Ist die Kooperation von Kirchen und Tourismus allzu oberflächlich? - Pilgern als zukunftsorientierte Welt-Erfahrung

Anlässlich der 5. Donauwörther Pilgertage 2025, die zugleich eine internationale Pilgertagung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie waren, konnte Prof. Dr. Harald Pechlaner in seinem Vortrag „Kirche und Tourismus: Eine Reise in die Oberflächlichkeit?“ mit Hilfe von Projekten, die zusammen mit Masterstudierenden in den letzten Jahren gemacht wurden, das nicht ganz so einfache Verhältnis von Kirche, Region und Spiritualität sowie Tourismus und seinen Teilsystemen bzw. dem Reisen aufzeigen und beleuchten: Geht der Aufstieg des Tourismus Hand in Hand mit der Reduktion des Religiösen? Ist Reisen gar ein Ersatz für die Reduktion des Religiösen, das in Kirchen zunehmend erkennbar ist? Werden kirchliche Institutionen selbst zunehmend zu touristischen Anbietern und verlassen dabei ihre „Kernkompetenz“? Sind die Tourismussysteme imstande, reflexiv zu sein und mehr Tiefgang bei nachhaltigen Angeboten zu erlangen? Ist die Kooperation mit dem Tourismus für die Kirchen eine Art Rückzugsgefecht? Kann Erleben unter Zeitdruck, wie Tourismusanbieter dies professionell machen, kompatibel sein mit der Suche nach Spiritualität beim Pilgern? Was können Kirchen und Tourismus-Systeme voneinander lernen, um der Möglichkeit der Banalisierung ihres Tuns etwas entgegenzusetzen?

Lauter Fragen, die für die Zukunft des Tourismus auch von besonderer Bedeutung sein können. Im Unterschied zu vielen Kirchen hat der Tourismus kein Nachfrageproblem, sondern kämpft mit Massentourismus und „Overtourism“, nämlich einer zunehmend sinkenden Akzeptanz des Tourismus in breiten Gesellschaften. Pilgern hat das Zeug – wenn man die Widersprüche gekonnt aufzulösen imstande ist – den Tourismus selbst transformieren. Die Idee besteht darin, mittels der Grundkategorien des Pilgerns die Möglichkeiten der Welt-Erfahrung mittels Reflexion dazu zu nützen, die Banalisierung des Reisens zu thematisieren, indem man Erlebnisse (die äußere Reise) mit Erfahrungen (die innere Reise) verbindet, indem man die allzu starke Ökonomisierung des Reisens infrage stellt und gesellschaftliche Bedürfnisse stärker berücksichtigt und damit das Problem des Overtourism proaktiv angeht, indem man mehr Möglichkeiten des Unterbrechens von Routinen in den Dienstleistungsketten einplant und indem man konkret Geschwindigkeiten reduziert, wo möglich und sinnvoll (slow tourism und slow travel). Und vor allem: indem man jenseits klassischer Ausprägungen eines nachhaltigen Tourismus mit Hilfe von Ansätzen eines regenerativen und klimafreundlichen Tourismus Zukunftsfähigkeit für den Tourismus als einen der schönsten Spiegel gesellschaftlicher Entwicklung entwickelt.

Weiter noch: In einer Welt der Krisen mit für alle erkennbaren fundamentalen Veränderungen, in einer Welt disruptiver und mit hoher Geschwindigkeit sich entwickelnder Technologien gerät das Menschsein in eine Art Ungleichgewicht. Fragen zu Zukünften, zum Sinn des Handelns in einer auf Effizienz getrimmten und durchtechnisierten Welt, ja zum Sinn des Lebens, sind schwerer zu beantworten, weil Ungewissheit und wohl auch Unsicherheit die Lebensumstände ausmachen. Es zeichnet sich schon seit Jahrzehnten ab, dass Pilgern ein Format ist, welches sich verschiedenen gesellschaftlichen Milieus als Möglichkeit anbietet, der Beschleunigung der (post-industriellen) Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme etwas entgegenzusetzen, um dem „Rolltreppengefühl“ (H. Rosa) zumindest auf Zeit zu entfliehen, um Routinen bewusst zu unterbrechen und ein Nachdenken auszulösen, um persönliche Krisen oder wichtige Entscheidungen bewusst in einem alternativen Erfahrungszustand zu reflektieren, um der Beschleunigung eine Entschleunigung durch das Umdrehen des Zeitstrahls zu bieten. Pilgern ist nicht nur das populäre Wandern entlang dem Camino nach Santiago de Compostela, Pilgern hat sich längst differenziert, wie das Fahrradpilgern oder das Pilgern als Angebot nichtkirchlicher Organisationen zeigt. Und es sind vermehrt junge Menschen, die sich auf den Weg machen, und Pilgern als einen Prozess der Transformation verstehen, als Momentum, welches geeignet ist, Veränderungen zu antizipieren oder zu verarbeiten. Religiosität tritt in den Hintergrund, Spiritualität ist jener (ethische) Rahmen, der für die Sinn- und Identitätssuche geeignet zu sein scheint. Orte und Räume verändern sich durch das Pilgern, es entstehen neue Bedeutungen für Destinationen, die aus Routen bestehen und Botschaften zu transportieren vermögen. Und damit kommt der Tourismus ins Spiel, der die Entwicklungen längst aufgegriffen hat, um mit Dienstleistungen und Erlebnissen das „Produkt Pilgern“ zu professionalisieren. Darin liegt auch ein Widerspruch, weil durch diese (touristische) Entwicklung das Pilgern zwar für breite Zielgruppen in kalkulierter Form mit spezifischen Services und Packages umsetzbar wird, andererseits der eigentliche Effekt des Pilgerns, nämlich die „Wiedererlangung der Unverfügbarkeit“ oder das Gefühl, die Kontrolle über die Zeit durch die Entschleunigung zu verlieren, wieder verloren gehen kann, die in den klassischen Routinen übliche Planung verlagert sich dann auf das Gehen über lange Distanzen. Die eigentlichen Erfahrungen, die Resonanz (mit der Natur) ermöglichen, oder Transzendenzerfahrungen auslösen, sind der eigentliche Wert des Pilgerns.

Zum Tagungsprogramm: https://www.donauwoerth.de/fileadmin/user_upload/donauwoerth/Tourismus/Pilgern/Referenten_und_Programm/Internationale_Pilgertagung_2025_Programm.pdf