Der Sigrid Abel-Struth-Preis wird seit 1994 alle zwei Jahre vergeben. Mit ihm würdigt die Wissenschaftliche Sozietät Musikpädagogik (WSMP) hervorragende Arbeiten aus der deutschsprachigen wissenschaftlichen Musikpädagogik, er gilt als der wichtigste Preis in dieser Disziplin. Die Preisverleihung fand Ende Mai in Kassel im Rahmen des Jahressymposiums der WSMP statt.
Mit ihrer Arbeit setzt Herzog maßgebliche Impulse im musikpädagogischen Inklusionsdiskurs. Musik wird oft pauschal ein großes inklusives Potenzial zugeschrieben, Inklusion meist von vornherein als positiv bewertet. „Diese Euphorie wollte ich genauer untersuchen – aus meiner Praxiserfahrung hatte ich den Eindruck, dass eine unreflektiert begeisterte Haltung eher hinderlich sein kann“, berichtet Herzog über ihre Motivation. In ihrer Arbeit entwickelte sie ein reflektiertes Inklusionsverständnis, das zeigt: Inklusion ist unumgänglich mit Widersprüchlichkeiten verbunden. Diese lassen sich nicht oder nur teilweise auflösen, jede Entscheidung bringt Vor- und Nachteile mit sich. Handlungen im Kontext Inklusion sind damit stets komplex, von Kompromissen geprägt und in ihrem Ausgang offen – was im Gegensatz zu den fachinternen Annahmen steht.
Wie dieses Inklusionsverständnis den Blick auf die Praxis ändert, zeigte Herzog in ihrer anschließenden empirischen Untersuchung. In Videoanalysen von Gruppenmusiziersituationen konnte die Komplexität und Kompromisshaftigkeit der Handlung gezeigt werden: So sollte etwa eine Gruppe trommelnder Kinder üben, auf ein Pfeifsignal der Musikpädagogin hin zu stoppen. Als dies nicht gelingt, weist die Pädagogin darauf hin, dass aussetzen muss, wer über das Stoppsignal hinaus trommelt. Tatsächlich nimmt sie in der nächsten Runde erst einem, dann einem weiteren Kind die Trommel weg. Als es der Gruppe anschließend gelingt, gemeinsam zu stoppen, sind alle Beteiligten erkennbar beeindruckt von der Leistung – auch die Kinder, die aussetzen mussten. „Es handelt sich hier um eine momentane Exklusion, die eine anschließende Inklusion ermöglicht: Der mit Aussetzen versehene Zwang, alle gleichzeitig in einem bestimmten Rhythmus zu trommeln und anschließend zu pausieren, führt zu einem sehr einbeziehenden Moment“, beschreibt Herzog ihre Analyseergebnisse.
Das Beispiel zeigt: Inklusion und Exklusion stehen nicht im Widerspruch, sondern sind eng miteinander verwoben. Selbst scheinbar eindeutige Ausschlüsse können komplexe und vielschichtige Wirkungen entfalten. Für die Musikpädagogik sei es von zentraler Bedeutung, derartige Widersprüchlichkeiten in Inklusionsprozessen anzuerkennen und in pädagogische Überlegungen einzubeziehen. „Nur wenn ich mir die Verbindung von Exklusion und Inklusion und die daraus resultierenden Spannungen bewusst mache, kann ich reflektierte Entscheidungen treffen. Betrachte ich nur eine Seite, riskiere ich normative blinde Flecken.“
Melanie Herzog war mit ihrem Dissertationsprojekt Teil des Graduiertenkollegs „Inklusive Bildung“ an der KU und wurde später durch die Eichstätter Universitätsstiftung mit einem Stipendium gefördert. 2023 schloss sie ihre Dissertation mit dem Bestprädikat „summa cum laude“ ab und veröffentlichte sie im Januar 2025 an der KU. Vor ihrer Doktorarbeit hat sie an der LMU München Lehramt für Gymnasien mit den Fächern Musik und Mathematik studiert. Aktuell absolviert sie in München das Referendariat.
Die ausgezeichnete Arbeit von Melanie Herzog ist open access hier verfügbar.