Moskau und die Öffnung der Berliner Mauer

In seinem Kommentar zur Rede Wladimir Putins auf der Danziger Gedenkfeier zum 70. Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges geht Thomas Urban auch auf die These Putins ein, daß "die Öffnung der Berliner Mauer zu den Verdiensten der Sowjetunion", zähle. Urban hält diese Äußerung für derart unerhört, daß er sogar darauf verzichtet, sie ernsthaft zu kommentieren (Thomas Urban,"Putin und wie er die Welt sieht", Süddeutsche Zeitung vom 2.September 2009).In Wirklichkeit unterliegt es aber für die Mehrheit der Historiker keinem Zweifel, daß sich das Schicksal der Revolutionen von 1989 an der westlichen Peripherie des Ostblocks in erster Linie in Moskau entschied.

Bis dahin stellte das sowjetische Regime für die Dogmatiker in Ost-Berlin, Budapest, Prag und Warschau einen ruhenden Pol dar. Mit ihm konnten sie immer rechnen, wenn sie innere Krisen aus eigener Kraft nicht bewältigen konnten. Unter Gorbatschow geriet dieser Pol aber selbst in Bewegung: "Mit sowjetischen Panzern zum Erhalt der politischen Macht (der osteuropäischen Verbündeten Moskaus) war nicht mehr zu rechnen", schreibt Gorbatschow in seinen Erinnerungen. Erst dieser Paradigmenwechsel in der Politik Moskaus gegenüber seinen osteuropäischen Vasallenstaaten bestimmte den Charakter der Umwälzungen von 1989. Die Tatsache, daß das 1953 in Ost-Berlin, 1956 in Budapest und 1968 in Prag erprobte Szenario der gewaltsamen Unterdrückung des Freiheitsstrebens der Völker Osteuropas sich 1989 nicht wiederholte, also auch die Tatsache, daß die Öffnung der Berliner Mauer friedlich verlief, war in erster Linie darauf zurückzuführen, daß die sowjetischen Panzer in ihren Kasernen verblieben. Über diesen Sachverhalt sind sich unzählige Akteure der damaligen Ereignisse im klaren, obwohl Thomas Urban behauptet, daß man dies in Danzig angeblich "noch nie gehört hat". Auf einem ganz anderen Blatt steht der Umstand, daß es wenig überzeugend klingt, wenn sich Putin mit den Verdiensten Gorbatschows zu schmücken versucht. Dies ungeachtet der Tatsache, daß er noch vor kurzem die Prozesse, die Gorbatschow seinerzeit eingeleitet hatte, als "größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts" bezeichnete.

Leonid Luks