Studientag 2011

Mehrheiten und Minderheiten

Der Studientag der Theologischen Fakultät, der am 15.11.2011 ganztägig stattfand, stellte sich die Frage, welche Ursachen und Konsequenzen es hat, wenn Christen sich in Minderheitensituationen befinden.

Der Tag begann mit biblischen Perspektiven: Prof. B. Zapff (3.v.r.) zeichnete in seinem Vortrag zu Beginn nach, wie das babylonische Exil als ‚Stresstest‘ für das Volk Israel wirkte und hohe Bedeutung für die Identitätsbildung und geschichtliche Rückversicherung der religiösen Existenz gewann. Insofern sei das Exil auch ein Transformationsort Israels, in welchem sich die Frage nach der universalen Bedeutung des Gottes des jüdischen Volkes radikal stellte.

Prof. L. Wehr (ganz links im Bild) entwarf auf der Grundlage des ersten Petrusbriefes ein Bild von Gemeinden in neutestamentlicher  Zeit, die ihr Fremdsein in der Gesellschaft wesentlich mit der Erwählung durch Gott charakterisierten. Es gelte Spannungen auszuhalten und Extreme zu vermeiden, ohne sich von der Gesellschaft zu isolieren, sondern vielmehr in sie missionarisch im Geiste Christi hineinzuwirken.

„Mehrheit heute – Minderheit morgen?“ lautete die Ausgangsfrage von Prof. U. Kropac (ganz rechts im Bild), mit der er Jugendliche Religiosität als Indikator für zukünftiges Christentum in Deutschland betrachtete. Mit Hilfe der Ergebnisse der letzten Shell-Jugendstudie und anderer empirischer Untersuchungen und mit Blick auf Phänomene wie Jugendkirchen und den Youcat zeigte er auf, dass Religiosität nicht vorschnell mit kirchlichem Christentum gleichgesetzt werden darf, dass aber zugleich religiöse Bildung vor ganz neuen und gewiss nicht einfach zu bewältigenden Herausforderungen stehe.

Prof. M. Gerwing (2.v.r.) warf nach der Mittagspause einen Blick auf die Bedingungen des interreligiösen Gesprächs am Beispiel des Typenschemas von Einstellungen zu anderen Religionen. So kann die Frage „vermitteln Religionen heilshafte Gotteserkenntnis?“ von einer Position des Exklusivismus (eine einzige Religion tut die), des Inklusivismus (mehrere Religionen tun dies, aber nur eine ganz) oder des Pluralismus (mehrere Religionen tun dies in vergleichbar hohem Maß) beantwortet werden. Allerdings müssten die Voraussetzungen des Gottesglaubens und dessen Inhalt mit bedacht werden.

Prof. P. Bruns (2.v.l.), Vertreter der Forschungsstelle Christlicher Orient, gab mit Hilfe historischer Quellen Einblicke in die Zeit, als Ägypten im 7. Jahrhundert unter muslimische Herrschaft geriet. In wenigen Jahrzehnten wurde die bis dahin christliche Mehrheit entweder verdrängt oder zur Assimilation gezwungen, so dass vor allem auch durch den Nachzug der Familien der Eroberer und der sich dadurch ändernden Bevölkerungsverhältnisse ein mehrheitlich islamisches Land entstand.

Monsignore Joachim Schroedel (3.v.l.), der Seelsorger der Katholiken im vorderen Orient mit Sitz in Kairo, vermittelte durch seinen Vortrag am Abend einen lebendigen Eindruck vom heutigen Ägypten, insbesondere von der Revolution und dem Sturz Mubaraks im Januar dieses Jahres. „Weder Christ noch Muslim – wir sind alle Ägypter!“ lautete sein Vortragstitel, in welchem er über religiöse Toleranz sprach, Phänomene wie die Muslimbruderschaft differenziert betrachtete und auch Gegensätze und Schwierigkeiten für den christliche-islamischen Dialog nicht aussparte.

Eine Podiumsdiskussion mit allen Referenten schloss den spannenden und inhaltsreichen Tag ab.