Das erste, was Götz Pfander im Zoom-Meeting macht, ist, sein iPad als Whiteboard freizuschalten: „Jetzt haben wir eine Tafel – jetzt fühle ich mich zuhause!“ Für seine Arbeit, erklärt der Mathematik-Professor, genügen ihm in der Regel Papier und Stift. So minimalistisch wie die Mittel wirken die Ergebnisse auf den ersten Blick: In einem Paper, das der Professor stolz präsentiert, umfasst die Herleitung des Hauptresultats nur drei Seiten. „Aber dahinter stehen mehrere Monate Nachdenken“, betont Pfander. Natürlich nutze er auch Rechenprogramme am PC, allerdings meist nur, um sich mit einem Phänomen vertraut zu machen und ein Gefühl dafür zu entwickeln, ob eine Annahme stimmen kann oder eher nicht. „Es ist wichtig, dass man sich eine Meinung bildet und diese Meinung dann mit aller Energie zu beweisen sucht. Bei der Meinungsbildung hilft der PC – für die Beweisführung ist er nicht nützlich.“
Das klassische Vorgehen mit Papier und Bleistift nutzen Pfander und sein Team auch im DFG-Projekt „Abtasttheorie und Basen aus Exponentialfunktionen“, das seit 2020 läuft. Die Fragen, die Pfanders Lehrstuhlteam und insbesondere sein Doktorand Andrei Caragea behandeln, drehen sich darum, wie sich auf optimale Weise informationstragende Sendesignale formen und auf Empfängerseite „abtasten“ lassen. Die Abtasttheorie ist ein aktives Forschungsgebiet der Mathematik und spielt eine zentrale Rolle in der Elektrotechnik.
Der Ausgangspunkt des Projekts liegt in Fragestellungen aus der digitalen Nachrichtentechnik – wie es beispielsweise möglich ist, dass ich etwas in mein Mobiltelefon sage und weit entfernt mein Gesprächspartner ohne wahrnehmbare Verzögerung genau das hört. Die Informationen gehen nicht wie ursprünglich über Leitungen direkt von Telefon zu Telefon, sondern werden über Antennen vermittelt. Als Transportmittel dienen elektromagnetische Funkwellen. Im ersten Schritt wird das Gesprochene bzw. die dadurch ausgelösten Schallwellen digitalisiert, also in eine Folge aus Nullen und Einsen übersetzt. Nun werden die digitalisierten Daten in kleine Gruppen von Nullen und Einsen zerlegt, um diese dann, streng systematisch, jeweils einer Zahl zuzuordnen – wie 0,3 oder 7. „Der für uns interessante Vorgang ist, wie diese informationstragenden Zahlen nun von Telefon zu Antenne, weiter zur nächsten Antenne und dann zum anderen Telefon übertragen werden“, erklärt Pfander. Dazu werden Trägerwellen genutzt, besonders geeignet sind zeitlich beschränkte Sinus- und Cosinuswellen. Jede der Trägerwellen wird mit einer informationstragenden Zahl verstärkt und die resultierenden Wellen werden aufaddiert. Die Summe fungiert dann in Form einer einzigen elektromagnetische Welle als Sendesignal.
Dieses Sendesignal wird von Telefon an Antenne und von dort – oft auch kabelgebunden – an eine andere Antenne in der Nähe des Angerufenen und schließlich an dessen Telefon übertragen. Das Gerät des Angerufenen muss nun aus der empfangenen elektromagnetischen Welle die einzelnen Verstärkungsfaktoren herauslesen – denn aus ihnen lassen sich wiederum die digitalisierten Daten und damit die ursprünglichen Schallwellen, also das Gesprochene, generieren. Allerdings ist es nicht möglich, dass das Gerät das Signal komplett aufzeichnet und anschließend analysiert. Daher werden nur einzelne Werte innerhalb des Signals ermittelt, die das Gerät punktuell ausliest. Aus der Menge der entstehenden Abtastwerte sollen die Verstärkungsfaktoren berechnet und somit die ursprünglich gesendeten Informationen rekonstruiert werden.
