Vorsichtig blättert ein Student in alten, großen Büchern. Er betrachtet kunstvolle, mit Tusche geschriebene Buchstaben und entdeckt auf manchen Seiten neben lateinischen Texten auch Noten zum Singen. Der brüchige Ledereinband wird zwischen zwei Schaumstoffkeilen gestützt, damit der Buchblock nicht in zwei Teile fällt. Metallschnallen ragen seitlich am Einband hervor, bei dem einen ist das Scharnier bereits abgebrochen. Die Schnallen sollten das Buch einst bei der Aufbewahrung schützen. Die aufwändige Herstellung und die kunstfertige Handarbeit machten es zu einem wertvollen Gegenstand. Das mächtige Buch ist fast sechshundert Jahre alt und diente früher als Hilfsmittel für den Gottesdienst. Heute befindet es sich in der Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek im Hofgarten und wird hier für Forschungszwecke archiviert.
Der Student sieht sich das Buch nicht alleine an. Er erklärt in einem Referat seinen Kommilitoninnen und Kommilitonen, wie sich die Bücher für den Gottesdienst entwickelt haben. Im Rahmen des Seminars „Geschrieben, gedruckt, gefeiert – Die Welt der Bücher im Gottesdienst der Kirche“ führten Prof. Dr. Jürgen Bärsch und Dr. Florian Kluger von der Professur für Liturgiewissenschaft an der Theologischen Fakultät die Studierenden in die Buchkultur ein. Ziel des Seminars war es, die Bestände der Handschriftenabteilung der KU in die Lehrveranstaltung einzubeziehen. Die Studierenden sollten hautnah mit den historischen Büchern in Kontakt kommen und nicht nur in der Vorlesung darüber hören.
An den Büchern konnten einzelne Aspekte der Liturgiegeschichte der letzten 600 Jahre gezeigt werden. Liturgische Bücher gehören zu den wichtigsten Quellen, aus denen Liturgiewissenschaftler schöpfen, wenn sie die Entwicklung des Gottesdienstes nachzeichnen. „Aus den historischen liturgischen Büchern kann der Glaube und die Frömmigkeit früherer Generationen erschlossen werden“, erklärt Bärsch den Studierenden. So erfahre man viel darüber, wie verschiedene Lebenssituationen oder der Jahreslauf gottesdienstlich begleitet wurden. Geburt, Hochzeit und Tod kommen ebenso zur Sprache wie Besonderheiten von Advent, Ostern oder Erntedank.
Es gehört zu den Schwerpunkten der Eichstätter Professur für Liturgiewissenschaft, kulturgeschichtliche Themen zu erforschen und in die Lehre mit einfließen zu lassen. In der Lehre legen Bärsch und Kluger Wert darauf, dass die Studierenden ein Gespür für historische Entwicklungen bekommen, damit sie sich kritisch mit Fragestellungen der Gegenwart auseinandersetzen können. Diskutiert werden Vorstellungen von Gott, von der Kirche oder von Lebenseinstellungen gestern und heute, die sich in der Feier des Gottesdienstes widerspiegeln. Der Blick in die Geschichte weckt Entdeckergeist und schärft die Urteilskraft. Die Eichstätter Handschriftenabteilung bietet indes ideale Voraussetzungen für ein Seminar mit Realien aus historischen Beständen. Hier finden sich zahlreiche liturgische Bücher vergangener Jahrhunderte. Viele Texte darin sind in lateinischer Sprache, manche auch auf Deutsch.
Archivar Christian Büchele und die Mitarbeiter der Bibliothek halfen bei der Recherche der Bestände. Büchele nahm sich Zeit für die Theologen und führte die Seminarteilnehmer in kleinen Gruppen durch die verschlossenen Bereiche der Bibliothek. Hinter dicken Türen und Metallgittern zeigte er die Schätze der Handschriftenabteilung, die in langen Regalreihen lagern. „Die Hofgartenbibliothek führt eigentlich mehrere Bibliotheken zusammen. Bestände der Staatsbibliothek sind hier ebenso zu finden wie aus dem Priesterseminar oder Zukäufe der Universitätsbibliothek. Was heute hier steht, gehört verschiedenen Eigentümern, wird aber von der KU verwaltet und gepflegt“, erklärt Büchele und zeigt den Studierenden einen Raum, der voll ist mit liturgischen Büchern vergangener Zeiten.
Die Studierenden lernten in dem Seminar nicht nur die historischen Schätze in der Hofgartenbibliothek kennen, sondern beschäftigten sich mit der Buchkultur insgesamt. Sie spannten den Bogen von den ersten Handschriften über die Entstehung des Buchdruckes bis hin zur Verwendung modernster Technik mit Laptop und OLED-Displays. Sie zeigten außerdem die Charakteristika bei der Verarbeitung von Texten in den verschiedenen Epochen auf. Vorgestellt wurden unterschiedliche Drucktechniken, angefangen beim Holzschnitt bis hin zu Offset-Druck. Zu jeder Seminarsitzung bereiteten die Studierenden eine Reihe historischer Bücher vor, die von der Seminargruppe begutachtet werden konnte. Jeweils waren Schwerpunkte vorgesehen: Einmal waren es Messbücher für die Eucharistiefeier, ein andermal Ritualien zur Begehung von Taufen, Hochzeiten oder Begräbnissen. Auch Bücher für den Gesang wurden präsentiert und die heutigen Alternativen aufgezeigt, wenn die Liedtexte lediglich mit Beamer an die Wand projiziert werden.
Beleuchtet wurden auch die kulturellen Besonderheiten europäischer Buchkultur, was für die international zusammengesetzte Seminargruppe besonders aufschlussreich war. Ins Gespräch kamen Studierende aus der Ukraine, Polen, Russland, Indien, Nigeria, Vietnam, Irak, Italien und aus Deutschland. Sie alle studieren an der KU Theologie und profitierten von der hervorragenden Infrastruktur in Eichstätt. Eine Exkursion führte die 20-köpfige Seminargruppe außerdem nach Neuburg/Donau in die Sonderausstellung über die fast 600 Jahre alte Prachtbibel des Pfalzgrafen Ottheinrich. Am Ende des Seminars waren sich die Studierenden einig: „Wir sind überrascht, wie spannend die Beschäftigung mit alten Büchern sein kann und was wir alles über unsere Kultur und die Geschichte des Gottesdienstes gelernt haben“, resümierten einige Teilnehmer.
Dr. Florian Kluger (Akademischer Rat an der Professur für Liturgiewissenschaft)