Morgenandachten im Advent mit Prof. Bärsch im Radio

Vom 7.-12.12. von 6.35-6.40 Uhr im Deutschlandfunk - Dokumentation zum Nachhören und Nachlesen

In der Woche vom 7. bis 12. Dezember 2015 spricht Prof. Dr. Jürgen Bärsch im Deutschlandfunk die Morgenandachten von 6.35-6.40 Uhr. Die Sendungen können ab dem 7. Dezember 2015 nachgehört werden unter untenstehendem Link. Die gesprochenen Texte finden Sie auf den Seiten der katholischen Medienarbeit (Link unten) und ebenso hier dokumentiert:

Montag, 7. Dezember 2015 - „Ohne Bräuche stirbt das Dorf.“

Wohl kaum eine Zeit ist so reich an Bräuchen wie die Advents- und Weihnachtszeit. Der Adventskranz, das Backen der Weihnachtsplätzchen, der Besuch auf dem Weihnachtsmarkt und das Aufstellen des Christbaums gehören ganz selbstverständlich in diese Wochen und geben ihnen zugleich ihr unverwechselbares Gesicht. Solche Bräuche übernehmen damit eine wichtige Funktion. Sie strukturieren unsere Zeit im Laufe eines Jahres und helfen, dass wir uns nicht im Flug der Zeiten verlieren. Weil alles seine Zeit hat, wirken Adventskalender und Schokoladen-Nikoläuse außerhalb des Advents unpassend und geradezu skurril. Das ist wohl auch der Grund, weshalb sich viele Menschen daran stoßen, wenn schon kurz nach den Sommerferien Spekulatius und Dominosteine in den Geschäften angeboten werden. Advents- und Weihnachtsbräuche zeigen unmissverständlich an, in welcher Zeit wir uns befinden und sie ermöglichen, diese Wochen in Familien, Freundeskreisen, Vereinen oder Gruppen gemeinsam zu erleben.

Denn auch das ist eine Funktion des Brauchtums. Bräuche bilden und stärken eine Gemeinschaft. Sie bringen Menschen zusammen und vereinen sie zum gemeinsamen Tun. Nirgendwo kann man das besser sehen, als auf dem Fußballplatz. Das einheitliche Fan-Outfit, die von allen mitgesungenen Rufe und Gesänge, das Schwingen der Fahnen und Schals und das gemeinsame Erlebnis des Spiels in der Fankurve verbinden Menschen, so unterschiedlich sie auch sonst sein mögen.

Weil Bräuche vom gemeinschaftlichen Handeln leben, haben sie es in der anonymen Großstadt schwerer als auf dem Dorf, wo sich jeder kennt. Dennoch braucht gerade eine Gesellschaft, in der jeder sich selbst bestimmt, sich nicht mehr auf selbstverständliche Traditionen und Vorbilder verlassen kann und sein Leben stets neu bestimmen und ausrichten muss, Bräuche. Weil manche Zeitgenossen ahnen, dass niemand nur aus sich und für sich allein leben kann, haben mancherorts Bräuche wieder Konjunktur. „Ohne Bräuche stirbt das Dorf“, sagt ein russisches Sprichwort. Gemeinsames Leben setzt gemeinsames Erleben und gemeinsames Feiern voraus.

Viele Bräuche haben ihre Wurzeln in der Kultur des Christentums. Sie sind vielfach mit dem Kirchenjahr verbunden und oft stehen sie dem Gottesdienst nahe. Sie bilden Rituale, mit denen der Glaube in unsere Wohnungen und unsere Alltagswelt kommt. Wie die Riten der Liturgie dem Glauben in der Kirche Gestalt verleihen, so geschieht Ähnliches durch das Brauchtum in unseren Häusern: Es holt Gott und das Wissen um ihn in unsere Welt, es macht den Glauben heimisch; oder wie der Brauchtumsforscher Manfred Becker-Huberti sagt: Religiöses Brauchtum „ist die sinnliche Vergegenwärtigung Gottes im Alltag.“ (Manfred Becker-Huberti, Feiern- Feste - Jahreszeiten. Lebendige Bräuche im ganzen Jahr - Geschichte und Geschichten, Lieder und Legenden, Freiburg/Basel/Wien 1998, 2)

