Editorial: Das neue Gotteslob - Am 1. Adventssonntag ist mit gebührender medialer Aufmerksamkeit das neue Katholische Gebet- und Gesangbuch Gotteslob offiziell eingeführt worden. Da wegen der bekannten technischen Schwierigkeiten nicht alle Ausgaben für die Diözesen in Deutschland, Österreich und Südtirol zeitgleich zur Verfügung standen, erreichte das Buch sukzessive, über einen Zeitraum von mehreren Monaten die Bistümer und Pfarreien, ein Vorgang, der übrigens auch für das Vorgängerwerk von 1975 galt. Inzwischen muss keine Diözese mehr auf das neue Gotteslob warten, es ist überall angekommen. Freilich ist es nicht damit getan, dass im Buchständer in der Kirche oder in der Hand der Gläubigen ein neues Buch liegt. Es wird nun darauf ankommen, den reichen Schatz an Liedern, Gebeten und katechetischen Texten zu entdecken und zu erschließen. Neben seiner Funktion als Hausbuch mit den vermehrt aufgenommenen Hilfen für das persönliche Gebet, für häusliche Feiern, aber auch für die Erklärung von kirchlichen Begriffen kann es vor allem als Buch im Gottesdienst eine wichtige Rolle spielen und zahlreiche Impulse setzen, das gottesdienstliche Leben in unseren Gemeinden zu befruchten und die liturgische Erneuerung fortzuschreiben.
Von der lateinischen Gregorianik bis zu den rhythmischen Gesängen des Neuen Geistlichen Liedguts eröffnet das neue Gotteslob nämlich nicht nur eine große Bandbreite kirchenmusikalischer Traditionen, es bietet auch sehr unterschiedliche Gesangsformen und weist so darauf hin, dass etwa der ausschließliche Einsatz von Strophenliedern einer lebendigen Feier oft entgegensteht. Dafür wiederum ist ein liturgischer Dienst Voraussetzung, der in unseren Gemeinden bisher eher wenig Beachtung gefunden hat. Denn während sich der Lektorendienst erfreulicherweise allenthalben durchgesetzt hat, fehlt es in vielen Gemeinden an Männern und Frauen, die sich für den Kantorendienst zur Verfügung stellen und den Antwortpsalm und den Ruf vor dem Evangelium vortragen, aber auch bei Wechselgesängen, Rufen und Akklamationen den Vorsängerpart übernehmen. Die Taizé-Gesänge etwa verlangen vielfach als Kanones gesungen zu werden; dabei vermittelt eine Kantorin der Gemeinde Sicherheit, wenn sie die Einsätze der verschiedenen Stimmen anzeigt. Vielleicht ist die Einführung des neuen Gotteslobs ein Anstoß, diesen mancherorts „vergessenen“ liturgischen Dienst zu fördern und geeignete Gemeindemitglieder zu schulen und zu ermutigen, als Kantorinnen und Kantoren die Feier der Liturgie zu bereichern.
Das vielgestaltige kirchenmusikalische Repertoire des Buchs dient freilich nicht allein der Messfeier. Auch andere gottesdienstliche Formen leben von den unterschiedlichen Formen des Gesangs und der Musik. Man denke etwa an die Tagzeitenliturgie, die Wort-Gottes-Feiern und die Andachten, die für die tägliche Feier des Gottesdienstes zunehmend Bedeutung gewinnen, auch wenn sie vielerorts erst wieder neu entdeckt werden müssen. Dass hier das neue Gotteslob erheblich nachgebessert hat und reicheres Material zur Gestaltung anbietet, kann nur helfen, die Akzeptanz dieser Feiern zu fördern und ihre eigene Bedeutung in der Vielfalt des gottesdienstlichen Lebens zu stärken.
Es steht außer Frage, dass das neue Gebet- und Gesangbuch ein wichtiger Schritt auf dem weiteren Weg der liturgischen Erneuerung ist. Ähnlich wie für andere (Neu-)Ausgaben der liturgischen Bücher im deutschen Sprachgebiet jeweils ein Redaktionsbericht im Liturgischen Jahrbuch erschienen ist, der Einblick in die Erarbeitung und in die Novitäten des jeweiligen Buches bot, gibt in diesem Heft Diakon Winfried Vogel als Sekretär der „Unterkommission Gemeinsames Gebet- und Gesangbuch“ der Liturgiekommission der Deutschen Bischofskonferenz einen ersten Redaktionsbericht zum neuen Gotteslob, der über die wesentlichen Schritte der Erarbeitung informiert und die leitenden Prinzipien für das Buch erläutert. Dieser Bericht kann verständlicherweise eine umfassende Dokumentation, wie sie 1988 für das Vorgängerwerk von 1975 publiziert wurde[1] und auch für das neue Gotteslob geplant ist, nicht ersetzen, aber bis zu deren Erscheinen erlaubt der hier veröffentlichte Redaktionsbericht ersten Aufschluss über die Arbeit am neuen Gebet- und Gesangbuch.
Das Heft komplettieren zwei weitere Beiträge. Der reformierte Liturgiewissenschaftler und langjährige Gemeindepfarrer Alfred Ehrensperger gibt einen interessanten Einblick in die Gottesdienstgeschichte der evangelisch-reformierten Kirchen der Deutschschweiz, in der sich durchaus zäh vorreformatorische Traditionen gerade auch in Zeiten des Umbruchs im 16. und 17. Jahrhundert erhalten haben. Schließlich setzt sich Wolfgang Vogl, Juniorprofessor für die Theologie des geistlichen Lebens an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Augsburg, mit der Theologie und Praxis der eucharistischen Anbetung auseinander.
[1] Vgl. Redaktionsbericht zum Einheitsgesangbuch „Gotteslob“, hg. v. Weihbischof Dr. Paul Nordhues und Bischof Dr. Alois Wagner, Paderborn-Stuttgart 1988.