Veranstaltungen des Lehrstuhls für Romanische Literaturwissenschaft I
Leopardi-Tag 2025
Tagung der Deutschen Leopardi-Gesellschaft (Barbara Kuhn) und der Germanistik und Italianistik der LMU München (Angela Oster, Frieder von Ammon und Florian Mehltretter)
LMU München Internationales Begegnungszentrum der Wissenschaft München e.V. (IBZ) Amalienstr. 38
Die Diskussionen darüber, ob Leopardi der ‚Klassik‘ oder der ‚Romantik‘ zuzuordnen ist, weisen weiterhin eine Aktualität auf, die es verlohnt, die Problematik zum Gegenstand einer Tagung zu machen. Bekanntlich hat Leopardi die Romantiker scharf kritisiert, ungeachtet der Tatsache, dass seine eigenen Schriften nicht frei von Romantizismen operieren. Die Münchener Tagung wählt als Fokus einen komparatistisch geweiteten Blick, nämlich auf die vergleichbare Konstellation um den italienischen ‚Klassiker‘ Goethe.
Lange Zeit schien es ausgemacht, dass Goethe der ‚Klassiker‘ der deutschsprachigen Literatur schlechthin sei, dass er (gemeinsam mit Schiller) die deutsche oder Weimarer ‚Klassik‘ repräsentiere und als deren Repräsentant in einem fundamentalen Gegensatz zu der ‚Romantik‘ stehe. In jüngerer Zeit sind diese scheinbaren Gewissheiten allerdings ähnlich wie im Fall Leopardis in Bewegung geraten, sodass inzwischen nichts mehr selbstverständlich erscheint: weder die Existenz einer deutschen oder italienischen ‚Klassik‘, noch deren Opposition zu einer einheitlich gedachten ‚Romantik‘, und selbst der ‚Klassiker‘-Begriff selbst hat sich mittlerweile stark gewandelt.
Zwar hat Goethe Leopardi – anders als dieser ihn – wohl nur am Rande zur Kenntnis genommen, doch davon unbenommen bieten sich viele Vergleichspunkte zwischen den beiden, angefangen mit den von ihnen programmatisch vertretenen, jedoch jeweils anders konturierten ‚Klassizismen‘ und ihrer scharfen Abgrenzung von den ‚Romantiken‘ – was Gemeinsamkeiten mit den anderen Lagern freilich gerade nicht ausschließt. Insofern erscheint die Gelegenheit günstig, die Debatten unter neuen Perspektiven wiederaufzunehmen: nicht zuletzt mit Hilfe eines geschärften Klassizismus-Begriffs (wie er in den germanistischen und romanistischen Literaturwissenschaften jüngst entwickelt worden ist).
Auf der Grundlage eines interdisziplinären Doppelblicks auf Goethe und Leopardi möchte die Tagung solche und andere Fragen aufwerfen und auf diese Weise zur Klärung der ästhetischen Gemengelage im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts beitragen, die viel komplexer ist, als es die Literaturgeschichtsschreibung suggeriert. Zu den Ausnahmen zählte Karl Vossler, dessen Nachlass sich in der Bayerischen Staatsbibliothek befindet und in dessen Konvoluten nicht zufälligerweise Leopardi und Goethe als gleichermaßen in ‚Klassik‘ und ‚Romantik‘ agierende Autoren im Fokus einem gesamteuropäischen Rahmen perspektiviert werden. In Südliche Romania tituliert Vossler Leopardi als „Lyriker des bald idyllischen bald titanischen, klassisch-romantischen Pessimismus, wie er in den ersten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts in ganz Europa vernehmbar wurde“, und im gleichen Buch betrachtet er in seinem Goethe-Kapitel den deutschen Dichter auf ähnliche Weise. Das Vossler-Zitat erinnert in nuce daran, dass die Klassik/Romantik-Kontroverse weitere wichtige Namen involviert, die die Diskussion ebenfalls befeuert haben: Schlegel, Schiller, Madame de Staël, Lamartine, Schopenhauer, Heine, Byron, Shelley u.v.a.m.
Es sind nicht zuletzt die Übersetzungen der Zeit, die deutlich machen, dass die vermeintliche Dichotomie von ‚Klassik‘ und ‚Romantik‘ nicht mehr uneingeschränkt belastbar ist. Auch das ‚Fragment‘ der Romantik und das ‚Werk‘ der Klassik sind ihrerseits einheitlicher bzw. brüchiger konstruiert, als es die Forschung es lange Zeit behauptet hat. Darüber hinaus gibt es viele weitere ‚Kippfiguren‘, von denen ausgehend ‚Klassik‘ und ‚Romantik‘ bei Leopardi und Goethe neu durchdacht werden können, bis hin zu Positionen, die wie Stefan Matuschek (Der gedichtete Himmel. Eine Geschichte der Romantik) behaupten, dass die Weimarer Klassik eine Spielart der Romantik sei, ja die Romantik die tatsächliche Klassik darstelle. Über diese und andere Thesen lässt sich ohne Frage streiten, und für diesbezügliche und weitere Diskussionen möchte die Münchener Tagung eine produktive Plattform darstellen.