Die enge Verbindung zwischen Kirchenjahr, Gottesdienst und Brauchtum ist allerdings heute vielfach verdeckt, der christliche Hintergrund und den tiefere Sinn vieler Bräuche auch regelmäßigen Kirchgängern kaum mehr bekannt. Wo aber der Sinn eines Brauchs nicht mehr verstanden wird, ist die Gefahr groß, dass der Reiz seines Nachvollziehens verloren geht und damit der Brauch allmählich stirbt.

Ich möchte Sie deshalb einladen, in dieser Woche über einige unserer Advents- und Weihnachtsbräuche nachzudenken, ihre Geschichte und Geschichten aufzuspüren und zu fragen, was sich an Haltungen, Werten oder gläubiger Hoffnung hinter ihnen verbirgt. - „Ohne Bräuche stirbt das Dorf.“


Dienstag, 8. Dezember 2015 - Der Einkehrbrauch des hl. Nikolaus

In diesen Tagen um den 6. Dezember sind sie wieder unterwegs, die Darsteller des heiligen Nikolaus. Entweder korrekt als Bischof gekleidet, mit Stab und Mitra auf dem Kopf, aber auch im "Weihnachtsmann-Outfit" der Coca-Cola-Werbung: roter Mantel und rote Zipfelmütze.

Letztere haben mit dem Heiligen, dessen Gedenktag vorgestern auf dem Kalenderblatt stand, nichts zu tun. Hinter der Figur des legendären Nikolaus stehen zwei historische Personen aus der heutigen Osttürkei, ein Bischof Nikolaus, der im 4. Jahrhundert in Myra lebte und ein gleichnamiger Abt, der Mitte des 6. Jahrhunderts Bischof von Pinora war. Aus ihren Lebensbeschreibungen entwickelte sich dann die in Legenden fassbare, fiktive Figur des wundertätigen Bischofs Nikolaus.

Viel wir von ihm berichtet: Er rettet Seeleute aus Seenot, verhindert die Hinrichtung Unschuldiger, befreit drei Soldaten aus ungerechter Gefangenschaft, lässt bei einer Hungersnot Kornschiffe entladen und als sie weiterfahren, fehlt nichts an der Ladung. Und er bewahrt drei Mädchen vor der Sklaverei, indem er ihnen nachts Goldkugeln durchs Fenster wirft. Diese Legende hat wohl dazu geführt, dass Nikolaus bis heute seine Gaben über Nacht und unerkannt bringt und sich so als Freund der Kinder erweist.

Die zahlreichen Wundererzählungen über den heiligen Bischof hat im 13. Jahrhundert der Dominikaner Jacobus de Voragine im Abendland populär gemacht. Seine „Legenda aurea“, seine „Goldene Legende“, war das nach der Bibel meistgelesene Buch des Mittelalters. In dieser Sammlung von Heiligenlegenden berichtet der fromme Ordensmann auch, dass Nikolaus drei ermordete Schüler wieder zum Leben erweckte. Damit stieg Nikolaus zum Patron der Schüler auf. Den Nikolaustag am 6. Dezember feierte man in den Kloster-, Dom- und Pfarrschulen denn auch in einer ganz besonderen Weise.

Schon am Vorabend wurde einer der Schüler zum Bischof gewählt und entsprechend eingekleidet. Für einen oder mehrere Tage hatten nun die Kinder das Sagen – ein „Spiel der umgekehrten Ordnung“ gemäß dem Lukasevangelium: „Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen“ (Lk 1,52).

