Wie Corona zu Ostern das religiöse Leben verändert

In einem gemeinsamen Projekt von KU und Donaukurier beantworten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler derzeit Fragen aus der Leserschaft rund um die Folgen der Corona-Pandemie. Zum Auftakt äußert sich der Liturgiewissenschaftler Prof. Dr. Jürgen Bärsch dazu, wie sich das religiöse Leben zu Ostern und generell in Zeiten der Corona-Pandemie verändert.

Herr Professor Bärsch, die Teilnahme an einem Gottesdienst ist für viele Menschen gerade an Ostern sehr wichtig. Wie aber verändert die Corona-Pandemie aktuell das religiöse Leben?

Viele erleben die Situation als einen schmerzhaften Einschnitt. Die Kirche lebt vom Gottesdienst. Aktuell können wir die Gottesdienste aber nicht wie gewohnt feiern. Schon an den vergangenen Sonntagen konnten sich die Gemeinden nicht versammeln. An den Kar- und Ostertagen wird das noch deutlicher spürbar. Zugleich gibt es in der Kirche viele kreative Ideen, wie wir damit umgehen können. Vieles läuft nun im Internet. Gerade bei den Gottesdiensten spielt die mediale Vermittlung eine wichtige Rolle. Stellvertretend für die Gemeinde feiert ein ganz kleiner Kreis in der Kirche, der sich aber mit den familiären Hausgottesdiensten verbunden fühlt. Wichtig ist aber auch, dass die Kirchen nach außen ein Zeichen geben. An vielen Orten läuten daher weiterhin die Glocken, auch wenn die Gottesdienste zu Hause stattfinden.

Sie selbst haben auch ein Buch zur Geschichte des christlichen Gottesdienstes verfasst. Gab es in der Vergangenheit schon einmal eine vergleichbare Situation?

Einen solchen Einschnitt wie aktuell hat es in der gesamten Kirchengeschichte meines Wissens noch nicht gegeben. Selbst zu Zeiten, in denen Christen verfolgt wurden, fand Gottesdienst in geheimen Zusammenkünften statt. Das ist aber nicht mit der heutigen Situation vergleichbar, die die Menschen weltweit betrifft.

Sie haben bereits erwähnt, dass die Gemeinden nun Gottesdienste im Internet anbieten. Wie ist die Resonanz auf diese Angebote?

Bundesweit gibt es keine Diözese, die nicht auch eigene Angebote entwickelt hat. Die Fülle der jetzt entstandenen Angebote ist unüberschaubar. Das Bistum Münster etwa überträgt jeden Abend die Vesper aus der Abtei Gerleve mit gregorianischen Gesängen live. Und das Bistum Fulda hat einen Corona-Blog für Kinder eingerichtet, die am Wochenende nach Ostern zur Kommunion gegangen wären. Natürlich gab es diese Möglichkeiten auch schon vorher. Jetzt werden diese aber neu entdeckt – und viele Menschen nehmen diese sehr gerne an.

Verändert sich denn die Gestaltung des Gottesdienstes? Gerade die Teilhabe am Abendmahl ist online nicht möglich.

Ja, die Teilhabe an der Eucharistie-Feier ist derzeit leider nicht möglich. Im Einzelfall können etwa Sterbende die Kommunion natürlich empfangen. Allerdings zeigen sich hier auch deutlich die Grenzen der Feiern in Fernsehen und Internet. Genau deshalb sind Hausgottesdienste in den Familien so bedeutsam. Im Kreis der Familie lassen sich dafür eigene Rituale entwickeln. Etwa das Anzünden einer Kerze oder die Vorbereitung auf den Gottesdienst in der Stille.

Die Corona-Pandemie führt auch dazu, dass sich die Arbeit in den Gemeinden verändert. Wie ist denn dort die Situation?

Gemeinschaftliche Veranstaltungen, die sonst das Leben in der Gemeinde prägen, können derzeit nicht stattfinden. Angebote wie die Telefonseelsorge werden aktuell jedoch wichtiger. Viele Menschen, die zuvor bereits alleine gelebt haben, erfahren ihre Einsamkeit jetzt noch einmal stärker. Da ist es wichtig zu wissen: Es gibt Personen, die ich kontaktieren und mit denen ich mich über meine Sorgen verständigen kann.

Sie selbst sind auch Priester. Können Sie feststellen, dass das Bedürfnis der Menschen nach Orientierung größer wird? Wenden sich die Menschen verstärkt an die Kirche, um Halt zu finden?

Ja, hier ist die Theologie natürlich gefragt – in einer Zeit, in der das, was uns bisher als selbstverständlich erschien, ins Wanken gerät. Die Kirchen sind daher aufgefordert, Deutungsangebote zu entwickeln, die es den Menschen ermöglichen, die gegenwärtige Situation einzuordnen. Für viele sind die Kar- und Ostertage mit Themen wie Krankheit, Leid und Tod verbunden. Die Ostergottesdienste ermöglichen es da, die eigenen Sorgen und Nöte dazu in Bezug zu setzen. Auch deshalb ist Ostern für viele Gläubige ein sehr wichtiges Fest.

Ist denn zu erkennen, dass sich christliche Werte wie Solidarität und Nächstenliebe in der gegenwärtigen Situation verändern?

Vor allem zeigt sich, wie wichtig solche Werte sind. Solidarität ist nicht nur irgendein Wert, den wir hochgehalten haben, sondern er realisiert sich ganz konkret in Hilfsangeboten. Zum Beispiel organisieren Ministranten-Gruppen Einkaufshilfen. Oft genügt es aber auch, sich ein Zeichen zu geben, dass man aneinander denkt. Die aktuelle Situation kann dadurch gemeinsam und in Verbundenheit getragen werden.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Gespräch führte Thomas Metten.

Prof. Dr. Jürgen Bärsch ist Inhaber des Lehrstuhls für Liturgiewissenschaft an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Er ist selbst Priester und beschäftigt sich in seiner Forschung unter anderem mit der Geschichte des christlichen Gottesdienstes und des religiösen Lebens.