Mikheil Nebieridze arbeitet seit kurzem an seinem Dissertationsprojekt zu Veränderungen im Selbstverständnis der georgisch-orthodoxen Kirche und ihrer gesellschaftspolitische Rolle von der Unabhängigkeitserklärung 1991 bis zur Gegenwart. Zuvor hat er Philosophie und Orthodoxe Theologie studiert und anschließend den Lizentiatsabschluss in Katholischer Theologie an der KU Eichstätt-Ingolstadt erworben. Seit April 2024 ist er nun assoziiertes Mitglied im ZRKG, Forschungsfeld III. Im nachfolgenden Interview stellt er sich und seine Forschungsschwerpunkte näher vor.
ZRKG: An welchem (Forschungs-)Projekt arbeiten Sie aktuell?
M.N.: Vor drei Jahren habe ich mein Lizentiats-Projekt über das Verhältnis der orthodoxen Theologie zu den Menschenrechten abgeschlossen und vor kurzem mit meiner Promotionsarbeit begonnen. In dieser Studie möchte ich die Veränderungen im Selbstverständnis der georgisch-orthodoxen Kirche und ihre gesellschaftspolitische Rolle von der Unabhängigkeitserklärung 1991 bis zur Gegenwart aus einer politisch-theologischen Perspektive untersuchen.
Die Ausgangsthese meiner Arbeit besteht darin, dass sich die georgisch-orthodoxe Kirche in mehrfacher Hinsicht isoliert hat - gegenüber dem Westen, der ökumenischen Bewegung und Teilen der georgischen Gesellschaft. Diese Isolation spiegelt sich in ihrer Theologie wider, wobei die Beziehung zum Staat einen wesentlichen Einfluss auf diese Entwicklung hat.
Dieses Verhältnis ist von gegenseitiger Abhängigkeit und Instrumentalisierung geprägt, was sowohl die missionarische Rolle der Kirche als Zeugin der Offenbarung und Dienerin des Reiches Gottes als auch die Weiterentwicklung des säkularen Staates hin zu einer liberal-demokratischen Ordnung behindert.
Um diese These zu begründen und zu prüfen, wird zunächst die historische Entwicklung und der Verfassungsvertrag näher analysiert. Sodann erfolgt eine kritische Auseinandersetzung mit der politischen Theologie der Isolation im Vergleich zu westlichen Modellen des Verhältnisses von Kirche und Gesellschaft/Politik sowie zu neueren orthodoxen Ansätzen, um mögliche Entwicklungslinien aufzuzeigen.
ZRKG: Wie sind Sie zu diesem Thema gekommen?
M.N.: Es ist von besonderer Bedeutung, dass die politisch-theologischen und gesellschaftlichen Transformationsprozesse in Georgien, meinem Heimatland, einen engen Bezug zu meinen persönlichen Lebenserfahrungen haben. Besonders fasziniert haben mich dabei die Studien orthodoxer Theologen wie Aristotle Papanikolaou, Pantelis Kalaitzidis und Cyril Hovorun, die die Rolle und die Grenzen der orthodoxen Kirche in liberalen, demokratischen und säkularen Staaten untersuchen.
Welche Rolle kann die orthodoxe Kirche in postsowjetischen Ländern spielen, die eine Liberalisierung, Demokratisierung und Säkularisierung anstreben? Wo liegen die Grenzen der Kirchen in solchen öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Räumen, und inwieweit sind politisch-theologische Grundorientierungen der orthodoxen Kirche in diese politischen und gesellschaftlichen Transformationsprozesse eingebunden? Diese grundlegenden Fragen interessieren mich sehr, und während meines Studiums in Deutschland haben mich vor allem die Werke wichtiger Autoren wie Jacob Taubes, Jose Casanova und anderer bereichert.
ZRKG: Was motiviert Sie, einem interdisziplinären Forschungszentrum beizutreten? Gibt es Themen, die Ihnen dabei besonders wichtig sind?
M.N.: In meiner eigenen Arbeit nutze ich einen interdisziplinären Ansatz, der Methoden und Erkenntnisse aus der politischen Philosophie, den Sozialwissenschaften und der Geschichtswissenschaft eng mit theologischen Fragestellungen verknüpft. Dies passt sehr gut zu der Ausrichtung in Forschungsfeld III "Religiosität in Transformationsprozessen der Gegenwart". Auch dort ist die Idee leitend, dass ein Verständnis und eine Deutung der gegenwärtigen Transformationen und der Rolle der Religion in der Gegenwart eine interdisziplinäre und fachübergreifende Perspektive ebenso wie eine theologische erfordert. Dies trifft sich mit dem Ansatz in meinem Promotionsprojekt.
Ich freue mich daher auf den zukünftigen Austausch und darauf, Ansätze und Methoden aus anderen Disziplinen besser kennenzulernen, um hoffentlich fruchtbare Verbindungen herstellen zu können.
ZRKG: Gibt es eine Disziplin neben Ihrem eigenen Fach, der Sie sich besonders verbunden fühlen? Und wenn ja – warum?
M.N.: Es erscheint mir nicht ganz einfach, eine oder mehrere bestimmte Disziplinen hervorzuheben, auch wenn ich mich in meinem Projekt derzeit besonders mit den Sozialwissenschaften und der politischen Philosophie verbunden zu fühlen scheine. Das liegt daran, dass meine Forschung ein breites Spektrum an Wissensgebieten und Perspektiven umfasst. Ich bin aber auch offen für Erkenntnisse aus anderen Disziplinen und begrüße die Möglichkeit, mein Verständnis und meine Analyse durch unterschiedliche Ansätze zu bereichern.
ZRKG: Vielen Dank für das Gespräch!