Der Schülerbischof leitete mit Chormantel, Stab und Mitra auf dem Kopf nicht nur manche Gebetsgottesdienste, er zitierte auch die Erwachsenen herbei. Sie mussten sich ihre Fehler und Versäumnisse vorhalten lassen und wurden dafür von einem Knecht bestraft; wer sich gut geführt hatte, bekam seine Belohnung. Für diese Tage rund um das Nikolausfest galt ein neuer Maßstab, jetzt bestimmten die Kinder über die Erwachsenen, die Kleinen über die Großen.

Im Zuge der Reformation und der Aufklärung wandelte sich das Kinderbischofsspiel zu einem Darstellungsspiel. Dabei kehrten sich die Verhältnisse um. Nun kam der heilige Bischof Nikolaus in die Familien und examinierte die Kinder. Die Folgsamen belohnte er mit kleinen Geschenken, die Nachlässigen ermahnte er. Hinter diesem Einkehrbrauch des Nikolaus stand der Gedanke der positiven Verstärkung. Das Lob und die Geschenke sollten die Kinder ermutigen und anspornen; milde Strafe sie vom verkehrten Weg abbringen. Dass daraus dann ein Spektakel wurde, das den Kindern oft Angst machte, die Erwachsenen aber insgeheim belustigte, lag sicher nicht im Sinne des Erfinders.

Der Nikolausbesuch hat seine Wurzeln in der Wertschätzung der Kinder und im Wissen darum, dass ihre Meinungen, Ansichten und Forderungen nicht unter den Tisch fallen dürfen. Schon der heilige Benedikt mahnte in seiner Klosterregel den Abt, die Meinung der Jungen zu hören und zu beachten. Heute gibt es Kinder- und Jugendparlamente, Schülersprecherinnen und -sprecher stehen in den Schulen für die Anliegen und Rechte ihrer Mitschülerinnen und -schüler ein. Sogar den Brauch der Kinderbischöfe gibt es seit einiger Zeit wieder. In Hamburg erscheinen seit 1994 jeweils drei Jungen und Mädchen in vollem Bischofsornat und reklamieren die Wünsche und Interessen der Kinder bei den Politikern und Kirchenleuten der Hansestadt; an manchen anderen Orten hat man den mittelalterlichen Brauch inzwischen wieder belebt.

Vor Jahren sang Herbert Grönemeyer: „Kinder an die Macht!“; der heilige Nikolaus und sein Brauchtum halten seit Jahrhunderten lebendig, dass Kinder ihre eigenen Rechte und ihre eigene Sicht haben. Denn ihre Würde liegt in dem begründet, der selbst ein Kind wurde und auch uns auffordert, wie ein Kind zu werden (vgl. Mt 18.3).


Mittwoch, 9. Dezember 2015 - Adventskalender und Adventskranz

"Wie oft müssen wir noch schlafen bis zum Heiligen Abend?" Familien mit Kindern kennen die leicht quengelnde Frage. So fragen Kinder aber schon seit über hundert Jahren. Denn in der Mitte des 19. Jahrhunderts hatte sich in den Wohnstuben des aufstrebenden Bürgertums die häusliche Weihnachtsfeier am Heiligen Abend durchgesetzt. Damit war der heilige Nikolaus als Gabenbringer abgelöst vom Christkind. Das wiederum hatte Martin Luther erfunden. Weil ihm die spätmittelalterliche Verehrung der Heiligen ein Dorn im Auge war, verlegte er kurzerhand den Kinderbeschenktag vom Nikolausfest auf Weihnachten, das Geburtsfest Christi. Für die Kinder war nun die Bescherung unter dem Weihnachtsbaum der Höhepunkt. Darauf fieberten sie hin, und dafür sollte ihnen ein Zählinstrument die Zeit des Wartens vor Augen führen. Die Idee des Adventskalenders war geboren. 

