Rentensplitting statt Hinterbliebenenrente: Forschungsprojekt untersucht Auswirkungen einer möglichen Reform

In der Debatte um eine Rentenreform steht auch die Hinterbliebenenrente im Fokus. Zuletzt forderten die Wirtschaftsweisen Martin Werding und Veronika Grimm die Abschaffung der „Witwenrente“ und eine Modernisierung der Hinterbliebenenversorgung. Im Auftrag der Deutschen Rentenversicherung untersucht nun ein Forschungsteam um Prof. Dr. Jörg Althammer, Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftsethik und Sozialpolitik an der KU, wie ein obligatorisches Rentensplitting die Witwenrente ersetzen oder ergänzen könnte. Insbesondere befassen sich die Forschenden mit der Frage, wie sich ein möglicher Modellwechsel auf Altersarmut und Stabilität des Rentensystems auswirkt.

Es ist ein festes Versprechen der gesetzlichen Rentenversicherung: Wenn der Ehepartner oder die Ehepartnerin stirbt, bekommt der überlebende Partner eine Hinterbliebenenrente gezahlt. Diese Leistung hat ihre Wurzeln in der Einführung der Reichsversicherungsordnung 1911 und sollte von Beginn an insbesondere Frauen absichern, die im Rahmen eines traditionellen Alleinernährer-Modells nicht oder kaum erwerbstätig waren. Daher der Beiname „Witwenrente“, auch wenn sie 1986 offiziell auf Witwer ausgedehnt wurde. 

So traditionell das System ist, so weit entfernt sei es von der heutigen Lebensrealität, argumentieren Experten. Im Sinne einer gleichberechtigten Partnerschaft und einer Förderung der Erwerbstätigkeit von Frauen verweisen sie auf das Modell des Rentensplittings. „Die Idee lautet: Wir nehmen die während der Ehe erworbenen Rentenanwartschaften und teilen sie halb-halb zwischen den Eheleuten auf“, erklärt Projektleiter Prof. Dr. Jörg Althammer vom Lehrstuhl für Wirtschaftsethik und Sozialpolitik. „Das funktioniert nach dem Prinzip der Zugewinngemeinschaft.“  Möglich ist dieses Rentensplitting in Deutschland bereits seit 2002 – allerdings nur freiwillig und unter bestimmten Voraussetzungen. In der Praxis wird es kaum genutzt. „Die Frage ist jetzt, ob man die Hinterbliebenenrente durch das Rentensplitting ersetzt oder ergänzt“, so Althammer. 

Ein solcher Modellwechsel hätte wahrscheinlich weitreichende Folgen. Denn für viele Frauen – vor allem aus älteren Jahrgängen – ist die Witwenrente ein entscheidender Teil ihrer Alterssicherung. „Die Befürchtung ist, dass bei einer Streichung die Altersarmut von Frauen steigt“, sagt Althammer. Definitiv sei so eine Reform nur mit langer Übergangszeit planbar, da die künftigen Betroffenen Gelegenheit haben müssen, ihre Lebensplanung daran anzupassen. Gleichzeitig stellt auch er klar: „Das aktuelle Modell passt nicht zum modernen Verständnis einer partnerschaftlichen Ehe.“ Zudem sei eine Rentenreform notwendig, um angesichts der demografischen Entwicklung die langfristige Finanzierbarkeit der gesetzlichen Rentenversicherung zu gewährleisten.

Das Forschungsteam
Das Forschungsteam (von links): Dr. Tanja Kirn, Martin Mehl, Franz-Paul Magold und Prof. Dr. Jörg Althammer.

In diesem Spannungsfeld bewegt sich nun Althammers Forschungsprojekt. Unterstützt wird er darin von seinem wissenschaftlichen Mitarbeiter Martin Mehl und Assistenzprofessorin Dr. Tanja Kirn von der Universität Liechtenstein, Finanzwissenschaftlerin und eine ausgewiesene Expertin für Mikrosimulationsstudien, die den Schwerpunkt des Projekts bilden. Grundlage für die Simulationen ist ein neuartiger Datensatz, der das bekannte Sozio-ökonomische Panel mit den Administrativdaten der Deutschen Rentenversicherung kombiniert. „Unsere Lebensbiografien sind nicht einfach – es gibt Hochzeiten, Kinder, Scheidungen, Selbstständigkeiten, die sich auf die Rentenfrage auswirken, aber in den Daten der Rentenversicherung nicht sichtbar sind“, erklärt Professor Althammer. Die Kombination der beiden Datensätze erlaubt es, deutlich differenziertere Aussagen zu Erwerbsverläufen zu treffen als bislang und auch komplexe Biografien zu simulieren. „So lässt sich zum Beispiel sagen, Person A, deren sozialversicherungspflichte Erwerbstätigkeit plötzlich abbricht, ist nun verheiratet mit Person B, und die ist verbeamtet.“

Ziel ist es, verschiedene Modellvarianten zu simulieren und durchzurechnen: Einerseits den vollständigen Ersatz der Hinterbliebenenrente durch ein verpflichtendes Rentensplitting, andererseits eine Kombination beider Modelle. Auch die Ausweitung auf alle gesetzlichen und betrieblichen Alterssicherungssysteme – über die gesetzliche Rentenversicherung hinaus – wird eine Testvariante sein. Die Forschenden wollen so belastbare Aussagen treffen, inwiefern sich eine Reform auf die Alterseinkünfte und das Armutsrisiko auswirken würde, auf die Ausgaben der Rentenversicherung, sowie auf die innerfamiliäre Verteilung der Rentenanwartschaften und damit die Gender Pension Gap. 

Laut dem Forschungsnetzwerk Alterssicherung, in dem das Forschungsprojekt angesiedelt ist, gibt es zur Hinterbliebenenrente und ihren Alternativen bislang keinerlei empirische Daten. Doch genau die brauche es dringend, betont Althammer: „Ein derartiger Eingriff ins Rentensystem muss sehr gut überlegt sein – ein Vorschlag zur Reform muss sauber durchgerechnet werden, um zu wissen, wer gewinnt und wer verliert.“ 

Ihrer empirischen Arbeit werden die Wissenschaftler rechtliche und normative Überlegungen rund um die Thematik Soziale Gerechtigkeit voranstellen. Beispielsweise sei die Hinterbliebenenrente ein familienpolitisches Element innerhalb des Systems der sozialen Sicherung, führt Althammer an: „Wenn man ein verpflichtendes Rentensplitting einführt, hieße das, wir verlagern diesen Solidarausgleich aus dem System der sozialen Sicherung in die Familien zurück.“ Die ersten Zwischenergebnisse sollen bereits im November 2025 vorliegen, das gesamte Projekt läuft bis Herbst 2026.