Mit ,dem Heiligen’ in Berührung zu kommen ist vielfältig: Menschen schwärmen in Zeugnissen des eigenen Glaubenslebens von der Erfahrung heiliger Momente, die Kirche kanonisiert in regelmäßiger Wiederkehr Frauen und Männer zu Heiligen, andere stehen dem Begriff des Heiligen sowie der Betitelung von Menschen, Gegenständen und liturgischen Handlungen mit dem Attribut „heilig“ skeptisch gegenüber. Sich im theologischen Diskurs der Frage nach Heiligkeit zu nähern, war zum einen durch den äußeren Anlass des 80. Geburtstages von Prof. em. Dr. Ludwig Mödl – von 1992 bis 1996 Inhaber des Lehrstuhls für Christliche Spiritualität und Homiletik an der KU Eichstätt-Ingolstadt – geboten, zum anderen aber auch durch die Thematik selbst; hat sie doch sowohl systematische als auch praktische Relevanz für die Theologie und das Leben der Kirche.
Höhepunkte des zweitägigen Symposiums unter dem Titel „Hagiographie als Theologie“ auf Schloss Hirschberg, dem Bildungshaus des Bistums Eichstätt, waren Vorträge von Gerhard Kardinal Müller und dem zu ehrenden Jubilar Prof. Mödl selbst.
Kardinal Müller sprach zu dem Thema „Kennzeichen und Kriterium. Heiligkeit und die Heiligen für die Zukunft der Kirche“. Nach einigen einleitenden Bemerkungen zur Heiligkeit als Unterscheidungsmerkmal in einer säkularisierten Welt, legte Müller einen ersten Schwerpunkt auf die biblische Erfahrung der Einheit von Personsein und Heiligkeit Gottes. Gerade die Ansprechbarkeit Gottes aufgrund seiner Namensoffenbarung an Mose am brennenden Dornbusch lasse ihn als Person erscheinen. Da er sich dabei dennoch als unverfügbar erweise, sei er heilig. Diese Selbstoffenbarung Gottes an den Menschen, die in der Heilsgeschichte immer wieder aufscheine, bewirke eine personale Relation zwischen Schöpfer und Geschöpf, wobei an letzteren ein besonderer Auftrag ergehe: Der Mensch solle nach Heiligkeit streben, um durch eine Anteilhabe am heiligen Leben Gottes in die Christus-Nachfolge zu treten.
In einem weiteren Schwerpunkt explizierte Müller die Grundidee von Heiligkeit in der katholischen Kirche. Entscheidend sei hierbei, Christus als Zentrum bzw. Quelle von Heiligkeit zu sehen. Seine Heiligkeit fließe in die Glieder seines Leibes, die Kirche. Für das katholische Verständnis sei dabei die Sakramentalität dieser Teilhabe konstitutiv, wofür die „koinonia“ der Kirche vonnöten sei. Wenn die Kirche „Communio Sanctorum“ genannt werde, in der einzelne Gestalten wie die Patriarchen, die Propheten oder die Apostel besonders ins Bewusstsein treten, werde das sakramentale „koinonia“-Verständnis in ein personales aufgefächert. Indem also Gott seine Heilsgegenwart im Wirken der Kirche zur Geltung bringe, greife er die Sozialität des Menschen auf. Aus diesem Grund sei in der menschlichen Nachfolge Christi auch die kommunikative Dimension nicht zu vernachlässigen, die sich in der Nächstenliebe als Ausdruck der personalen Gottesliebe manifestiere.
Vor diesem Hintergrund sei die Verehrung der Heiligen, wie sie sich in der Tradition herausbildete, nicht als Verehrung der Heiligen neben der Verehrung Gottes zu sehen, sondern als Verehrung Gottes in den Heiligen. Wenn man die Heiligen anrufe, bete man also nicht zu den Heiligen, sondern ähnlich wie im Fürbittgebet für die Menschen durch die Heiligen zu Gott, sodass man mit den Heiligen eine Gebetsgemeinschaft bilde.
Auf die systematisch-dogmatischen Erläuterungen Kardinal Müllers folgte der Vortrag von Prof. Mödl, welcher unter der Überschrift „Hagiographie und Vorbild. Zur Neuheit eines bewährten Rezepts kirchlicher Verkündigung“ stand. „Jeder Heilige erzählt eine neue Geschichte von Gott.“ Mit diesem Satz eröffnete Prof. Mödl seine Ausführungen, um gleich zu Beginn seines Vortrags das Leben eines Heiligen grundlegend als Rede von Gott, als Gott-Rede, als Theo-logie zu charakterisieren.