Zunächst handelte es sich um einfache Strichkalender, bei denen man Tag für Tag jeweils einen der 24 an eine Tür gezeichneten Kreidestriche wegwischte. Aber dabei blieb es nicht, der Ideenreichtum der Eltern erwies sich als enorm: Es gab Weihnachtsuhren aus Pappe oder auch Kerzen mit Tagesmarkierungen, die man Abend für Abend abbrannte. Thomas Mann hat in seinen „Buddenbrooks“ dem Adventskalender gar ein Denkmal in der Weltliteratur gesetzt: Er erzählt von der Kinderfrau Ida Jungmann, die ihrem Schützling Hanno einen Abreißkalender gebastelt hatte, mit dessen Hilfe der kleine Junge Weihnachten herbeisehnte.

Um 1900 setzte dann die Massenproduktion von gedruckten Adventskalendern ein: zunächst Ausschneidebögen, dann Advents- und Weihnachtshäuschen zum Aufstellen und die bis heute bekannten Kalender mit Türchen zum Öffnen, hinter denen sich ein Bild oder auch kleine Süßigkeiten verbargen. Heute erscheinen jedes Jahr rund 1000 verschiedene Adventskalender. Die finden sich inzwischen auch im Internet oder auf dem Smartphone.

In manchen Pfarrgemeinden gibt es den „lebenden“ Adventskalender. An jedem Abend treffen sich Familien vor einer anderen Haustür in der Pfarrei. Wenn zur festgesetzten Zeit die Tür oder ein geschmücktes Fenster geöffnet wird, lässt sich ein Bild bestaunen, wird eine Geschichte erzählt oder gemeinsam gesungen. So sehr sich die Formen des Adventskalenders verändert haben, so unterschiedlich niveauvoll ihre Aussagen sein mögen, eines ist er geblieben: eine Zählhilfe, um bewusst dem Weihnachtsfest entgegen zu gehen.

Eine Zählhilfe ist auch der Adventskranz. Auf diese Idee kam der evangelische Pfarrer Johann Hinrich Wichern (1808-1881). Er hatte 1833 in Hamburg das „Rauhe Haus“ gegründet, ein Heim für gefährdete Kinder und Jugendliche in der Hafenstadt. Mit ihnen feierte er jeden Tag eine Adventsandacht. Dazu hängte er einen großen Tannenkranz auf, auf dem 24 Kerzen standen. Vom 1. Adventssonntag an wurde an jedem Tag eine weitere Kerze entzündet. Das Licht wuchs immer mehr, bis schließlich am Heiligen Abend alle 24 Kerzen brannten. Die Kinder konnten so erleben, was das Johannesevangelium von Christus sagt: „Das Licht leuchtet in der Finsternis“ (Joh 1,5); und ihnen stand vor Augen, was Weihnachten bedeutet: Das „wahre Licht“ (Joh 1,9) kam in die Welt, Gott wurde ein Mensch.

Die Idee des Adventskranzes zog Kreise. Weil der große Kranz mit 24 Kerzen für die heimischen Wohnungen zu sperrig war, gab es ihn in einer kleineren, handlicheren Version. Die 24 Kerzen reduzierte man einfach auf vier, für jeden Adventssonntag eine. Und in dieser Form breitete sich der Brauch des Adventskranzes zuerst in den evangelischen Gemeinden, nach dem Zweiten Weltkrieg auch in katholischen Familien und Gruppen aus.

Inzwischen hat der Adventskranz längst die Kirchenräume erobert und bildet hier ein sichtbares Signal für die Zeit des Advents. In der katholischen Kirche wird er meist eigens gesegnet, ein ausdrückliches Zeichen, dass das Licht der vier Kerzen den stufenweisen Aufstieg zum vollen Licht der Weihnacht anzeigt. Das Licht der Kerzen in der dunklen Jahreszeit des Advents spricht offenbar auch heute die Menschen an. Für die Christen ist es ein Zeichen für Jesus Christus, das Licht der Welt. So erinnert sie der Adventskranz mit seinem wachsenden Licht an die große Hoffnung, dass nicht Dunkel und Tod, sondern Licht und Leben siegen werden.


