Rückblick: Vortragsreihe "Zugehörigkeiten": PD Dr. habil. Thomas Geier zum Thema: Religiosität der Anderen? Bildungsprozesse in türkisch-muslimischen Netzwerken der 'Gülen-Bewegung' in Deutschland

Gruppenbild_Thomas Geier
© Louisa Kolb

Am 10. November eröffnete der Erziehungswissenschaftler Thomas Geier (TU Dortmund) die diesjährige ZFM-Gesprächsreihe „In Gesellschaft“. Die Veranstaltung fand nach der pandemiebedingten Präsenz-Pause erstmals wieder vor Ort in Eichstätt statt, wurde aber auch via zoom übertragen.

Thema von Geiers Vortrag waren die Bildungspraktiken der türkisch-muslimisch geprägten Gülen-Bewegung in Deutschland; die Grundlage bildeten die Ergebnisse des von ihm geleiteten und 2020 abgeschlossenen DFG-Projekts „Die Pädagogik der Gülen‐Bewegung: Rekonstruktion von Bildungspraktiken und Biografien in türkisch-muslimischen Gesprächskreisen“. Dabei partizipierten die Forscher:innen beobachtend an den „Sohbetler“ genannten Gesprächs- und Bildungskreisen der Bewegung, in denen junge Menschen unter Anleitung eines „Abi“ („älterer Bruder“) oder einer „Abla“ („ältere Schwester“) über spirituelle und weltliche Fragen sowie deren Verhältnis diskutieren.

Im Fokus des Vortrages standen die dabei stattfindenden Prozesse der Subjektivierung, wobei Geier drei Aspekte hervorhob. Der erste ist die Fokussierung auf Erfolg: In der Bewegung wird ein Ethos verbreitet in denen eine erfolgreiche Bildungs- und Berufskarriere als sehr erstrebenswert gilt, was den entsprechenden Ehrgeiz der Teilnehmer:innen anspornt. Dies betrachtet Geier im Kontext der verbreiteten Diskurse über Muslim:innen als Gruppe mit Bildungsdefiziten. Daran schließt der zweite Aspekt an, nämlich die von vielen Teilnehmenden beschriebenen Rassismus- und Ausgrenzungserfahrungen, gegen die sie die Einbindung in die Bewegung als Gegengewicht verstehen. Das verweist auf den dritten Aspekt, nämlich die in den Sohbetler stattfindende Vergemeinschaftung.

Dabei betonte der Referent, dass die Rekonstruktion dieser Bildungs- und Subjektivierungspraktiken nicht auf eine positive oder negative Beurteilung der Organisation ziele. Über in Deutschland lange fokussierte Frage, ob die Gülen-Bewegung als Sekte bzw. als islamistisch einzustufen sei, lasse sich mit dem gewählten Forschungsdesign ebenso wenig entscheiden wie über die von der türkischen Regierung gegen die Bewegung erhobene Vorwurf, 2016 einen Putschversuch initiiert zu haben.