In einem ersten Schritt zeigte Mödl Kriterien auf, anhand derer zum einen biographisch bekannte Heilige und zum anderen sogenannte „legendäre“ Heilige wie z. B. die Hl. Barbara oder der Hl. Christophorus als Heilige zu erkennen seien. Für die Charakterisierung ersterer sei eine feste Verbindung zum Anfang, also zu Christus, grundlegend. Ebenso sei die weitere Rezeption dieser Person zu beachten; hierbei spiele neben der obersten Autorität der Kirche und einem notwendigen „Zeichen vom Himmel“ der „sensus fidelium“ eine entscheidende Rolle. Zu hinterfragen sei zudem das Selbstverständnis dieses Menschen, welches oftmals gut anhand seiner Berufungsgeschichte nachvollzogen werden könne. Dabei müsse deutlich werden, dass die potentiell heilige Person die Grunddevise „Deus semper maior“ zutiefst verinnerlicht habe und auch lebe. Zu unterscheiden vom Selbstverständnis des Menschen sei außerdem sein Umgang mit Enttäuschung, Versagen und Sünde. Denn gerade darin könne das Wirken der göttlichen Gnade sichtbar werden. Schließlich sei noch nach der Beziehungsfähigkeit der Person sowohl „nach oben“ im Gebet als auch „zur Seite“ im liebenden Umgang mit den Mitmenschen zu fragen.
In Bezug auf die „legendären“ Heiligen wies Mödl auf die Literaturform der Legende hin, die sich vor allem im 5., 7., 12. und 13. Jahrhundert in der Frömmigkeitspraxis besonderer Beliebtheit erfreut hatte. Legenden zeichneten sich meist durch einen katechetischen Charakter aus und stellten Typologisierungen theologischer Wahrheiten dar. Es handle sich bei ihnen also gewissermaßen um „Theologie in Bildern“.
Im zweiten, kürzeren Teil seines Vortrags thematisierte Prof. Mödl die Heiligen als Modell mit Vorbildfunktion für die Menschen von heute, wobei er in diesem Kontext auf die Erkenntnisse der Verhaltenspsychologie zum Lernen am Modell zurückgreifen konnte: So zeichne sich diese Form des Lernens durch einen gewissen Gemeinschaftscharakter aus, da die gemeinsame Orientierung an einem Vorbild Menschen miteinander verbinde. Außerdem gehe es hierbei um die Untersuchung der Bedingungen und Motive des oder der Heiligen, welche gerade im Hinblick auf die Frage nach der Erreichbarkeit des Modells wegweisend seien.
Wie von den Veranstaltern dieses Symposiums beabsichtigt, wurde auf diese Weise durch Prof. Mödl der Blick auf die pastorale und spirituelle Dimension des großen Überthemas Heiligkeit gelegt, das nach diesen beiden – einander wunderbar ergänzenden – Vorträgen für die Zuhörer viel von seiner anfänglichen Vagheit und für manche vielleicht auch Fremdheit verloren hatte.
Die Vorträge wurden durch ausgiebige Plenardiskussionen flankiert und vertieft. Hierbei gab es zahlreiche Wortbeiträge aus ökumenischer Perspektive, aber auch ein Ringen um die Zugänge zum Heiligen für die pastorale Praxis. Der Austausch dieses Symposiums soll in einem Studienband in der Reihe Schriften des Alfons-Fleischmann-Vereins publiziert werden.
Prof. em. Dr. Ludwig Mödl ist der Theologie in Eichstätt lebensbiographisch dreifach verbunden: Zunächst kennt der Eichstätter Diözesanpriester das Philosophisch-Theologische Studium aus der studentischen Perspektive, von 1971 bis 1987 war er sodann als Regens für die Priesterausbildung im Collegium Willibaldinum zuständig und in vielfachem Kontakt mit der Theologischen Fakultät. Nach einer Zeit als Ordinarius für Homiletik in Luzern (CH) folgte 1992 schließlich seine Zeit als Lehrstuhlinhaber an der KU Eichstätt-Ingolstadt, dem sich die Berufung auf den Lehrstuhl für Pastoraltheologie an der LMU München 1996 anschloss.
Ausgerichtet wurde das Symposium vom wissenschaftsunterstützenden, gemeinnützigen Alfons-Fleischmann-Verein. Diese noch junge Institution, die der hiesigen KU sehr verbunden ist, richtet regelmäßig Symposien zu theologischen und kirchenrelevanten Fragestellungen aus. Zudem unterstützte der Verein als Drittmittelgeber in den vergangenen Jahren mehrere an der hiesigen Theologischen Fakultät angesiedelte Nachwuchsprojekte.
Kristiina Hartmann / Sebastian Kießig / Benedikt Winkel