News am Lehrstuhl für Neuere deutsche Literaturwissenschaft

Ausstellungseröffnung im Foyer der ZB am 30.06.2022: „Aber das Gedicht spricht ja!“ Eine Begegnung mit Paul Celan

Am Donnerstag, dem 30. Juni 2022 um 13 Uhr präsentierten die Teilnehmer:innen des Seminars „Aber das Gedicht spricht ja!“ Eine Begegnung mit Paul Celan im Foyer der Universitätsbibliothek eigens konzipierte Exponate unter der Leitung von Dr. Alexandra Tretakov, in Zusammenarbeit mit dem Seminar Lyrik im Museum. Theorie und Praxis des Literatur Ausstellens von Prof. Dr. Friederike Reents. Inspiriert vom Werk des wohl bedeutendsten deutschsprachigen Dichters der Nachkriegszeit, „übersetzten“ Studierende Celans Gedichte in andere Sprachen, Musik und bildende Kunst.

Celan wollte stets in seinen Werken den Opfern des Holocaust, darunter auch seinen ermordeten Eltern, eine Stimme geben. Thematisch angereichert mit Tod, Religion und Glaubenszweifel, Identitätssuche und Heimatlosigkeit neigt etwa Celans berühmtes Gedicht Todesfuge „zum Verstummen“, sein Leben lang sucht er nach einer Sprache, die das Unaussprechbare auszudrücken vermag. Eben diese Suche versuchten nun die Studierenden fortzusetzen.

Inspiriert von dem Gedicht Nacht, ließ etwa Julia Stolz Noten statt Worte sprechen und eröffnete mit ihrem selbstkomponierten Stück die Ausstellung.

Die Studierenden Marta Lescher, Katharina Schrieder und Lisa Graßl führten daraufhin das Publikum näher an die Person Paul Celan heran, indem sie, unterstützt von dem von ihnen entworfenen Roll-Up, wichtige Eckdaten seines Lebens zusammenfassten und präsentierten unterlegt von prägnanten Zitaten aus seinen berühmten Werken.

Zu solchen zählt z.B. das Gedicht Schwarze Flocken, zu dem Chantal Sabrina Petri ein Graphitgemälde Die Enden anfertigte: Die Konstellation aus einem mit „Mutter“ beschrifteten Holzkreuz, einer detailliert gestalteten Lokomotive und einem Schriftzug in Celans Handschrift gewährte den Betrachter:innen einen außergewöhnlichen Einblick in die malerische Art und Weise ihrer Gedichtinterpretation. 

Ebenso beeindruckend war der Holzschnitt Die gebrannte Pappel von Isabella Rigler, angelehnt an das Gedicht Ich hörte sagen. Passend zur Verszeile „Ich sah meine Pappel hinabgehen zum Wasser“ hatte sie hierfür einen Pappelholzausschnitt ausgewählt und mithilfe eines Lötkolbens neben den Gedichtzeilen eine Illustration darauf gebrannt.

Eine weitere Art der Interpretation bot ein Exponat aus einer zerbrochenen Glasflasche, zwei Playmobilfiguren, blau-roter Modelliermasse und schwarzem Kunsthaar, aus dem Lea Graf und Selina Tyroller eine Szenerie zum Gedicht Zu Zweien konzipiert hatten. Anlass dafür sei die Ironie gewesen, der Celan – trotz allem – in seinen düsteren Gedichten oft einen großen Platz eingeräumt habe.

Inspiriert von Michael Hamburger, dem Experten englischer Celan-Übertragungen, bat Ruth Hollywood dem Publikum eine reiche Anzahl an englischen Übertragungen von Celan-Gedichten an und berichtete von ihrer Erfahrung als Übersetzerin. Damit bewies sie neben umfassendem englischem Vokabular vor allem auch ein sensibles Sprachgefühl für Celans vieldeutige Wortwahl. Zum direkten Vergleich trug Richard Kurz die deutschen Originaltexte vor.

Inspiriert von Yoko Tawadas Übertragungen ins Japanische ließ Chantal Sabrina Petri die Gedichte Unlesbarkeit, Auf mich; Merkblätter-Schmerz und Ich hörte sagen von Alyssa Ida aus New York ins Japanische übersetzen und präsentierte somit einen kleinen Exkurs in die japanische Sprach- und Übersetzungskultur.

Wie vieldeutig Celans Gedichte sind, veranschaulichte Agnes Kranz mit ihrer kalligraphischen Interpretation zu Psalm. Sie verschriftlichte und explizierte mögliche Deutungsansätze, die eigens von ihr oder zusammen im Seminar zum Gedicht erarbeitet wurden. Paula Radnitz kreierte zu diesem berühmten Gedicht ein Mobile: „Ein Nichts / waren wir, sind wir, werden / wir bleiben, blühend: / die Nichts-, die / Niemandsrose.“ Eben diese Rose befand sich zentriert umgeben von einem Kranz aus Blättern und Dornen. Daran befestigt schwebten Versfragmente an seidenen Fäden um „die Niemandsrose“ herum.

Versfragmente waren schließlich auch der Hauptbestandteil der präsentierten Gedichtcollagen: Melissa Wagner setzte ausgeschnittene Verse aus allen Schaffensphasen Celans zu neuen Gedichten zusammen, die wiederum einen neuen Interpretationsraum zuließen. Somit entstand ein Herbst-, ein Liebes- und ein Todesgedicht. Hintergründe aus Zeitungsschnipseln, Flyern und individuellen Ausdrucken untermalten die Vorgehensweise der Collage.

Die Seminarteilnehmer:innen zeigten mit dieser Ausstellung, wie facettenreich Lyrik ist und wie viel Freiraum sie zur Interpretation und Übersetzung jenseits der klassischen Gedichtanalyse bietet. Die Gedichte „sprachen“ zu den Student:innen und gaben ihnen die Möglichkeit, sich sehr individuell mit Paul Celans Werken zu befassen, um eine ganz eigene Beziehung zu seinen Texten aufzubauen.

 

MELISSA WAGNER