Donnerstag, 10. Dezember 2015 - Der Weihnachtsmarkt

„Das Christkind lädt zu seinem Markte ein, und wer da kommt, der soll willkommen sein.“ Mit seinem Prolog eröffnet das Nürnberger Christkind den Christkindlesmarkt; jedes Jahr von der „Tagesschau“ mit einem Einspieler in unsere Wohnzimmer gebracht. Nürnberg ist, vielleicht neben dem Dresdner Striezelmarkt, das weltweit bekannteste Beispiel für den deutschen Weihnachtsmarkt. Inzwischen gibt es ihn in fast jeder größeren Stadt. Zumeist handelt es sich um mehrere Wochen dauernde Märkte. Inzwischen werden sie von professionellen Agenturen organisiert und kommerziell ausgerichtet; nicht nur in Nürnberg bilden sie einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor. Längst sind Weihnachtsmärkte zu einer Art winterlichem Erlebnisort geworden, eine Mischung aus Kirmes, Eislaufvergnügen, Glühwein und klingendem Weihnachtstrubel. Wer ahnt schon, dass ihre Ursprünge nicht in den ökonomischen Interessen örtlicher Firmen und Gastronomiebetriebe liegen. Auch der Weihnachtsmarkt streckt seine Wurzeln bin ins kirchliche Leben aus.

Im Mittelalter war genau festgelegt, wer und wann auf einem Markt seine Waren feilbieten durfte. Nachdem es im 14. Jahrhundert üblich wurde, den Bediensteten und den Kindern zu Weihnachten kleine Geschenke zu machen, erlaubte man Handwerken wie Korbflechtern, Zuckerbäckern und Spielzeugmachern an den Tagen vor dem 25. Dezember auf dem Wochenmarkt vor der Kirche ihre Zelte aufzuschlagen und ihre Produkte anzubieten. Selbst für das leibliche Wohl der Besucher war gesorgt. Es gab geröstete Kastanien, Nüsse und Mandeln. Bereits 1310 fand in München ein solcher Weihnachtsmarkt statt, in Dresden 1434. Und auch der Nürnberger Christkindlesmarkt ist zwischen 1610 und 1639 aus diesen Wurzeln erwachsen.

Die Märkte fanden nicht grundlos vor den Kirchen statt. Die Nähe zwischen Markt und Kirche war durchaus gewollt. Denn die festlich gestimmten Menschen sollten nach dem Gottesdienst vor die Kirchtüre treten und sogleich zum Kaufen der Spielwaren animiert werden. Dass das Verhältnis zwischen Kirche und Markt nicht immer konfliktfrei war, beweist der Pfarrer von St. Sebald in Nürnberg. Er musste am 24. Dezember 1616 die Nachmittagspredigt ausfallen lassen, denn die Leute fanden gar nicht erst den Weg in die Kirche, sondern waren ausschließlich mit dem Kauf der Weihnachtsgeschenke beschäftigt.

Aus dem Zubehör zum Kirchenbesuch entwickelten sich die Weihnachtsmärkte mit ihren geschmückten Budengassen aber allmählich zu Orten, um zu bummeln, zu schauen, zu staunen und zu kaufen. Erwarb man einst kleine, handgefertigte Spielsachen und weihnachtliche Süßigkeiten, dominierten im Zuge der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts immer mehr Waren aus der Massenproduktion das Sortiment. Als schließlich nach dem Ersten Weltkrieg die Kaufhäuser mit ihrem riesigen Angebot an Spielzeug und anderen Geschenkartikeln die Käufer anlockten, verloren die Weihnachtsmärkte ihre kommerzielle Bedeutung. Was blieb, waren Weihnachtsromantik und Kindheitsidylle. Heute leben die Weihnachtsmärkte von der festlichen, gefühlsbetonten Atmosphäre mit buntem Begleitprogramm und anderen Attraktionen und haben sich inzwischen zu Besuchermagneten entwickelt.

