Nachruf für Prof. Dr. Pierfelice Tagliacarne

 

Am 25. Mai 2020 starb Prof. Dr. theol., Lic. theol., Lic. bibl. Pierfelice Tagliacarne, seit 1991 Professor für Altes Testament und Biblische Didaktik an der Kath. Universität Eichstätt-Ingolstadt, nach längerer Krankheit in München.

Geboren 1948 in Sannazzaro de Burgondi im Herzen der liberalen Lombardei, studierte er Kath. Theologie an der renommierten Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom und schloss mit dem theologischen Lizentiat 1972 ab, dem die Priesterweihe vor dem Weihnachtsfest 1972 in der Diözese Bergamo folgte.

1976 absolvierte er das Lizentiat für biblische Wissenschaften am Päpstlichen Bibelinstitut in Rom. Die international ausgerichtete Theologie in Rom führte den jungen Wissenschaftler nach Deutschland, wo er an der Universität Passau als wissenschaftlicher Mitarbeiter seit 1980 erste Lehrerfahrungen sammelte und dann 1988 an der LMU in München im Fach Altes Testament zum Dr. theol. promoviert wurde.

Der vielfältig theologisch und biblisch gebildete internationale Wissenschaftler wurde 1991 zum Professor für Altes Testament und Biblische Didaktik an die Kath. Universität Eichstätt-Ingolstadt berufen. Dort vermittelte er bis 2013 als professorales Mitglied der Fakultät für Religionspädagogik / Kirchliche Bildungsarbeit vielen Jahrgängen inskünftiger Religionspädagog*innen solides biblisches Rüstzeug für die Arbeit im Schul- und Gemeindebereich, wie er auch langjährig Verantwortung als Prodekan der Fakultät übernahm.

Mit seiner profunden Kenntnis des Alten Testaments und mit seinem weiten Horizont zur jüdischen theologischen Literatur eröffnete er seinen Studierenden die Vielfalt der Quellen des christlichen Glaubens. Mit dem Wissen um die pluriformen Glaubenswege im Alten Testament war ihm ein Hadern mit mancher theologischen Engführung nicht fremd, seine katholische Loyalität stand aber nie in Frage.

Diese internationale Stimme im Kollegium – ein Berufungsprinzip der Fakultät - mit römischem Blickwinkel tat dem mehrheitlich deutschen Kollegium durchaus gut.

Auch an der Hochschule für Philosophie in München war der gelehrte Alttestamentler gefragt, wo er von 1996 bis 2009 als Lehrbeauftragter für alttestamentliche Einleitungswissenschaften tätig war.

Aber nicht nur die philologisch saubere und akribische Arbeit zur Erschließung der Heiligen Schrift in streng historisch-kritischer Hermeneutik war ihm ein Anliegen. Auch das Wissen und die Bewusstheit über die spannungs- wie leidvolle Beziehung zwischen Juden und Christen bestimmte sein wissenschaftliches und dialogisches Handeln. In den Jahren 2003 bis 2014 brachte er sein „Brückenwissen“ als kath. Vorsitzender in die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit e.V. in München ein, wo er dem christlich-jüdischen Dialog in Bayern nachhaltige Impulse verlieh.

In seinem professionellen Engagement beschränkte sich der Priester, Theologe und Bibelwissenschaftler nicht auf die - vermeintlich -  praxisferne Auslegungswissenschaft der gemeinsamen großen religiösen Urschrift von Juden und Christen. Als Seelsorger in der Olympia-Gemeinde Frieden Christi in München übersetzte er die alten Erfahrungen mit dem treuen und barmherzigen Gott Abrahams und Isaaks und Jakobs einfühlsam über Jahrzehnte in die neue Lebenswelt der bayerischen Metropole. Für Studierende, für Familien wie für Singles, für einflussreiche wie für marginalisierte Menschen schuf er mit seinen Bibelkreisen und Vorträgen Zugänge zum Glauben im Kontext einer säkularen Großstadtwelt, die lebensrelevante Orientierungswege eröffneten. Nicht zuletzt durch seine menschenfreundlich kurzen Predigten.

Der Mensch Pierfelice Taglicarne zeichnete sich durch hohe Korrektheit und gleichsam meta-modische Sachlichkeit wie Klarheit aus, die durchaus auch manchmal entlarvend pointiert formulieren konnte, wenn er Hybris oder Machtmissbrauch oder Unglaubwürdigkeit erkannte.
In der Begegnung mit Menschen, die Trost suchten und brauchten, zeigte er hingegen große Warmherzigkeit und hohe Empathie. Wenige Menschen verdienen das Bonmot des Jesuitengenerals Acquaviva so wie Pierfelice Tagliacarne: „Suaviter in modo, fortiter in re!“

Seine „Milde in der Form“ blieb allen, die ihm begegnen durften, in schöner Erinnerung, etwa wenn er  Pfeife rauchend Heiterkeit und Gelassenheit verkörperte, indem er mit einem talmudischen Witz verfahrene Positionen buchstäblich in Rauch aufgehen ließ.
Der Titel seiner Dissertation darf posthum auch auf ihn appliziert werden:
 „Keiner war wie er!“

Die Katholische Universität und die Fakultät für Religionspädagogik verlieren mit Professor Tagliacarne einen profilierten Gelehrten, einen menschenfreundlichen Priester und einen aufrechten Menschen, den die Lehrenden und Studierenden dankbar erinnern werden.

 

Für die Fakultät Religionspädagogik/Kirchliche Bildungsarbeit
Prof. Dr. Uto Meier

Dekan RPF