Das Rollenbild des Journalisten wird sich ändern: Der Dialog mit Lesern, Zuschauern und Hörern wird in Zukunft für Medienmacher unerlässlich sein. So lautete das Fazit des diesjährigen Seminars „Dialog Wissenschaft und Praxis“ des Lehrstuhls für Journalistik I. Unter dem Titel „Innovationen im Journalismus“ diskutierten am 2. und am 3. Juli mehr als 30 Eichstätter Journalistikstudenten mit dem Medienjournalist und Blogger Stefan Niggemeier, dem Redaktionsleiter der Internet-Community „Jetzt.de“, Dirk von Gehlen, und dem ehemaligen Chefredakteur der „Neuen Westfälischen“, Dr. Uwe Zimmer. Gefördert wurde die Veranstaltung von der Hanns Martin Schleyer-Stiftung.
„Selbstkritik ist ein Aspekt, den klassische Medien von Blogs lernen können“, sagte Stefan Niggemeier. Der Medienjournalist erzählte über seine ersten Blog-Versuche und zeigte die Chancen auf, die sich sowohl für die klassischen als auch für die neuen Medien ergeben. Niggemeier, der fünf Jahre lang Medienredakteur der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" (FAS) war, ist mittlerweile für vier Blogs tätig. Sein eigener Blog entstand ohne ein ausgearbeitetes Konzept und aus reiner Neugierde. Die Arbeitsweise im Netz hebt sich aus der Sicht von Niggemeier angenehm vom Arbeiten bei der Zeitung ab: „Bei der FAS habe ich permanent darüber nachgedacht, was den Leser interessiert. Es war also ein Prozess des Auswählens und Verwerfens. Bloggen ist das Gegenteil: Was mich interessiert, mache ich zum Hauptgegenstand meines Blogs.“ So ergänze sich die Arbeit mit klassischen und neuen Medien perfekt und beeinflusse sich gegenseitig. Während der traditionelle Journalismus nach dem Sender-Empfänger-Modell funktioniere, stünde bei Blogs der Dialog im Vordergrund. Dies habe einen großen Vorteil: „Meine Leser wissen mehr als ich. Dieser Satz ist für Journalisten schwer zu akzeptieren, aber er stimmt.“
Auch Dirk von Gehlen sieht durch das Internet einen Wandel des Berufsbildes des Journalisten: „Die Kommunikationskultur hat sich verändert. Journalisten sind nicht mehr nur Publikatoren, sondern sollten auch mit den Lesern kommunizieren.“ Von Gehlen, der am "Jetzt"-Magazin bis zu dessen Einstellung mitarbeitete und nun Redaktionsleiter der Online-Community „Jetzt.de“ ist, referierte über die Zeitung der Zukunft. Wichtig für diese Zeitung sei der aktive Nutzer. Denn im Zeitalter des Internets sei der Leser souverän über die Nutzung und den Kontext seiner Medien. Dies führe dazu, dass Leser zu Nutzern werden. Dies wiederum stelle den Journalisten vor neue Herausforderungen: „Journalisten müssen sich mit ihren Lesern auseinandersetzen. Dieser Dialog ist sehr wichtig, kann aber auch scheitern.“ Damit es nicht dazu komme, formulierte von Gehlen goldene Regeln für einen Dialog. Auf Vorwürfe reagieren und Fehler zugeben sei im Zeitalter von Screenshots ein Muss. „Vertuschen funktioniert nicht mehr.“ Schließlich skizzierte von Gehlen die Zeitung der Zukunft, die statt reiner Information Teilhabe im Sinne einer Internet-Community anbiete. Deswegen sei sie mehr als nur Nachrichtentransporteur: „Sie ist ein Club. Für den Zugang zu diesem Club kann man Geld verlangen."
Uwe Zimmer blickte auf vier Jahrzehnte als Redakteur zurück, in denen er unter anderem für den "Spiegel", den "Stern" und die Münchner "Abendzeitung" arbeitete. Seine Arbeit habe ihm immer wieder „Lehren fürs Leben“ beschert, die er mit den Studenten teilen wolle. Die erste dieser Lehren erfuhr Zimmer in seiner Zeit als "Bild"-Reporter. „Menschen wollen Märchen lesen. Gucken sie in die 'Bild'-Zeitung, da stehen lauter Märchen drin.“ Deswegen sei es im Boulevard-Journalismus üblich nach der Geschichte hinter der Meldung zu fragen. Das alleine reiche aber nicht aus. Zimmer fragte die Studenten: „Wo steht in ihrer Geschichte, dass der Leser das Lesen muss?“ Während seiner Zeit beim Spiegel lernte er, dass sich eine Ausgabe mit einer Exklusivstory nicht unbedingt am Besten verkauft, sondern eher der Titel, der danach die Story noch einmal aufgreift. Denn: „Die Leute wollen von dem überrascht werden, was sie kennen.“ Wie auch die anderen Referenten suchte Zimmer immer wieder den Dialog mit den Studenten. Unter anderem fragte er sie, warum sie Journalisten werden wollen und schob hinterher: „Es gibt zwei Lügen auf diese Frage: ‚Ich mache das nicht für Geld’ und ‚Ich bin nicht eitel’. Eine erträgliche Form der Eitelkeit gehört zum Journalismus.“ Schließlich diskutierten die Studenten mit Zimmer über die aktuelle Medienkrise. Zimmer gab zu: „Ich mache mir Sorgen.“ Wie sollten bei Lokalzeitungen Hintergrundgeschichten recherchiert werden, wenn die Redaktionen verkleinert würden, fragte Zimmer. Die Zeitungen bräuchten heutzutage Videos für ihre Internetplattformen, hätten jedoch kein Geld um diese produzieren zu lassen. Diese Entwicklung fasste Zimmer als Dilemma zusammen: „Man braucht mehr Journalisten, kann die aber nicht bezahlen.“ So negativ gestimmt wollte er die Studenten aber nicht aus dem Seminar gehen lassen. Zimmer resümierte: „Journalist zu sein ist ein toller Beruf. Man lernt viel, lernt viele Menschen kennen und vielleicht auch sich selber.“
Auch die Studenten zogen ein positives Fazit. Lena Wilde aus dem siebten Semester erklärte, es sei immer interessant Journalisten kennen zu lernen, die in Zukunftsbereichen arbeiteten oder viel Erfahrung hätten. „Ich bedauere es, nicht zwanzig Jahre früher geboren zu sein.“ Auch Christina Back aus dem fünften Semester war imponiert: „Die Gäste dieses Seminars sind für mich schon so etwas wie Vorbilder. Vor allem die Lebensläufe haben mich beeindruckt.“ Ihrem Kommilitonen Christian Wiesbacher war ein weiterer Aspekt positiv aufgefallen: „An der Universität habe ich manchmal das Gefühl, in einer heilen Welt zu Leben. Da finde ich es gut, dass die Praktiker mahnen, die harte Realität nicht aus den Augen zu verlieren.“