Im Hintergrund stand aber ursprünglich der Geschenkbrauch am Weihnachtsfest. Er war zunächst in protestantischen Regionen zu Hause. Weil man hier der Heiligenverehrung skeptisch bis ablehnend gegenüberstand, brachte nicht mehr der heilige Nikolaus, sondern das Christkind die Geschenke. Seit 1900 hatte sich aber auch in katholischen Gebieten die Kinderbescherung vom Nikolausfest auf Weihnachten verlagert. Und damit verbreiteten sich die Weihnachtsmärkte in ganz Deutschland.

Sich zu Weihnachten zu beschenken, hat durchaus auch einen geistlichen Sinn. Dabei geht es freilich nicht um den materiellen Erwerb. Vielmehr schenkte man einst den Armen, Bedürftigen und damit auch den Kindern etwas, um sie an der Freude über die Geburt Jesu teilhaben zu lassen. Die Überraschung, ein Geschenk zu erhalten, etwas zu bekommen, womit man nicht gerechnet hat, erinnert an das unerwartete Wirken Gottes, in Jesus selbst den Menschen zu begegnen, um sie zu retten. Darin zeigt sich schon etwas vom neuen Maßstab des Gottesreiches, in dem Gott die Hungernden mit reichen Gaben beschenkt, die Reichen aber leer ausgehen lässt (vgl. Lk 1,53).


Freitag, 11. Dezember 2015 -  Der Weihnachtsbaum

An Baumärkten, auf den Parkplätzen der Discounter und an vielen Straßenecken wird er jetzt wieder angeboten: der Weihnachtsbaum. Allein im letzten Jahr wurden rund 29 Millionen davon in Deutschland verkauft. Und wohl auch in diesem Jahr werden wieder 90 Prozent der Deutschen sich einen Weihnachtsbaum in die Wohnung stellen. 

Bäume gelten in vielen Kulturen und Religionen als ein geheimnisvolles Symbol. Mit ihrer Wurzelkraft und den grünen Blättern weisen sie hin auf das Leben. In den Bäumen, die in den Himmel zu ragen scheinen, vermutet man den Sitz der Götter. Und die Dorflinde ist der Mittelpunkt für Versammlungen, um Beschlüsse zu fassen und Recht zu sprechen. Mit all dem hat der Weihnachtsbaum allerdings nichts zu tun. Sein Brauch ist originär christlichen Ursprungs. Der mancherorts noch gebräuchliche, ältere Name „Christbaum“ erinnert schon daran.

Um 1600 haben wohl evangelische Christen im Elsass begonnen, einen Tannenbaum im Haus aufzustellen und ihn mit Äpfeln und Oblaten zu schmücken. Am Fuß des Baumes legten sie in einem Rechteck Moos aus und setzten ein kleines Gitter darum. So sollte eine Art Miniaturgarten entstehen. Gemeint war damit ein bestimmter Garten: der Paradiesgarten, von dem das erste Buch der Bibel erzählt. In seine Mitte hatte Gott den Baum des Lebens gesetzt (vgl. Gen 2,9). Aber nach dem Sündenfall war dem Menschen der Zugang zum Baum des Lebens versperrt (vgl. Gen 3,24). Die Konsequenz: ein Leben in Mühsal und Angst, in Gewalt und Tod. Auf den letzten Seiten der Bibel taucht dann das Bild vom Lebensbaum wieder auf. Da lässt die Offenbarung des Johannes Christus sprechen: „Wer siegt, dem werde ich zu essen geben vom Baum des Lebens, der im Paradies Gottes steht“ (Offb 2,7). Zwischen dem Lebensbaum des Anfangs und dem Lebensbaum der Vollendung steht das Ereignis von Krippe, Kreuz und Auferstehung.

