Auswirkungen von kommunalen Schuldenhilfen auf die soziale Daseinsvorsorge und damit die Lebensqualität der Menschen vor Ort vernachlässigt hätten.

Andreas Kallert
Dr. Andreas Kallert

Schon unter normalen Umständen haben die meisten Kommunen wenig finanziellen Gestaltungsspielraum. Ein Großteil des Haushaltes wird für Pflichtaufgaben wie Abwasser- und Abfallentsorgung, Straßenbau oder den Unterhalt von Schulen und Kitas aufgewendet. Da bleibt wenig Luft für die freiwilligen Leistungen der Kommunen. Mit wachsenden Schulden verschärft sich die Situation: „Gerade Angebote im freiwilligen Aufgabenbereich wie etwa der Unterhalt von Büchereien, Schwimmbädern, Jugendzentren oder Theatern, die insbesondere in Gemeinden in dünn besiedelten Regionen häufig nur defizitär betrieben werden können, stehen bei der Annahme von Schuldenhilfen meist zur Disposition. Durch konditionale Schuldenhilfen in ihrer gegenwärtigen Ausgestaltung droht die Schließung solch elementarer Einrichtungen der Daseinsvorsorge“, schildert Dr. Simon Dudek. Die sich gegenseitig verstärkende Kombination von leeren Kommunalkassen, Abwanderung junger und qualifizierter Menschen und dem Abbau von Infrastruktur wird als Peripherisierung bezeichnet. Kallert und Dudek wollen untersuchen, ob und wie gerade die Teilnahme an Konsolidierungsprogrammen diesen Effekt womöglich sogar verstärkt.

Die Schuldenhilfen gehen darüber hinaus mit starken Einschränkungen lokaler Autonomie einher, was gerade im Hinblick auf das verfassungsrechtlich festgeschriebene Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden brisant sei. Wie stark die Haushaltshoheit von Schuldenhilfen erhaltenden Kommunen tatsächlich eingeschränkt wird, sei bislang weitgehend unklar. Auch welche konkreten Vorgaben hinsichtlich der Ausgestaltung investiver Ausgaben und freiwilliger Aufgaben von den Kommunalaufsichtsbehörden gemacht werden, sei in der Gesamtschau nicht bekannt. „Deshalb ist auch eine systematische Untersuchung der Vergabe‐ und Umsetzungspraxis von konditionalen Schuldenhilfen ein Forschungsdesiderat“, so Kallert. Dazu werden die Forschenden anhand aller verfügbaren Konsolidierungsverträge der untersuchten Bundesländer – insgesamt handelt es sich um rund 1.050 Konsolidierungsverträge – in einer qualitativen Inhaltsanalyse die jeweiligen Maßnahmen verschiedenen Gesellschaftsbereichen und Gesellschaftsschichten zuzuordnen. So betrifft etwa das Schließen von Spielplätzen vor allem Familien ohne eigenen Garten, die Erhöhung der Eintrittspreise für Freibäder kann aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit problematisch sein.

Simon Dudek
Dr. Simon Dudek

Darüber hinaus werden Kallert und Dudek analysieren, ob die finanziellen Hilfen tatsächlich Wirkung zeigen. Dazu untersuchen sie, wie sich wesentliche Parameter kommunaler Finanzen in ausgewählten Kommunen seit Beginn der Konsolidierung entwickelt haben. Neben der Verschuldung werden dazu auch die Investitionstätigkeit sowie die Realsteueraufkommen (Gewerbe‐ und Grundsteuern) unter die Lupe genommen. Auf diese Weise sollen die Ziele der jeweiligen Konsolidierungsprogramme – vor allem die Reduzierung der Schulden sowie die Wiedergewinnung kommunaler Handlungsfähigkeit – auf Länderebene evaluiert werden. Ergänzend werden sie in jeweils zwei Kommunen pro Bundesland eingehende Interviews mit Akteuren aus Kommunalpolitik und Zivilgesellschaft führen, um mehr über die konkreten Auswirkungen von Konsolidierungen vor Ort zu erfahren. „Uns interessiert, wie vor Ort über den auferlegten Sparzwang diskutiert wird und wie die Konsolidierungsmaßnahmen ausgewählt werden. Wie wirken sich die Schuldenhilfen auf die Handlungsmöglichkeiten der Interviewten und das soziale Leben in den Kommunen aus? Und wie wird auf die Einsparungen konkret reagiert – etwa mit einem vermehrten Rückgriff auf Freiwilligenarbeit, mit zivilgesellschaftlichen Initiativen oder alternativwirtschaftlichen Organisationsformen“, erläutert Dudek.