Trauer um einen großen Theologen

Die Theologische Fakultät nimmt Abschied von ihrem Ehrendoktor Papst em. Benedikt XVI. / Joseph Ratzinger

Mit zahllosen Christinnen und Christen weltweit trauert die Theologische Fakultät der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt um den emeritierten Papst Benedikt XVI. Mit ihm verlieren wir einen der bedeutendsten Theologen der Gegenwart, der Theologie und Kirche von der Nachkriegszeit bis in die jüngste Vergangenheit entscheidend geprägt hat. Als junger Theologe war er an der Überwindung einer starren neuscholastischen bzw. neuthomistischen Theologie beteiligt, indem er sich insbesondere auf Augustinus und Bonaventura bezog und aus deren Schriften inhaltlich und methodisch neue Einsichten gewann. Als Professor in Freising, Bonn, Münster, Tübingen und Regensburg prägte er in den Jahren 1958 bis 1977 etliche Studierendengenerationen; seine „Einführung in das Christentum“, die aus einer Vorlesung für Hörer aller Fakultäten hervorging, zählt bis heute zu den Büchern, die Studierenden der katholischen Theologie selbstverständlich zur Lek­türe empfohlen werden. Als Berater des Kölner Erzbischofs Frings und später als Peritus trug Joseph Ratzinger zu wesentlichen Weichenstellungen des Zweiten Vatikanischen Konzils bei, insbesondere im Bereich der Offenbarungstheologie. Sein Wirken als Erzbi­schof von München und Freising (1977-1982), als Präfekt der Kongregation für die Glau­benslehre (1982-2005) und als Papst (2005-2013) sind oft gewürdigt worden. Freilich fiel durch die Aufarbeitung der Fälle sexuellen und geistlichen Missbrauchs in den vergan­genen Jahren auch ein Schatten auf sein Wirken.

Im Jahr 1987 erhielt Joseph Kardinal Ratzinger aufgrund seines außergewöhnlichen wis­senschaftlichen Werks sowie seiner fördernden Verbundenheit mit der Katholischen Uni­versität Eichstätt-Ingolstadt die Ehrendoktorwürde der Theologischen Fakultät. In seine Amtszeit als Erzbischof von München-Freising und als Vorsitzender der Freisinger Bischofskonferenz fällt die Gründung der Katholischen Universität als Fortschreibung und signifikante Ausweitung einer jahrhundertealten akademischen Tradition in Eichstätt. Als Erzbischof und als Präfekt der Glaubenskongregation ließ er sich immer wieder auch zu Gastvorlesungen in Eichstätt gewinnen, die zu Höhepunkten im Eichstätter Universitäts­leben wurden. Es ist durchaus signifikant, dass die Verleihung der Ehrendoktorwürde am selben Tag vorgenommen wurde wie die Einweihung des Neubaus der Universitätsbiblio­thek, war Joseph Ratzinger doch auch als großer Leser und Bücherfreund bekannt.

In Ratzingers theologischem Werk findet sich nicht nur eine große Spannbreite an Themen, sondern auch manche Spannungen und Ambiguitäten. Seine Positionen als Theologe, Kir­chenpolitiker, Kongregationspräfekt und Papst waren nicht immer unumstritten, scheinen sie doch auch in sehr unterschiedliche Richtungen zu zielen. Doch ist es vielleicht ein Cha­rakteristikum großer Theologen, dass ihr Denken Anknüpfungspunkte für engagierte Diskussionen bietet und zum Ausgangspunkt für weitere spannende Überlegungen wer­den kann. Vieles in seinem Denken und Wirken wird sich erst in der Rückschau von meh­reren Jahren oder Jahrzehnten einordnen und bewerten lassen.

Als Zentrum von Ratzingers Theologie machte sein Schüler Hansjürgen Verweyen das Bild vom Leib Christi bei Paulus und das Konzept des „Sein-für“ aus: Christliche Existenz lebt aus der Sorge Gottes um uns und im Sein für die anderen, Christen leben daher stets im Dialog mit Gott und ihren Mitmenschen. Dies gilt für Ratzinger auch im Letzten der menschlichen Existenz, im Tod. Denn auch die Hoffnung auf Auferweckung aus dem Tod denkt er konsequent dialogisch: „Unsterblichkeit ergibt sich […] aus der rettenden Tat des Liebenden, der die Macht dazu hat: Der Mensch kann deswegen nicht untergehen, weil er von Gott gekannt und geliebt ist. Wenn alle Liebe Ewigkeit will – Gottes Liebe will sie nicht nur, sondern wirkt und ist sie. […] Weil der Schöpfer nicht bloß die Seele, sondern den inmitten der Leibhaftigkeit der Geschichte sich realisierenden Menschen meint, und ihm Unsterblichkeit gibt, muß sie Auferweckung der Toten = der Menschen heißen.“ (Einführung in das Christentum, München 1968, S. 292.)

In diesem Sinne verbindet sich die Theologische Fakultät mit allen, die um Joseph Ratzin­ger trauern, in der gemeinsamen Hoffnung auf die Auferweckung der Toten durch den lie­benden Gott. Ihrem Förderer und Ehrendoktor wird sie ein ehrendes Andenken bewahren.

Eichstätt, den 31. Dezember 2022

Prof. Dr. Bernward Schmidt

Dekan der Theologischen Fakultät

 

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