Der Christ in der Löwengrube – Über die Rolle der katholischen Kirche in der DDR

„Der Christ sitzt in der Löwengrube. Er wird den Löwen aber weder streicheln noch am Schwanz ziehen“, umschrieb seinerzeit Kardinal Alfred Bengsch, von 1961 bis 1979 Bischof von Berlin, die damalige Haltung der katholischen Kirche in der DDR. „Diese Abstinenzhaltung gegenüber dem Regime behagte nicht allen katholischen Gläubigen, die zum Teil auch eine klare Stellungnahme vermissten“, erklärte Ordinariatsrat Christoph Pötzsch, Kanzler der Diözese Dresden-Meißen und Bürgerrechtler in der Wendezeit, bei einem Gastvortrag zum 20. Jahrestages der Grenzöffnung an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU). Im Gegensatz zur katholischen habe – um im Bild zu bleiben – die evangelische Kirche den Löwen zwar mehr am Schwanz gezogen, jedoch auch mehr gestreichelt. Pötzsch schilderte, wie sich das Verhältnis zwischen katholischer Kirche und dem neuen Staat DDR in kurzer Zeit verhärtete – etwa durch Repressalien gegen Christen auch im beruflichen Fortkommen – und zugleich entspannte: „Die Kirche bestand einerseits auf der Unvereinbarkeit mit diesem Staat und beharrte trotz Teilung auf den grenzüberschreitenden Diözesangrenzen. Das machte sie andererseits für diesen jedoch wiederum berechenbar“, so Pötzsch.

Christoph Pötzsch, der als Katholik 1980 unmittelbar nach Abschluss seines Jura-Studiums in Halle Berufsverbot wegen Kontakts zu so genannte Dissidentenkreisen erhielt und daraufhin bei einer Wohnungsbaugenossenschaft tätig war, gab auch einen sehr persönlichen Einblick in seine Überwachung durch die Staatssicherheit. So gestaltete sich 1984 seine Suche nach einer neuen Wohnung – die Zuweisung erfolgte in der DDR zentral –erstaunlich kurz, zudem war sie erstaunlich groß. Ein Blick in seine Stasi-Akten offenbarte im Nachhinein, dass das neue Domizil vollständig verwanzt war und Familie Pötzsch somit bis zum Mauerfall systematisch überwacht werden konnte. Dennoch gelang es ihm, schriftstellerisch unter anderem für den westdeutschen Deutschlandfunk tätig zu sein. Seine Texte gelangten auf verschlungenen Pfaden zunächst unbeschadet ins Kölner Funkhaus, in dem jedoch wiederum ein Spitzel der Stasi saß und Bericht erstattete. Sogar die systematische Zersetzung von Pötzschs Ehe wurde versucht, jedoch ohne Erfolg.

Die weitere Entwicklung in der DDR veranlasste die katholische Kirche schließlich Ende der 1980er-Jahre, ihre politische Zurückhaltung abzulegen, die evangelische Kirche ging auf Distanz zum Regime. „Drei große ökumenische Versammlungen nannten die vorherrschenden Missstände beim Namen und bereiteten die Wende mit vor, so dass aus kirchlichen Themen konkrete Forderungen wurden“, erklärte Pötzsch. Innerhalb der Bevölkerung habe es im Herbst 1989 dann einen Wandel gegeben: Während die ersten Sprechchöre „Gorbi, hilf uns“ gelautet hätten, sei innerhalb kurzer Zeit daraus ein selbstbewusstes „Wir sind das Volk“ geworden. Am 8. Oktober 1989 gingen auch in Dresden mehrere zehntausend Menschen auf die Straße, um zu protestieren. Die Demonstranten wurden von der Polizei eingekesselt, dem Kaplan Frank Richter der Dresdner Hofkirche gelang es, Gespräche mit der Polizei zu führen und eine Eskalation zu verhindern. Er bestimmte aus der Menge spontan 20 Personen – darunter Christoph Pötzsch – die mit den örtlichen Behörden am darauffolgenden Tag über politische Forderungen verhandeln sollten. „Grundsätzlich ermöglichte die neue Entwicklung vielen Katholiken wieder ein Engagement für ihr Land“, so Pötzsch. Zudem hätten beide Kirchen nach dem Mauerfall bis zur Wiedervereinigung für eine gewisse Zeit ein Machtvakuum gefüllt. Runde Tische unter Moderation der beiden Kirchen seien über Wochen die einzig handlungsfähigen Institutionen gewesen.

Abschließend erteilte Pötzsch allen Versuchen einer nostalgischen Verklärung der DDR eine Absage: „Der Zusammenhalt war kein Ausdruck von Nächstenliebe, sondern lediglich Solidarität in einer Gefängniszelle. Das Beste an der DDR war ihr Untergang!“ Die Sehnsucht nach der DDR und der Erfolg der Linken sei vielleicht auch das Symptom eines kollektiven Machtverlustes: In der Mangelgesellschaft der DDR habe die Blumenverkäuferin entscheiden dürfen, wer die Rosen unter dem Ladentisch erhalte; jeder habe versucht von diesem Stück Macht etwas abzubekommen. Zudem habe es auch Menschen gegeben, die es durchaus als bequem empfunden hätten, dass für sie gedacht wurde. „Auch wenn der Alltag 20 Jahre später mit Ernüchterung verbunden ist: Einheit und Freiheit sind dennoch ein großes Geschenk“, resümierte Pötzsch.

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