Liturgisches Jahrbuch - 2014 Heft 1

Editorial - Evangelii Gaudium: Obgleich Papst Franziskus sehr realistisch sieht, dass „Dokumente nicht dasselbe Interesse wecken wie zu anderen Zeiten und schnell vergessen werden“, stieß sein erstes Apostolisches Schreiben Evangelii Gaudium vom 24. November 2013 sehr wohl auf große Aufmerksamkeit in der Kirche wie in der Öffentlichkeit.[1] Dies um so mehr, da der Papst seinen Aussagen in diesem Dokument „programmatische Bedeutung“[2] beimisst. Tatsächlich stellt darin Papst Franziskus ein Thema in den Mittelpunkt, das nach Aussagen von LG 25 zu den hauptsächlichsten Aufgaben des Bischofs gehört, die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute. Angeregt von der Bischofssynode 2012 über „Die neue Evangelisierung für die Weitergabe des Glaubens“ hat der Papst hier in durchaus eigenem Stil „einige Linien vorzuschlagen“ und der Kirche für die Verkündigung des Evangeliums angesichts der wirtschaftlichen, sozialpolitischen und kulturellen Herausforderungen ins Stammbuch zu schreiben.

Verständlicherweise steht der Gottesdienst der Kirche nicht im Fokus eines Schreibens, das vor allem die missionarische Dimension der Kirche betont. Dennoch kommt Papst Franziskus sehr wohl auf einzelne Aspekte der Liturgie zu sprechen. Ein recht umfangreicher Teil widmet sich der Homilie. Der Papst sieht sie klar als ein liturgisches Geschehen, dass über die Formen der Erbauung und Katechese hinausweist und das er sogar als „Höhepunkt des Gesprächs zwischen Gott und seinem Volk vor der sakramentalen Kommunion“[3] versteht. Die sakramentale Dimension, die der Liturgie als Ganzer eigen ist, umfasst demnach auch die Homilie. Sie bildet also keineswegs einen „Block freier Rede“, das das Ritual für einen Moment unterbricht. „Wenn die Verkündigung im Kontext der Liturgie geschieht, wird sie eingefügt als Teil der Opfergabe, die dem Vater dargebracht wird, und als Vermittlung der Gnade, die Christus in der Feier ausgießt.“[4] Über die Konsequenzen, die sich aus dem offenkundig engen Zusammenhang zwischen Homilie und Eucharistiefeier bzw. sakramentlicher Feier ergeben, wird noch näher nachzudenken sein.

Knapp geht Papst Franziskus auf die Bedeutung der mystagogischen Katechese ein. Sie verlangt, so der Papst, „die stufenweise Entwicklung des Bildungsgeschehens, an dem die ganze Gemeinde beteiligt ist, und einer erneuerte Wertschätzung der liturgischen Zeichen für die christliche Initiation.“[5] Man darf vermuten, dass hier vor allem der Erwachsenenkatechumenat als eine Schule des christlichen Lebens und Glaubens angesprochen ist. Zu Recht gilt die Eingliederung von Kindern im Schulalter, von Jugendlichen und Erwachsenen in die Kirche als ein besonderer Schwerpunkt der Liturgiepastoral und -katechese und er dürfte in der Zukunft an Bedeutung zunehmen. Allerdings darf dies nicht übersehen lassen, dass heute mehr denn je eine mystagogische Erschließung des gottesdienstlichen Feierns für alle Gläubigen vonnöten ist. Wenn die liturgische Erneuerung am Prinzip der „tätigen Teilnahme“ der Gläubigen am Gottesdienst Maß nimmt, dann können sich Bemühungen um mystagogische Katechese nicht auf die zu Initiierenden beschränken. Vielmehr muss die Kraft der liturgischen Riten so erschlossen werden, dass die Teilnehmer der Feier sie bewusst und fruchtbringend mitvollziehen können.

Schließlich äußert sich Papst Franziskus in seinem Schreiben an verschiedenen Orten zur Rolle der Volksfrömmigkeit, die er aus der „Inkarnation des christlichen Glaubens in eine Volkskultur hervorgegangen“[6] versteht. In ihr sieht er eine „aktiv evangelisierende Kraft“, deren Ausdrucksformen durchaus „ein theologischer Ort“ sein kann.[7] Das päpstliche Schreiben geht nicht näher auf Formen der Volksfrömmigkeit ein, in denen das Wirken des Heiligen Geistes erkannt werden könne. Die hohe Wertschätzung aber, die Papst Franziskus der Volksfrömmigkeit entgegenbringt, lässt fragen, welche Bedeutung sie im Blick auf die Liturgie haben kann, und wie überhaupt das Verhältnis von inkulturierter Spiritualität und dem Gottesdienst der Kirche näher zu bestimmen ist.

Das Schreiben Papst Franziskus´ enthält also durchaus Anregungen und Herausforderungen für die Liturgiewissenschaft, die weithin erst noch angegangen werden müssen.

 


[1] Apostolisches Schreiben Evangelii Gaudium des Heiligen Vaters Papst Franziskus an die Bischöfe, an die Priester und Diakone, an die Personen des geweihten Lebens und an die christgläubigen Laien über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute. 24. November 2913 (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 194), Zitat 25, Nr. 25.

[2] Ebd.

[3] Ebd., 100, Nr. 137.

[4] Ebd., 100, Nr. 138.

[5] Ebd., 119, Nr. 166.

[6] Ebd., 70, Nr. 90.

[7] Ebd., 94, Nr. 126.