Auch wenn Pfander die Mechanismen der Datenübertragung detailliert erklären kann – sein eigentliches Interesse sind sie nicht: „Uns als Mathematiker beschäftigen die theoretischen Fragen, die mit diesen Grundstrukturen verbunden sind.“ Im Rahmen des DFG-Projekts sei beispielsweise interessant, wie oft gewisse Signale abgetastet werden müssen, damit die Berechnung der Verstärkungsfaktoren und damit die Rekonstruktion der Informationen effizient und auch beim Vorhandensein von Störungsquellen zuverlässig funktioniert. Normalerweise entspreche die Anzahl der Abtastungen je Sendeintervall der Anzahl der genutzten Frequenzen. „Das ist naive Informationstheorie: Ich brauche drei Abtastwerte, um drei ursprünglich gesendete drei Zahlen zu ermitteln.“ Komplizierter wird die Situation jedoch durch die relativ junge Technik der „Cognitive Radio Systems“. Dieses Mobilfunkkonzept ermöglicht die spontane Nutzung von Frequenzen, die in diesem Moment „frei“ sind, also von anderen Nutzern nicht verwendet werden. Damit lässt sich die ursprünglich zur Verfügung stehende Bandbreite ad hoc ausweiten.
Je größer die Bandbreite, desto höher die Datenübertragungsrate. Gleichzeitig ist die Menge der auf dem Markt zur Verfügung stehenden Frequenzen begrenzt. Der Besitz von Frequenzen ist daher ein wesentlicher Faktor im Wettbewerb der Mobilfunkanbieter und der Grund, warum Frequenzpakete vom Staat regelmäßig für mehrere Milliarden Euro versteigert werden. Das erklärt die Attraktivität der „Cognitive Radio Systems“ und somit die Relevanz, deren Funktionsweise näher zu analysieren. Mathematik-Professor Pfander erläutert: „Durch die flexiblere Nutzung von Frequenzen verändert sich die Struktur der Sendesignale. Damit ergeben sich neue mathematische Fragestellungen: Wie strukturiere ich das Abtasten eines Signals um auf Spontanfrequenzen flexibel, effizient und robust reagieren zu können? Muss ich per se öfter abtasten als es ein naiver Ansatz nahelegt?“ Mehr Abtasten kostet mehr Geld – damit ist diese theoretische Frage auch wirtschaftlich relevant. Pfander sieht hier Potential für die Anwendung seines beschriebenen Resultats über die Zerlegung der Basis von Cosinus- und Sinusfunktionen mit ganzzahligen Frequenzen: die Parameter b1 , b2 , b3 , … , bn würden hier den Bandbreiten von zur Verfügung stehenden Spontan-Frequenzpaketen entsprechen. „Diesen Zusammenhang auszuarbeiten und entsprechende Absatzverfahren zu generieren, ist eine noch vor uns stehende Aufgabe.“
Ebenso wirtschaftlich relevant und von Interesse für das Eichstätter Forschungsteam ist die maximale Nutzung einer zur Verfügung stehenden Bandbreite bei der Datenübertragung. Gängige Verfahren der Funktechnik teilen den Signalraum zunächst in kleine Zeitabschnitte, in denen jeweils ein entsprechend zeitlich begrenztes Sendesignal übermittelt wird. Da in jedem Sendeintervall die Signale unabhängig gewählt werden, wären die Übergänge eigentlich Sprünge. Ein Sendesignal mit Sprung lässt sich jedoch nicht als elektromagnetische Welle realisieren, daher muss der Übergang von einem Signal zum nächsten eigens gestaltet werden. Die dafür jeweils nötigen Zeitintervalle dienen einzig dazu, im gesamten ein realistisches und gegenüber Störungen robustes Sendesignal zu formen. Das bedeutet aber auch: In diesen Zeitintervallen werden keine Informationen gesendet – eine hundertprozentige Nutzung der theoretisch vorhandenen Signalkapazität ist damit nicht möglich. Dass diese Problematik unumgänglich ist, wurde in den 1980er Jahren durch den „Satz von Balian-Low“ bereits grundsätzlich etabliert, ein Paradebeispiel der Rolle tiefgehender Mathematik in Anwendungsgebieten. Pfander und sein Team arbeiten im DFG-Projekt auch an Verallgemeinerungen des Satzes von Balian-Low und konnten bereits zeigen, dass die beschriebene Problematik auch dann unumgänglich ist, wenn zum Beispiel auf die Nutzung eines Teils der Frequenzen verzichtet wird.
In den Analysen von Bausteinen der Nachrichtentechnik sieht Pfander nicht nur wichtige Grundlagenforschung, sondern zugleich einen großen Wert für die Praxis: „Wir beschäftigen uns nicht mit der Nachrichtentechnik per se, sondern mit der knallharten Mathematik dahinter. Was wir den Ingenieuren bieten, sind nicht notwendigerweise neue Verfahren, sondern wichtige No-Go-Resultate“. Damit zeige man auf, wo die mathematischen Grenzen für Verbesserungen liegen. „Mit diesem Wissen müssen die Ingenieure nicht ständig versuchen, etwas zu schaffen, von dem bewiesen ist, dass es nicht geht, und können andere Komponenten der Funktechnik verbessern