Professor Kirschner, welche Namen hat Gott?
Martin Kirschner: Einerseits geben Menschen Gott unzählige Namen, weil die ganze Schöpfung auf Gott bezogen und Gott die Fülle alles Guten ist, andererseits kann kein Name Gott fassen, bleibt Gott entzogenes Geheimnis. In dieser Spannung bewegt sich die Rede von Gott im Monotheismus, die vor allem Anrede Gottes, Gebet und Liturgie ist. Der Islam zum Beispiel spricht von den 99 schönsten Namen Gottes – impliziert ist der hundertste, der verborgene „eigentliche“ Name Gottes. Jüdische Spiritualität kreist um die Heiligung des Namens Gottes, der vielfältig umschrieben und angerufen doch unaussprechlich bleibt und immer Gefahr läuft von Menschen missbraucht zu werden. In der christlichen Theologie würde ich – in Bezugnahme auf die Bibel beider Testamente und auf die griechische Philosophie, im Zeugnisgeben von der geschichtlichen Erfahrung mit Gott – drei Gruppen von Namen unterscheiden. Zum einen „metaphysische“ Namen oder „Eigenschaften“ Gottes, die in unterschiedlichen Hinsichten ausdrücken, was wir damit meinen, wenn wir „Gott“ sagen: die Güte schlechthin; Ursprung und Quelle allen Seins und aller Wirklichkeit; der Allmächtige; der Allwissende, usw. Zum anderen gibt es Namen, die auf die Offenbarung Gottes bzw. auf die Geschichte der Menschen mit Gott verweisen. Diese Namen erzählen kleine Geschichten, an denen erkennbar wird, wie Gott wirkt und wer er ist: der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs; der Israel aus Ägypten befreit; der die Schreie seines Volkes hört; der seinem Volk Zukunft eröffnet und kommen wird, um die Welt zu richten und zu retten; der Vater Jesu Christi; der Christus von den Toten erweckt. Schließlich verdichten sich diese kleinen Erzählungen in Eigenschaften und Namen, die Beziehungsqualitäten ausdrücken und die metaphysischen Namen aus der Erfahrung Gottes neu bestimmen: Gott als Vater und Mutter, die Barmherzigkeit Gottes oder die Spitzenaussage johanneischer Theologie: „Gott ist die Liebe“. All diese Namen können missbraucht werden, müssen immer wieder auf den größeren Gott und sein Geheimnis hin geöffnet und korrigiert werden: zum Beispiel gegenüber einer Identifikation Gottes als „männlich“, wie sie auch meinem Gebrauch der Namen anhaftet....
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