Der Weihnachtsbaum erinnerte also ursprünglich an den biblischen Lebensbaum. Darauf weisen auch Äpfel und Oblaten hin, der älteste Christbaumschmuck. Die Äpfel spielen, wie Sie schon ahnen, auf die Frucht vom Paradiesbaum und den Sündenfall an. Und die Oblaten, die ja wie die Hostien bei der Kommunion aussehen, sprechen vom Baum des Lebens, von dem Jesus den Menschen das Brot des Lebens reicht. Die Botschaft war klar: Die große Sehnsucht der Menschen nach gelungenem, unzerstörbarem Leben erfüllt sich in Jesus Christus, der sich selbst bezeichnet als „das lebendige Brot, das vom Himmel gekommen ist“ (Joh 6,51) und der Mensch wurde in Betlehem, das übersetzt heißt „Haus des Brotes“. Der Weihnachtsbaum wollte seinen Betrachtern demnach die große Geschichte Gottes mit den Menschen vor Augen führen. Diese Geschichte hat mit der Geburt Jesu eine neue Wende genommen. Eine neue Zeitrechnung hat begonnen, denn dieses Kind in der Krippe wird die Dunkelheiten der Welt mit dem göttlichen Leben hell machen.

Es dauerte darum auch nicht lange und man ergänzte den Apfel- und Oblatenschmuck des Christbaums mit dem Symbol des Lichtes. Erstmals sollen 1621 fromme Stiftsherren aus Neustift bei Brixen auf die Idee gekommen sein, kleine Kerzen auf die immergrünen Zweige zu stecken und diesen Lichterbaum an den Altar der Stiftskirche zu stellen. So illustrierten sie das Weihnachtsgeschehen, bei dem das „wahre Licht“ in diese Welt gekommen ist.

Später hängte man zusätzlich Nüsse, Spekulatius, Plätzchen und Zuckerzeug als Früchte des Paradiesbaumes an die Tanne; um sie als besondere Gaben herauszuheben, eingewickelt in Goldpapier. Christbaumkugeln und Lametta sollten später deren Nachfolger werden. Am Ende der Weihnachtszeit war es das Recht der Kinder, die „Früchte“ des Baumes zu „pflücken“, den Weihnachtsbaum zu plündern.

Lange Zeit blieb der Weihnachtsbaum ein Brauch vornehmer protestantischer Häuser, erst im 19. Jahrhundert eroberte er auch die Wohnzimmer katholischer Familien. Heute gehört er ganz selbstverständlich zum Fest wie der Christstollen und die Geschenkpakete. Das kann aber leicht vergessen lassen, dass in ihm eigentlich ein alter christlicher Weihnachtsbrauch fortlebt: die große Erinnerung daran, dass mit der Menschwerdung des Gottessohnes der Weg der Erlösung beginnt. Wie heißt es im Weihnachtslied von Nikolaus Herman 1560: „Heut schließt er wieder auf die Tür / zum schönen Paradeis / der Kerub steht nicht mehr dafür. / Gott sei Lob, Ehr und Preis.“


Samstag, 12. Dezember 2015 -  Die Weihnachtskrippe

In meiner Heimatkirche in Oberhausen gibt es eine Krippe mit zahlreichen, lebensgroßen Gliederpuppen, die beweglich aufgestellt und stets mit neuen Kostümen ausstaffiert werden. Schon als Kind hat mich diese Krippe fasziniert. Als ob in einem Augenblick ein Film angehalten worden sei, so lebendig wirkten die Figuren der Menschen und Tiere auf mich. Aber nicht nur Kinder, auch viele Erwachsene fühlen sich von Krippendarstellungen angezogen. Mancherorts gibt es Fahrten zu historisch bedeutenden, zeitgenössisch interessanten oder einfach originellen Krippen. Die Krippe gehört zu Weihnachten, oft auch da, wo der christliche Sinn des Festes längst in den Hintergrund getreten ist.

