„Ohne Bürger ist der Staat nicht handlungsfähig“
Die Transformationsforscherin und Präsidentin des Europäischen Hochschulinstituts, Prof. Dr. Patrizia Nanz, war im November zu Gast an der KU Eichstätt-Ingolstadt
Vor mehr als zehn Jahren hat sich der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) in einem umfassenden Gutachten mit der „Großen Transformation“ beschäftigt. Der WBGU beschreibt darin einen anstehenden, umfassenden Wandel in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Diese tiefgreifende Große Transformation soll eine irreversible Schädigung der Ökosysteme auf der Erde und deren Auswirkungen auf die Menschheit vermeiden.
Mit Prof. Dr. Patrizia Nanz war im November eine international renommierte Expertin für dieses Thema an der KU zu Gast. In Forschung und Praxis beschäftigt sie sich in unterschiedlichen Funktionen seit vielen Jahren mit den Facetten des großen Wandels. Sie war lange Zeit wissenschaftliche Direktorin des Potsdamer Instituts für transformative Nachhaltigkeitsforschung (Institute for Advanced Sustainability Studies, IASS) und wurde Anfang November zur Präsidentin des Europäischen Hochschulinstituts in Florenz (Italien) gewählt. Im Fokus ihres Besuchs in Eichstätt stand die Frage, welche Rolle Universitäten in der Großen Transformation spielen können – allgemein sowie speziell mit Blick auf die KU.
Zu ihrem Besuch erläuterte die Nachhaltigkeitsexpertin in einem Gespräch mit Dr. Thomas Metten (Stabsstelle Strategie und Hochschulentwicklung) auch, wie die Wende zur Nachhaltigkeit gelingen kann.
Thomas Metten: Frau Nanz, die Folgen der Klimakrise in Deutschland verschärfen sich. Wollen wir Schlimmeres verhindern, bleiben uns für die Transformation zur Nachhaltigkeit noch 20 Jahre. Was genau aber bedeutet Transformation?
Patrizia Nanz: Transformation bezeichnet Wandelprozesse hin zu einer nachhaltigen Lebensweise. Dies betrifft, ganzheitlich betrachtet, alle Bereiche unserer Gesellschaft. Nicht nur die Ökologie, sondern auch Integration oder Digitalisierung. Der Ausdruck „Große Transformation“ bezieht sich dabei auf ein Buch des Wirtschaftshistorikers Karl Polanyi, der in den 1940er Jahren gezeigt hat, wie tiefgreifend die industrielle Revolution war. Wenn wir heute erneut von Transformation sprechen, meint dies, dass die bevorstehende gesamtgesellschaftliche Wende zur Nachhaltigkeit genauso tiefgreifend sein wird. Das betrifft nicht nur unsere Lebensweise, sondern auch den Staat, der in seiner heutigen Verfassung mit der industriellen Revolution entstanden ist.
TM: Sie betonen, dass die Transformation die Demokratiefrage unserer Zeit ist. Warum?
PN: Weil die Transformation so viele gesellschaftliche Sektoren betrifft. Alle Akteure müssen daher von vorneherein einbezogen werden, die Verwaltung, die Zivilgesellschaft, die Bürgerinnen und Bürger. Ohne sie ist der Staat nicht handlungsfähig. Es gibt zwar einige, die denken, dass Öko-Diktaturen den Wandel effizienter gestalten können. Ich bin mir da aber nicht sicher. Es braucht das Wissen der Vielen. Gemeinsam müssen wir uns fragen: Wie kann es uns gelingen, konkrete Zielvorstellungen zu entwickeln? Die globalen Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen besagen ja noch nicht, was dies für die Region Eichstätt bedeutet.
TM: Wie können Bürgerinnen und Bürger hierbei aktiv beteiligt werden?
PN: Bürgerbeteiligung muss ernsthaft betrieben werden. Es braucht überparteiliche Akteure, die ehrlich vermitteln und herausarbeiten, was es in einer Kommune braucht. Dazu muss der Beteiligungsprozess in das bestehende demokratische System und in die Verwaltung eingebettet sein. Sonst bleibt Bürgerbeteiligung wirkungslos. Und es braucht Medien, die den Prozess gut begleiten. In Kommunen besteht oft aber noch die Angst, gerade wenn es nicht nur um Empfehlungen, sondern um gemeinsames Handeln geht, dass die Prozesse nicht steuerbar sind. Deshalb ist Beteiligung auch eine Frage der Haltung.
TM: Welche Rolle kommt denn den Universitäten dabei zu?
PN: Der amerikanische Soziologen Jason Owen Smith beschreibt den öffentlichen Wert von Universitäten durch drei Aspekte: Sie bringen gebildete junge Menschen hervor, sie sind Orte der Inspiration und Ankerpunkte für regionale Veränderungsprozesse. Gerade an Universitäten können wir einen Schritt zurücktreten vom Alltag, um uns den größeren Fragen zu widmen. Denn eines der Probleme, warum wir nicht nachhaltig werden, besteht ja darin, dass wir häufig Automatismen folgen, ohne uns fragen, was wir wirklich brauchen. Es fehlt uns an Orientierung. Universitäten können genau das anbieten.
TM: Muss sich dafür auch das Selbstverständnis von Universitäten wandeln?
PN: Ja! Wir müssen uns fragen: Was ist eigentlich das Ethos der Forschenden? Was ist mit Wertefreiheit gemeint? Lange Zeit haben sich die Wissenschaften nicht die Frage nach ihrer gesellschaftlichen Rolle gestellt. Es gibt aber eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. Damit geht die Frage einher, was für Orte Universitäten sind, wie sie Öffentlichkeiten schaffen und ihre Umwelt mitgestalten können. Natürlich muss das methodisch valide erfolgen, es geht ja nicht um Aktivismus oder politische Meinungen. Sondern um Reflexion für das langfristige Gemeinwohl. Ich glaube, dass es dafür einen hohen Bedarf in der Gesellschaft gibt.
TM: Vielen Dank für das Gespräch!
ZUR PERSON
Prof. Dr. Patrizia Nanz war bis 2021 wissenschaftliche Direktorin am Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit in Potsdam. Aktuell ist sie Leiterin des Laboratoriums Beteiligende Verwaltung. Vor drei Wochen wurde sie zur Präsidentin des Europäischen Hochschulinstituts in Florenz gewählt. Zuletzt von ihr erschienen ist das Buch: Das wird unsere Stadt. Bürger:innen erneuern die Demokratie.