Expertise zum östlichen Christentum: Neue Onlineplattform bündelt Wissen und Dialog

Prof. Dr. Thomas Kremer (rechts) und wissensch. Mitarbeiter Joachim Braun
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VolkswagenStiftung fördert Projekt der Stiftungsprofessur für Theologie des Christlichen Ostens im Rahmen des Programms „Weltwissen – Strukturelle Stärkung Kleiner Fächer“ mit 970.000 €

Im Gegensatz zur Entwicklung in Westeuropa gewinnt Religion global gesehen weiterhin an Bedeutung – auch im Hinblick auf die politischen Prozesse der jüngeren Zeit. Selbst im aktuellen Ukraine-Konflikt spielt Religion eine Rolle, nachdem die Orthodoxie mit der Unabhängigkeit des Landes Anfang der 1990er-Jahre gespalten wurde. Doch das Wissen zu orthodoxen Kirchen und Kirchen des christlichen Orients im Nahen Osten ist international weit verstreut. Unter Leitung der KU wird deshalb nun eine neue fachübergreifende Online-Plattform zu „Eastern Christian Studies“ entstehen, die entsprechende Expertise bewahren, bündeln und im Sinne von Open Science zugänglich machen wird. Zudem entstehen auf dem „Eastern Christian Studies Online Campus“ (ESC Online Campus) sowohl digitale Lehrformate als auch Angebote für die breite Öffentlichkeit. Geleitet wird das Projekt von Prof. Dr. Thomas Kremer, der an der KU die Stiftungsprofessur „Prinz Max von Sachsen“ für Theologie des Christlichen Ostens innehat. Die VolkswagenStiftung fördert das zunächst siebenjährige Vorhaben mit mehr als 970.000 Euro im Rahmen des Programms „Weltwissen – Strukturelle Stärkung Kleiner Fächer“.

Neben einer engen Kooperation mit der Forschungsstelle Christlicher Orient an der KU gehören zu den Partnern des Online Campus unter anderem Forschende aus Deutschland, Österreich, Frankreich, Griechenland, Italien, den USA sowie der Ukraine, Armenien und dem Libanon. Dazu zählen auch Vertreterinnen und Vertreter der Friedens- und Konfliktforschung, der Migrationsstudien, verschiedener Philologien sowie der ökumenischen und interreligiösen Theologie.

Das Konzept, das Professor Kremer mit seinem wissenschaftlichen Mitarbeiter Joachim Braun im Austausch mit zahlreichen Partnern entwickelt hat, greift die Situation der Wissenschaft vom Christlichen Orient im deutschsprachigen Raum auf: „Auf der einen Seite sind in den letzten Jahren eigens gewidmete Lehrstühle nicht wiederbesetzt worden, auf der anderen Seite hat das Fach gerade durch die jüngsten Migrationsbewegungen an Bedeutung gewonnen, in denen viele orientalische Christen ihre Heimat verlassen mussten“, schildert Kremer. Dies führe vor Augen, wie sehr die Kultur des christlichen Orients in den Herkunftsländern bedroht und wie sie zugleich bei uns durch Migration präsent werde. Historisch betrachtet sei hier etwa die armenische Diaspora in Frankreich ein Beispiel, das bis heute wirke: Nach dem Ersten Weltkrieg war das Land ein Hauptziel von armenischen Geflüchteten, die heute dort mit über 600.000 Personen die weltweit viertgrößte armenische Gemeinschaft bilden – nach Armenien, Russland und den USA. Die meisten von ihnen gehören der Armenischen Apostolischen Kirche an.

Der geplante ESC Online Campus reagiert außerdem auf eine strukturelle Besonderheit des Faches: Während man in Deutschland historisch gewachsen zwischen der Wissenschaft vom Christlichen Orient und ostkirchlicher Theologie unterscheidet, werden beide Bereiche international unter „Eastern Christian Studies“ zusammengefasst. „Vor diesem Hintergrund wollen wir die traditionelle Wissenschaftskultur neu aufstellen – von einer rein philologischen Disziplin hin zu einem fachübergreifenden, zukunftsfähigen Ansatz mit Bezug zur Gegenwart“, betont Professor Kremer, der auch Vorsitzender der „Gesellschaft zum Studium des Christlichen Ostens“ ist.

Als wissenschaftlicher Mitarbeiter ergänzt Joachim Braun: „Wir haben uns dazu ausgetauscht, welche Disziplinen außerhalb unserer Fachkultur eine Rolle für uns spielen und wie wir sie gezielt einbinden können – etwa die Politikwissenschaft, Friedens- und Konfliktforschung oder Migrationsforschung, wie sie auch das Zentrum Flucht und Migration an der KU betreibt. Zudem wollen wir die weit verstreuten Standorte bündeln, an denen unser Fach noch präsent ist, um das vorhandene Wissen auf einer Plattform zu vereinen und weiterzuentwickeln.“ Kooperationspartner aus den Studien zum Christlichen Osten sind zum Start – neben der Forschungsstelle Christlicher Orient an der KU – sind die Ludwig-Maximilians-Universität München, die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, die Ukrainische Katholische Universität Lviv und die Université Saint-Esprit de Kaslik im Libanon.

Das Portal soll explizit seiner Bezeichnung als „Online Campus“ gerecht werden und nicht ein statischer Fundort für Forschungsergebnisse sein. Vielmehr wollen die Beteiligten über die Plattform zum Austausch zwischen den Forschenden, Lehrenden und der Öffentlichkeit einladen. Die international breite Verteilung von Forschungs- und Studienorten des Faches wird der ESC Online Campus durch seine digitalen Kanäle kompensieren. Wie gut dies schon jetzt funktioniert, zeigt etwa ein Blick in das aktuelle Lehrangebot Professor Kremers, das unter anderem einen digitalen Armenisch-Kurs mit über 25 internationalen Teilnehmenden umfasst, die sich unter anderem auch aus Australien dazuschalten.

Im Hinblick auf die Lehre werden für die Plattform Blended-Learning-Formate entwickelt, die digitale Angebote zum Selbststudium mit Präsenzformaten in Eichstätt und bei den Partnern verbinden. Diese Kurse sind nicht nur als Ergänzung zu grundständigen Studienangeboten gedacht, sondern können auch von Personen für ein Aufbaustudium genutzt werden, die etwa im Journalismus, bei Hilfsorganisationen, in der Tourismusbranche oder der ökumenischen Zusammenarbeit tätig sind. Damit bietet der Online Campus berufliche Perspektiven, die über die reine Wissenschaft hinausreichen.

Die dritte Säule des Portals wird neben Forschung und Lehre der Transfer von Wissen in die breite Öffentlichkeit bilden – durch Blogs, Podcasts, Autorenlesungen oder Online-Ausstellungen. Politische Entwicklungen wie der Arabische Frühling sind fast ohne Ausnahme eng verknüpft gewesen mit religiös motivierten Diskussionen und Spannungen. Zudem leben aktuell etwa zwei Millionen Mitglieder von orthodoxen Kirchen bzw. Ostkirchen allein in Deutschland – mit steigender Tendenz. „Die größte Diözese der syrisch-orthodoxen Kirche ist mittlerweile das Bistum Deutschland – mit etwa 100.000 Gläubigen. Es gilt, auch in der breiten Bevölkerung ein größeres Bewusstsein und Wissen für solche Hintergründe zu vermitteln“, betont Professor Kremer.

Text: upd