Die Idee der Weihnachtskrippe hat die Jesus-Frömmigkeit des hohen Mittelalters hervorgebracht. In dieser Zeit waren die Gläubigen vor allem am Menschen Jesus und seinen irdischen Lebensstationen interessiert. In frommer Andacht wollten sie die Erbärmlichkeit seiner Geburt im Stall und seines Verbrechertodes am Kreuz nachempfinden. Sie wollten betrachten, was Jesus alles auf sich genommen hat, um die Menschen zu erlösen. Der Theologe Bernhard von Clairvaux († 1153) bringt diese Frömmigkeit auf den Punkt: „Je armseliger er für mich geworden ist, desto lieber ist er mir“ (PL 183,141f), predigt er. Darin zeigt sich nach ihm am deutlichsten, was der Mensch Gott wert ist.

Es war dann Franz von Assisi († 1226), der möglichst lebendig nacherleben wollte, wie es war, als Jesus in der Grotte von Betlehem geboren wurde. Für die Mitternachtsmesse am Weihnachtsfest des Jahres 1223 zieht er zu einer Grotte in einem kleinen Wald bei Greccio. Die Tiere sind da und die Hirten aus der Umgebung. Neben dem Altar steht ein Krippentrog. Aber ein „Jesuskind“ liegt noch nicht darin. Denn Franziskus weiß, dass der menschgewordene Gottessohn ja in der Messfeier selbst real gegenwärtig ist; da braucht es keine Figur. Später stellten auch fromme Ordensschwestern eine Krippe in ihre Kirchen, in der sie auf Heu und Stroh nun aber ein „Jesuskind“ betteten, es wiegten und betrachteten. Sie wollten sich hineinversetzen in die Situation der armseligen Geburt im Stall und es Maria gleich tun. Bei diesen spätmittelalterlichen Krippenandachten entstanden auch die ältesten deutschsprachigen Weihnachtslieder; so das noch mit Latein gemischte „In dulci jubilo“.

Nach und nach vervollständigte man die Krippe mit dem Jesusknaben um das weitere Krippenpersonal: Maria und Joseph, die Hirten und die Könige, Ochs und Esel. Eine Weihnachtskrippe in dieser „Vollgestalt“ scheint auf deutschem Boden erstmals 1601 in Altötting aufgebaut worden sein.

In der Barockzeit werden die Darstellungen immer aufwändiger und prächtiger. Vor allem möchte man die Krippenszenerie nun in die eigene, heimische Landschaft versetzen. So lässt man die Geburt Jesu in einem Bergdorf in Tirol, in einem westfälischen Bauernhof oder auf der Straße eines kölschen „Veedels“ stattfinden. Denn es stimmt ja: Die Geburt Jesu ist nicht nur ein begrenztes Ereignis, das vor 2000 Jahren in Betlehem stattgefunden hat. Weihnachten ist nicht einfach eine vergangene Episode, die sich in einem unbedeutenden Flecken des römischen Weltreichs abgespielt hat. Gott bleibt in diesem Kind den Menschen aller Zeiten und aller Orten verbunden. Gott kommt auch in unser Leben und unseren Alltag. Da kann dann Jesus auch mitten in die Welt von heute hineingeboren werden, zwischen Kindern mit Baseballcaps und Skateboards und Fußballfans mit Jeansjacke und Fanschal.

Gott kommt in unsere Welt, er begegnet uns als Mensch unter Menschen. Darin liegt auch heute noch die Bedeutung der Krippe, mag sie klein oder groß sein, mit vielen Details liebevoll ausgestaltet wie auf einer Modelleisenbahn oder einfach beschränkt auf Maria und Joseph mit dem Jesusknaben – sie kündet davon, dass Gott in diese Geschichte, in diese Welt eingetreten ist und unser menschliches Leben geteilt hat. Die Weihnachtskrippe erinnert daran, warum es Weihnachten gibt, und sie weist auf das Ereignis hin, das die Christen Jahr um Jahr als Anfang ihrer Erlösung feiern. Sie zeigt aber auch unmissverständlich, dass der Glaube der Christen sich nicht auf einen nebulösen Weltsinn, eine transzendente Kraft richtet, sondern einem Gott vertraut, der nicht für sich im Himmel geblieben ist, sondern einer von uns wurde, um uns seine rettende Liebe zu erweisen.