Rückblick: Vortragsreihe "In Gesellschaft" - Teilhabe und Solidarität im Sommersemester 2022

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© Christian Klenk

Mit der Reihe "In Gesellschaft" bietet das ZFM Gelegenheit zum Austausch mit namhaften Persönlichkeiten, diskutiert mit ihnen in Gesellschaft einer interessierten Öffentlichkeit und bringt nicht zuletzt das wissenschaftliche Interesse des ZFM zum Ausdruck: einen an Flucht und Migration orientierten, analytischen Blick in die Gesellschaft zu werfen.

Im Sommersemester 2022 veranstaltete das ZFM im Rahmen dieser Reihe Vorträge unter der Überschrift "Teilhabe und Solidarität".
Flucht- und Migrationsbewegungen stoßen sowohl auf Abwehrhaltungen in der Bevölkerung als auch auf Solidarität und Unterstützung. Dies zeigt sich auch an Kriegen und humanitären Katastrophen: Sie können Mitgefühl und Hilfsbereitschaft auslösen, aber auch Debatten über Aufnahmekapazitäten Schutzsuchender und die Bedrohung europäischer Grenzen. Fragen von Aufnahme, Schutz, Teilhabe und Zugehörigkeit werden in Zeiten steigender Migrations- und Fluchtbewegungen kontrovers diskutiert und ausgehandelt. Die aktuelle Gesprächsreihe stand zwar im Zeichen des aktuellen Ukraine Krieges, sie blickt jedoch auch darauf, wie Erinnerung in einer pluralen postmigrantischen Gesellschaft gestaltet wird. Gemeinsam mit einer interessierten Öffentlichkeit und den Referent:innen diskutierte das ZFM Praktiken und Diskurse um Teilhabe und Solidarität.

Am 12. Mai startete Hannes Schammann von der Universität Hildesheim unsere Gesächsreihe mit seinem Blick auf die kommunale Aufnahme Geflüchteter in Stadt und Land. Teilhabemöglichkeiten werden in demokratischen Nationalstaaten über soziale, politische und zivile Rechte abgesichert – sie können gleichzeitig jedoch verwehrt werden, beschränkt oder an Konditionen gebunden sein. Dadurch entstehende Ungleichheiten gehen mit Fragen von Schutz, Teilhabe und Zugehörigkeit einher und werden in umkämpften gesellschaftspolitischen Konfliktfeldern stetig ausgehandelt. Mit seiner Expertise zeigte Hannes Schammann von der Universität Hildesheim, haben wir uns der Frage angenähert, welche Rolle Kommunen in diesem Konfliktfeld einnehmen. Insbesondere vor dem Hintergrund aktueller Fluchtbewegungen aus der Ukraine drängt sich diese Frage wieder verstärkt auf.

Am 9. Juni setzten Karin Scherschel und Tanja Evers (ZFM) Mit ihrem Vortrag die Gesprächsreihe zum Thema Teilhabe und Solidarität fort. Zu Beginn standen soziologisch-philosophischer Perspektiven von Hannah Arendt, Giorgio Agamben und Zygmunt Bauman im MIttelpunkt, um zu zeigen.  wie Deutungen und Aushandlungen darüber, wer als Flüchtling gilt, stets vor dem Hintergrund des jeweiligen historisch-kulturellen Kontexts der Fluchtbewegungen entstehen und sich verändern. Doch nicht nur der wissenschaftliche, sondern auch der mediale Diskurs verhandelt diese Fragen von Zugehörigkeit. Massenmedien sind bedeutsame Akteure sind, wenn es darum geht, Öffentlichkeit zum Thema Flucht mitzugestalten. So genannte Frames (Interpretationsrahmen) zu Migration, Flucht und Geflüchteten würden sich persistent im Zeitverlauf zeigen und eine zumeist problemorientierte Perspektive aufweisen. Eine Kritik daran dürfe jedoch nicht – wie es häufig der Fall sei – auf Ebene der Inhalte verharren. Mithilfe einer kommunikationswissenschaftlichen Perspektive und Analyse der Produktionsebene könne genauer untersucht werden, wie die Inhalte und demnach das Wissen zustande kommen. Anhand aktueller Ergebnisse aus ihren Forschungsprojekten veranschaulichten die Referentinnen, wie sich bspw. bestimmte gesellschaftliche Ereignisse (z. B. „Kölner Silvesternacht“) auf die Berichterstattung und damit den Diskurs auswirken könnten. Angesichts der aktuellen Fluchtbewegungen aus der Ukraine lasse sich in der Berichterstattung ein überwiegend positiver Tenor finden. Eine Tatsache, die Geflüchtete anderer Herkunftsländer nicht nur rechtlich, sondern auch medial weiter marginalisiert.

Am 12. Juli beschloss Tanja Thomas von der Universität Tübingen mit ihrem anschaulichen Vortrag unsere aktuelle Gesprächsreihe. Sie stellte ihr gemeinsames Forschungsprojekt mit Matthias Lorenz und Fabian Virchow „Doing Memory“ vor, in welchem sie zunächst ihre Forschung zu „Doing Memory“ im Kontext vorgelagerter Studien zur Erinnerung rechter Gewalt, konkret an den rassistischen Anschlag in Rostock-Lichtenhagen im Jahr 1992 verortete.
In ihrem Vortrag machte Thomas darauf aufmerksam, dass Erinnerungspraktiken immer konflikthafte Prozesse sind und Doing Memory stets eine radikale Multiperspektivität erfordert, die nicht nur auf Praktiken des Erinnerns, sondern eben auch auf Vergessen, Verdrängen und Verwerfen blicken sollten. Theoretisch bezieht sich ihre Arbeit auf Nancy Fraser und Seyla Benhabib, die auf Gerechtigkeit als Konzept in Zugang und Verhandlung von Erinnerung und Vergessen verweisen. Opfern, Be- oder Getroffenen sowie solidarischen Akteur:innen geht es um Anerkennung und ein Gehörtwerden. Beide sind Voraussetzung für soziale Sichtbarkeit und Handlungsfähigkeit, welche wiederum abhängig sind vom Vorhandensein oder Fehlen von Ressourcen.

Im kommenden Semester wird die Vortragsreihe mit weiteren spannenden Gästen fortgesetzt. Über Termine und Referent:innen informieren wir wieder an dieser Stelle.