Interview: Prof. Kropač über Naturwissenschaft und Religion im Gespräch

Porträt Ulrich Kropač
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Vortrag in Bern am Donnerstag, 22. September 2011, 18.00 Uhr. Prof. Dr. Ulrich Kropač sprach zum Thema: Unterschiedliche Modelle der Weltbegegnung und Welterschließung in der Spannung von naturwissenschaftlicher und religiöser Rationalität. Ulrich Kropač ist Professor für Didaktik der Religionslehre, für Katechetik und Religionspädagogik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (D). Er hat zudem einen Abschluss in Mathematik und Informatik. Der Vortrag war ein Bildungsangebot der Uni Freiburg (Lehrstuhl für Pastoraltheologie) und der religionspädagogischen Fachstellen Bern und Deutschfreiburg.

Michael Felder: Die Naturwissenschaften nehmen für sich in Anspruch, mit ihrer Rationalität die Weltprobleme besser lösen zu können. Wie könnte der Beitrag der Religion besser gesehen werden?

Ulrich Kropač: Die Naturwissenschaften sind in der Tat in der Lage, den Alltag der Menschen enorm zu erleichtern. Wer würde heute noch gerne auf die Spül- oder Waschmaschine verzichten? Wer schätzt es nicht, wegen einer Blinddarmerkrankung nicht gleich sterben zu müssen? Aber können die Naturwissenschaften die Weltprobleme lösen? Ich denke nicht! Denn diese sind mit vielfältigen Aspekten z.B. ökonomischer, politischer oder ethischer Natur verknüpft. Die Gesetzt der Naturwissenschaften sind gegenüber den großen Fragen der Menschheit taub und stumm - und zugleich sind ihre Erkenntnisse unverzichtbar, wenn es darum geht, uns ein Bild von uns selbst zu machen und in der Gottesfrage voranzukommen!

Felder: Die Gehirnforschung verändert zunehmend das Selbstbild von uns Menschen. Ist das naturwissenschaftliche Weltbild letztlich seelenlos?

Kropač: Das naturwissenschaftliche bzw. neurologische Weltbild muss seelenlos sein. Alles andere würde der naturwissenschaftlichen Methodik widersprechen. Problematisch wird es aber dann, wenn behauptet wird, der naturwissenschaftliche Modus der Weltbegegnung sei der einzige. Für die Deutung sind andere Wissenschaften zuständig, z.B. die Anthorpologie, die Philosophie oder eben auch die Theologie.

Felder: Auch andere Religionen helfen, die Weltbegegnung als sinnstiftendes Ereignis zu deuten. Verliert das Christentum bei uns seine Deutungshoheit?

Kropač: Das Christentum hat keine unhinterfragte Deutungshoheit mehr. Dies liegt daran, dass heute unterschiedliche Religionen auf engstem Raum aufeinandertreffen. Religionen vertreten einen Absolutheitsanspruch und geraten deshalb ganz zwangsläufig in die Situation, sich gegenüber anderen religiösen oder nichtreligiösen Sinndeutungssystemen ausweisen zu müssen. Was den Umgang mit der modernen Welt anbetrifft, scheint mir das Christentum dafür prinzipiell gut gerüstet zu sein.

Felder: Warum?

Kropač: Bereits in der ersten Schöpfungserzählung findet sich ein entmythologisierender Zug, d.h., die Natur wird jeder sakralen Aura entkleidet und in die Hand des Menschen gegeben. Damit hat das Christentum selbst den Nährboden für die modernen Naturwissenschaften vorbereitet.

Felder: Religion gilt bei Jugendlichen im Gegensatz zu den Naturwissenschaften oft als altmodisch.

Kropač: Notebooks, iPods, iPhones, iPads: keine Frage, all das übt auch auf meine Kinder eine große Faszination aus. Dagegen nimmt sich die Bibel doch recht bescheiden aus. Aber: Es ist näher zu fragen, worauf Bibel, Glaube, Religion zielen. Ich meine, dass ihr besonderer Beitrag darin liegt, die großen Fragen der Menschheit und des Menschseins zu reflektieren und zu bearbeiten. Die Fragen nach dem Woher und Wohin, nach dem Warum und wozu stellen sich für den einzelnen Menschen nicht jeden Tag in gleicher Weise. Aber in bestimmten Phasen seines Lebens rücken sie ihm bedrängend nahe und fordern ihn ganz und gar.

Felder: Naturwissenschaften haben bei Bildungspolitikern Vorfahrt.

Kropač: Wenn es um die Sichtbarkeit des Fortschritts naturwissenschaftlich-technischer oder geisteswissenschaftlicher Forschung geht, obsiegt klar Ersere. Sicherheitstechnisch verbesserte Kraftfahrzeuge, neue Operationstechniken, Photovoltaikanlagen zur Gewinnung von Strom durch Sonnenenergie: Solche technischen Errungenschaften sind für jedermann mit Händen zu greifen. Ob all das in jedem Fall nützt, steht auf einem anderen Blatt. Die Katastrophen in Tschernobyl und Fukushima erinnern uns daran, dass technische Errungenschaften nicht unbesehen als nützlich bezeichnet werden können. Kürzungen "weicher" Fächer zugunsten "harter" gehen daher in die falsche Richtung. Ein gebildeter Mensch braucht beide - und beide gründlich!

Felder: Denken Sie, dass es im Religionsunterricht genug Raum gibt, um sich den Fragen zu stellen, die von der modernen Naturwissenschaft gestellt werden?

Kropač: Heutiger Religionsunterricht ist thematisch vielfältig. Das ist seine Stärke, das ist aber auch seine Schwäche. Nach meiner Überzeugung unterschätzt der Religionsunterricht die prägende Wirkung, die die modernen Naturwissenschaften für den Aufbau des Weltbildes junger Menschen haben. Religionsunterricht müsste viel mehr auf jene Fragen eingehen, die sich von den Naturwissenschaften her stellen: nach dem Anfang und Ende der Welt, nach dem Ziel des evolutionären Prozesses, nach der Stellung des Menschen im Kosmos.