Editorial von Prof. Dr. Jürgen Bärsch: Mit dem kürzlich erschienenen, umfangreichen Opus zum mittelalterlichen Messopfer hat der emeritierte Münsteraner Kirchenhistoriker Arnold Angenendt eine umfassende Synthese vorgelegt, in die seine vielfältigen Forschungen zur Geschichte der Religiosität im mittelalterlichen Christentum eingeflossen sind und die er hier im Blick auf das zentrale gottesdienstliche Geschehen, die Feier der Messe, mit ihren zahlreichen sozialen Aspekten bündelt.[1] Er spannt dabei einen großen historischen Bogen. Ausgehend vom Wandel des materiellen Opfers zu einem geistig-geistlichen Opferverständnis der Eucharistie im spätantiken Christentum wird der massive religionsgeschichtliche Umbruch verständlich, der sich folgenschwer auf Theologie und Praxis der Eucharistie auswirken sollte und die materielle Ebene des Opfers wieder in den Mittelpunkt rückt. Die Scholastik sucht zwar durch eine kritische Neubesinnung gröbste Missverständnisse zu klären und mit Hilfe der Transsubstantiationslehre das Wie der Wandlung der Gaben näher zu verstehen, prägt aber damit wiederum einseitig das Opferverständnis wie die Verehrungspraxis ohne zu einer wirklichen Reform der Messliturgie zu finden. So bleibt für das Spätmittelalter die dialektische Spannung zwischen gezählter Frömmigkeit und individueller Herzensandacht kennzeichnend. In der Sicht der Messe stehen um 1500 derber Sakramentsrealismus und internalisierter Sakramentsspiritualismus letztlich unverbunden nebeneinander. Diese Hypothek geht schließlich ein in die Turbulenzen der Reformation und der darauf antwortenden tridentinischen Lehre, die sich letztlich auf die Verteidigung des Status quo verlegt und damit für die folgenden Jahrhunderte prägend wird.
Wenn man die eingehende, stets bestens belegte Darstellung des Autors liest, drängen sich unwillkürlich Fragen auf, wie es denn heute, fünfzig Jahre nach der Promulgation von Sacrosanctum Concilium, um die Liturgie- und Frömmigkeitspraxis der Eucharistie in unseren Gemeinden bestellt ist? Angenendt plädiert angesichts der immer noch fortwirkenden mittelalterlichen Sichtweisen für eine Reform der Reform: „Bei aller Legitimität liturgischer Fortentwicklung brächte hier eine Rückkehr eine spürbare Entlastung von vielerlei Querelen und einen bedeutsamen Gewinn für Theologie, Ökumene und Verkündigung.“[2] Damit erweist sich eine kirchenhistorische Analyse als Anstoß zu einer interdisziplinären Diskussion um Sinngehalt und Feiergestalt der zentralen liturgischen Feier der Kirche. Um diese Diskussion zu befördern, haben Autor und Verlag uns das Schlusskapitel des umfangreichen Buches zur gesonderten Publikation zur Verfügung gestellt, wofür auch an dieser Stelle Dank gesagt werden soll. Es wäre deshalb ganz im Sinne des Kirchenhistorikers, wenn Liturgiewissenschaft und Dogmatik den „Ball“ aufgreifen würden und sich ihrerseits zustimmend oder widersprechend mit den hier dargelegten Gedanken auseinandersetzten. Dazu regt der Beitrag Angenendts sicher an.
Das letzte Heft dieses Jahrgangs enthält zudem zwei Beiträge, die die Gegenwart des gottesdienstlichen Lebens und der liturgiewissenschaftlichen Arbeit beleuchten. Wie bereits im letzten Jahrgang hat Andreas Heinz die römischen Dokumente zur Liturgie, nun des Jahres 2012, gesichtet und sie in einer hilfreichen, systematischen Übersicht zusammengestellt. Darüber hinaus erlaubt der Bericht aus der Arbeitsgemeinschaft der katholischen Liturgiewissenschaftlerinnen und -wissenschaftler (AKL) wieder einen Einblick in die Arbeit, die an den liturgiewissenschaftlichen Lehrstühlen in Deutschland und der Schweiz geleistet wird. Wenngleich es in diesem Jahr aus verschiedenen Gründen leider nicht möglich war, wie sonst üblich, die entsprechenden Entwicklungen in Österreich zu dokumentieren, wird sich der AKL-Bericht bemühen, im nächsten Jahr wieder eine vollständige, die gesamte Arbeitsgemeinschaft umfassende Darstellung zu bieten.
Ergänzend wirft der von Klaus Peter Dannecker verfasste Bericht über die Studienwoche der italienischen Liturgiewissenschaftler vom 27. bis 31.8.2012 in Rocca di Papa einen exemplarischen Blick über das deutsche Sprachgebiet hinaus und zeigt auf diese Weise die zunehmende internationale Dimension unseres Faches an.